Die Woche: Clash of Cultures
Ubuntu-Sponsor Mark Shuttleworth träumt von abgestimmten Releases der großen Linux-Distributoren. Debian und Ubuntu sollen den Anfang machen.
Der Ärger in der Debian-Community über den Vorstoß des Release-Teams, einen festen Release-Zyklus für Debian GNU/Linux einzuführen und bereits im Dezember 2009 den Freeze für die nächste Version 6.0 vorzunehmen, ist schnell wieder abgeklungen: Das Release-Team will sich jetzt zunächst mit den Maintainern abstimmen und im September eine Roadmap für Debian GNU/Linux 6.0 vorlegen. Die Debian-Welt ist damit erst einmal zu Business as usual zurückgekehrt.
Allerdings steht noch der Vorschlag von Ubuntu-Sponsor Mark Shuttleworth im Raum, die Debianer zu unterstützen, sollten sie sich auf den Freeze-Termin im Dezember einigen. Hinter dem Vorschlag steht eine Vision, die Shuttleworth schon länger verfolgt: aufeinander abgestimmte Releases der wichtigsten Linux-Distributionen. Die Idee: Wenn die großen Linux-Distributionen den gleichen Versionsstand bei zentralen Systemkomponenten wie Kernel, C-Library und X.org aufweisen, macht das den Hardware- und Softwareherstellern das Leben leichter – man müsste Treiber nur noch für eine Kernelversion entwickeln, Hardwarezertifizierungen würden einfacher, ISVs müssten in ihrer Software nicht mehr so viel Rücksicht auf Unterschiede zwischen den Distributionen nehmen (siehe dazu auch Es lebe der Unterschied!).
Abgestimmte Releases zwischen Debian und Ubuntu, so Shuttleworth, könnten der Beginn sein, diese Vision zu realisieren – und das würde er sogar direkt unterstützen: Einigen sich die Debianer auf den (offenbar von Shuttleworth gewünschten) Freeze-Termin im Dezember, bietet er an, die Debian-Entwicklung mit Entwicklern und sonstigen Ressourcen zu unterstützen. Bei einem späteren Freeze könnte der Ubuntu-Rhythmus entsprechend angepasst werden. Red Hat, so Shuttleworth, würde dann vielleicht nachziehen, andere Distributoren könnten der Entwicklung folgen.
Doch so nahe liegend der Ansatz erscheinen mag, zunächst Debian und Ubuntu aufeinander abzustimmen – schließlich basiert Ubuntu auf Debian –, hier prallen zwei Welten aufeinander. Hinter Ubuntu steht mit Canonical ein Unternehmen, das irgendwann auch wirtschaftlich erfolgreich sein will, während Debian ein reines Community-Projekt ist. Vor allem aber ist Ubuntu-Sponsor Shuttleworth ein Visionär, der mit Linux die Softwarewelt auf den Kopf stellen will (Bug #1 bei Ubuntu lautet "Microsoft has a majority market share"), während das Debian-Projekt ein ganz pragmatisches Ziel verfolgt: gemeinsam eine voll ausgestatte, freie und solide Linux-Distribution zu schaffen.
Daraus ergeben sich eine Menge konkreter Unterschiede: Debian geht es vor allem um Stabilität, Ubuntu konzentriert sich auf die "User Experience". Die Software in Debian GNU/Linux ist bereits bei Erscheinen eines neuen Release (was etwa alle zwei Jahre passiert) – je nach Lesart – ausgereift oder veraltet, Ubuntu erscheint alle sechs Monate mit den jeweils neuesten verfügbaren Versionen. Die große Richtung der Ubuntu-Entwicklung wird in erheblichem Maße von Shuttleworth und seinen Visionen gelenkt, die Debian-Community führt immer wieder – gelegentlich quälende – Diskussionen, wo man eigentlich hin will. Ubuntu hat mit Shuttleworth den berüchtigen "benevolent dictator", der hinter vielen erfolgreichen Open-Source-Projekten steht, Debian ist eine demokratisch organisierte Community.
Und, nicht zu vergessen: Ubuntu braucht Debian nötiger als umgekehrt. Ohne den stabilen Debian-Unterbau könnten sich die Ubuntu-Entwickler nicht auf den Feinschliff an System und Desktop konzentrieren – Shuttleworth wird nicht müde, zu betonen, wie wichtig Debian für Ubuntu ist. Aus dem Debian-Lager hört man eher Klagen, dass von Ubuntu zu wenig zurückkommt (was die Debian-Entwicklung aber nicht sehr zu bremsen scheint). Die Ansicht "Ubuntu ist die populärste Debian-Distribution" wird zumindest nicht von allen Debian-Entwicklern geteilt, hier gibt es durchaus auch Ressentiments gegen den so erfolgreichen kleinen Bruder.
Zusammenarbeit zwischen den Linux-Distributoren ist eine gute Sache (und findet in der Linux-Welt an vielen Stellen statt, etwa bei der Entwicklung des Kernels), und Unterstützung von Shuttleworth für das Debian-Projekt, das seinen Erfolg mit Ubuntu letztlich erst möglich gemacht hat, ist nur fair. Ob das ausgerechnet im Kontext einer strittigen Richtungsentscheidung innerhalb des Debian-Projekts funktioniert, ist eine andere Frage. (odi) (odi)