"Man kann KI nicht am Papier erforschen" – Hessen eröffnet KI-Innovationslabor

KI-Superrechner und Beratung: Diese Woche hat Hessen mit den Partnern hessian.AI und TU Darmstadt am GSI Helmholtzzentrum das KI-Innovationslabor eröffnet.

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Eröffnung des KI-Innovationslabors am Green IT Cube in Darmstadt auf dem Campus des GSI Helmholtz-Zentrum

KI-Innovationslabor von hessian.ai im Green IT Cube Darmstadt eröffnet: Paolo Giubellino (GSI/ FAIR), Tanja Brühl (TU Darmstadt), Kristina Sinemus (Hessische Digitalministerin), Mira Mezini (hessian.AI), Ulrich Breuer (GSI/FAIR)

(Bild: Hessische Staatskanzlei)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Silke Hahn
Inhaltsverzeichnis

Hessen hat einen neuen KI-Superrechner – und bietet dazu Beratung: Am Campus des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung haben die TU Darmstadt und das Zentrum für Künstliche Intelligenz hessian.AI gemeinsam mit Digitalministerin Kristina Sinemus das KI-Innovationslabor rings um das Rechenzentrum Green IT Cube (GITC) feierlich eröffnet. Die neue KI-Hochleistungs-Infrastruktur innerhalb des GITC soll das Entwickeln, Trainieren, Testen und Auswerten von KI-Systemen und Anwendungen des maschinellen Lernens ermöglichen. Zentral ist dabei die Infrastruktur des Hochleistungsrechenzentrums. Das KI-Innovationslabor bietet in Darmstadt zudem Beratung und steht Unternehmen, Start-ups sowie der Wissenschaft als Anlaufstelle offen.

Der Rechner von hessian.AI im Green IT Cube verfügt über 304 Grafikkarten (GPUs) von NVIDIA, 38 Rechenknoten und ein halbes Petabyte an Speicherplatz. NVIDIA gilt zurzeit als einer der führenden Hardwareanbieter für KI-Infrastruktur. Insgesamt wiegt die Hardware laut Verantwortlichen etwa sechs Tonnen und mehrere Kilometer Kabel wurden verbaut. Diese Infrastruktur zählt zu den Top-300 der Supercomputer weltweit und nimmt auch unter den nicht-kommerziellen Rechenzentren eine Sonderstellung ein: Laut Mira Mezini, Co-Direktorin von hessian.AI, steht der Rechner im Green IT Cube zurzeit auf Platz 80 aller Supercomputer und gilt als das größte nicht-kommerzielle Angebot in Deutschland (die Zahlen wurden mündlich genannt).

So wie Kernphysik nicht ohne Teilchenbeschleuniger möglich sei, lasse KI sich nicht am Papier erforschen, betonte Mira Mezini vor Ort. Die Informatikprofessorin und Ingenieurin leitet mit ihrem Kollegen Kristian Kersting das Hessische Forschungszentrum für KI (hessian.AI): Leistungsstarke Hardware ist ihr zufolge die Voraussetzung für Grundlagenforschung, und Grundlagenforschung ermögliche Innovation. Das Besondere am Darmstädter Innovationslabor für Künstliche Intelligenz sei ein Dreiklang aus Hardware, Consulting und Spitzenforschung. Als Co-Direktorin von hessian.AI spricht Mezini für einen Verbund von 13 Hochschulen, die über ganz Hessen verteilt sind. Das Bundesland hat das Projekt hessian.AI mit 38 Millionen Euro gefördert.

Neben 10 Millionen Euro aus Landesmitteln für NVIDIA-Hardware hatte das hessische Wissenschaftsministerium 5,5 Millionen Euro für den Ausbau des Green IT Cube zu einem Forschungs- und Transferzentrum, etwa für die Wasserkühlung der Großrechner bereitgestellt. Mittlerweile ist das Rechenzentrum Green IT Cube (GITC) wegen seines verhältnismäßig geringen Energieverbrauchs mit dem Umweltsiegel Blauer Engel für Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Auch aus EU-Töpfen sollen Fördermittel nach Darmstadt geflossen sein (REACT-EU-Programm), die den Ausbau des Rechenzentrums seit 2016 anschoben.

Hessischer KI-Superrechner im Green IT Cube (15 Bilder)

KI-Supercomputer von hessian.AI im Green IT Cube in Darmstadt

(Bild: Silke Hahn)

Laut der hessischen Digitalministerin Sinemus ist das nun eröffnete Labor die fünfte elementare Säule der hessischen KI-Zukunftsagenda, die das Land umsetzt. So habe ihr Bundesland ein Zentrum für verantwortungsbewusste Digitalisierung (ZEVEDI) 2019 gegründet, 38 Millionen Euro in das Zentrum für Künstliche Intelligenz hessian.AI investiert (2020), ein Programm zur Förderung von Start-ups und kleinen sowie mittleren Unternehmen (KMU) über 55 Millionen Euro aufgelegt und daraus mit 35 Millionen bereits 120 Projekte finanziert. Anfang Februar ist das KI-Prüfzentrum AIQ (AI Quality & Testing Hub) in Frankfurt am Main an den Start gegangen, das mittelfristig auch Prüfsiegel und Auditierungen für KI-Qualität bieten wird. Das KI-Innovationslabor im Green IT Cube und das daran angedockte Beratungsangebot sollen das deutsche und europäische KI-Ökosystem, Unternehmen und den Standort stärken.

In diesem Zusammenhang teilte die Ministerin bei der Eröffnungsrede ihre Vision von Hessen als einem künftigen "Silicon Valley in Europa". Sinemus hat sich vorgenommen, die Marke "KI made in Hessen" weiter zu fördern. Ob dieser Vergleich einlösbar ist, wird die Zukunft zeigen – bemerkenswert ist der Ansatz durchaus. Für die Ministerin und die weiteren Anwesenden stand fest, dass eigene IT-Infrastruktur ein wichtiger Schritt ist für die Unabhängigkeit vom Kaufen oder Mieten von Rechenkapazität beziehungsweise fertigen Modellen bei anderen Anbietern im Ausland; mit Blick etwa auf die von Microsoft soeben angekündigten massiven Preiserhöhungen für Firmenkunden in der Cloud- und Office-Sparte ist das kein kleines Anliegen. Technische Souveränität tauchte implizit oder ausdrücklich in einigen der Grußworte auf. Auch die Präsidentin der TU Darmstadt Tanja Brühl unterstrich den Anspruch, Spitzenforschung, Infrastruktur und "passgenaue Beratung" zusammenzuführen, damit Grundlagenforschung und daraus entspringende neue Methoden und Erfindungen von der Wissenschaft ohne Umwege in Wirtschaft, Gesellschaft und Wertschöpfung findet.

"Wir Universitäten wollen und müssen lernen, unsere Algorithmen zu verbessern, und wir wollen KI in die Breite bringen", erklärte Brühl. Disruptive Grundlagenforschung sei die Voraussetzung für technische Innovation. Ihre TU setze daher auf Partnerschaften und die Zusammenarbeit über Standortgrenzen hinweg sowie auf das Bilden von Forschungsschwerpunkten. Unter anderem arbeitet die TU mit dem Land Hessen und dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) zusammen und eröffne am 23. März ein gemeinsames Labor.

Zahlreiche Gründer von Start-ups, die die Recheninfrastruktur bereits nutzen oder künftig nutzen werden, waren ebenfalls vor Ort und stellten ihre Firmen vor – dabei handelte es sich um ausgegründete Unternehmungen aus Forschungsprojekten der TU Darmstadt. Flugdrohnen von Wingcopter, Rezepturen für pflanzliche Ausgangsstoffe und die Nahrungsmittelproduktion (Döhler Group), Proteinforschung etwa für mRNA-Impfstoffe (Proteineer), Sprachmodelle für das Argument Mining (summetix), kognitive Prozessautomatisierung und Robotik für Industrieanlagen (Wianco Ott Robotics) sowie spezielle Algorithmen für die Automobilindustrie (Compredict) waren einige der vorgestellten Geschäftsideen, die großteils bereits in tragfähige Unternehmen münden. All diesen Projekten ist gemein, dass sie anwendungsorientiert Probleme lösen – und sie sind auf Rechenkapazitäten angewiesen, wie sie der Standort Darmstadt mit dem Rechner von hessian.AI im Green IT Cube bietet.

Ein im Publikum anwesender Rechenzentrumsbetreiber fragte nach, was die Industrie den KMUs und Start-ups bieten müsse, damit diese gut arbeiten könnten. Nils Gählert, Geschäftsführer von Wingcopter, fasste in Worte, was wohl für die gesamte Branche in ähnlicher Form gilt: Wichtig sei die Usability, also die Integrationsfähigkeit in die Prozesse des Unternehmens "ohne viel Schnickschnack". Ein frühes Verzahnen, wenn möglich, bereits für die Trainingsprozesse, sei hilfreich. Sein Unternehmen und auch die der anderen Anbieter erheben die Daten selbst, daher ist rechtssicheres Speichern und das Hosten in Europa von großem Interesse. Oder wie Gähler es abschließend ausdrückte: "Jedes Unternehmen wäre sehr glücklich, wenn es die Daten in Europa hosten könnte." Die in Darmstadt soeben vorgestellte KI-Hochleistungsrechen-Infrastruktur dürfte diesem Wunsch von Gählert und seinen Kollegen gerecht werden.

Linearer Teilchenbeschleuniger des GSI Helmholtz-Zentrums: Hier lassen sich Sternenexplosionen unter Laborbedingungen anhand einzelner beschleunigter Teilchen und deren Aufeinanderprallens erforschen. Nebenan entsteht ein unterirdischer Ringbeschleuniger auf neuestem Stand, der Darmstadt eine Forschungsstruktur ähnlich der am CERN verschafft.

(Bild: Silke Hahn)

Gastgeber der Veranstaltung war das am GSI Helmholzzentrum in Darmstadt angesiedelte neue europäische Teilchenbeschleunigerzentrum "Facility for Antiproton and Ion Research" (FAIR), dessen Geschäftsführer Paolo Guibellino und Ulrich Breuer ihre Offenheit für weitere Partnerschaften betonten. Die Kernstruktur des Green IT Cube ist laut Breuer bereits seit 2016 in Betrieb, und das Rechenzentrum wurde für seine Energieeffizienz mit dem Umweltzeichen Blauer Engel ausgezeichnet. Unter anderem sind die Server wassergekühlt, was sich während einer Begehung in der für ein Rechenzentrum erstaunlich niedrigen Raumtemperatur bemerkbar machte.

Wir hatten anschließend noch Gelegenheit, den Teilchenbeschleuniger, die Abteilung für therapeutische Schwerionenforschung und das weitläufige FAIR-Areal unter sachkundiger Führung durch den Physiker und Sprecher des Helmholtz-Instituts Dr. Ingo Peter zu besichtigen. Wer sich selbst einen Eindruck verschaffen möchte, kann einer Drohne beim Abfliegen des FAIR-Geländes folgen oder die Aufzeichnung der Tagesthemen vom 21. Februar 2023 anschauen (ab Minute 25:13), in der das ARD-Fernsehteam das Areal begeht und eine Drohne durch den Teilchenbeschleuniger schickt.

Dr. Ingo Peter, Sprecher des GSI/ FAIR, in den Tagesthemen

(Bild: ARD Tagesthemen (ab Min 25:13))

Am GSI Helmholtzzentrum sind sechs neue Elemente entdeckt worden und seit den 1990er-Jahren ist eine Schwerionenbehandlung für die Tumortherapie entstanden, die bei einigen Krebsarten vor allem im Hirnbereich seither Todgeweihten neues Leben verleiht. Nebenan werden unter Laborbedingungen die Zerfallsprodukte von Schwerionenkollisionen untersucht, die Aufschluss auf die Entstehung des Universums bieten – daher rührt der Slogan des Zentrums, "das Universum im Labor" zu erforschen. Auch die präzise Strahlentherapie mit Schwerionen wird kontinuierlich weiterentwickelt. Gemeinsam mit dem KI-Superrechner macht das den Campus von FAIR/ GSI zu einem besonderen Standort, an dem Besucher unmittelbar begreifen können, wie eng verzahnt herausragende Grundlagenforschung und der Fortschritt in der Technik sind.

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