Gutachten: Unzureichender Jugendschutz durch Filtersysteme

Während Jugendschutz.net mit Verbesserungen von Filtern für Pornographie ingesamt zufrieden ist, sieht man noch große Lücken bei der Filterung von Gewalt und rechtsextremen Seiten.

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Von
  • Monika Ermert

Pünktlich zum heutigen Inkrafttreten des neuen Jugendmedienschutzsstaatsvertrages (JMStV) legt Jugendschutz.net die Ergebnisse eines im Auftrag des Landes Niedersachsen vorgenommenen Vergleichs verschiedener Filterprogramme vor. Während man mit Verbesserungen von Filtern für Pornographie ingesamt zufrieden ist, sieht man noch große Lücken bei der Filterung von Gewalt und rechtsextremen Seiten. Ein geradezu vernichtendes Urteil fällt jugendschutz.net über ICRASafe. Das von großen Unternehmen seit mehreren Jahren geförderte nutzerautonome Self-Rating/Filtering-System sei "wirkungslos" und "gescheitert", heißt es in der Mitteilung. Im Test waren daneben die AOL-Kindersicherung und speziell gepflegte Kinderangebote von AOL, Arcor-Juniornet, Cobion Orangebox, Surfcontrol, Symantec und Webwasher.

Insgesamt beachteten die getesteten Filtersysteme die Anforderungen des Jugendschutzes noch nicht ausreichend, heißt es. Außerdem gebe es viele technische Probleme, die Effektivität lasse zu wünschen übrig und andererseits werde häufig zu viel ausgefiltert. Für kleine Kinder empfiehlt Jugendschutz.net den Aufbau eines Kinderportals, das von einer unabhängigen Redaktion gepflegt wird. Größere Kinder bräuchten dagegen mehr Spielraum: "Im Idealfall sollten sie das gesamte Webangebot abzüglich beeinträchtigender Angebote nutzen können." Das Filtergutachten ist zweifellos der Auftakt zu einer durch den JMStV notwendig werdenden Filterdebatte.

Aufgrund der neuen Gesetzeslage müssen "Telemedienanbieter" sich nicht nur einen Jugendschützer zulegen oder sich zumindest einer Institution der Freiwilligen Selbstkontrolle fügen, sie sollen auch mittels sogenannter "Jugendschutzprogramme" sicherstellen, dass den Kleinen der Zugang zum Nicht-Jugendfrei-Bereich im Netz verwehrt wird. Laut Staatsvertrag sollen die Filtermöglichkeiten "einen nach Altersstufen differenzierten Zugang ermöglichen".

Interessant ist, dass in der heute veröffentlichten Pressemitteilung nur ICRA namentlich erwähnt und gleichzeitig vernichtend beurteilt wird. Auf das von Unternehmen wie der Bertelsmann-Stiftung geförderte System hatte sich die bisherige Debatte stark konzentriert. Der Text des neuen Staatsvertrags lässt sogar vermuten, dass man ICRA bei dessen Abfassung im Hinterkopf hatte. Dort heißt es nämlich, dass große gewerbsmäßige "Telemedienanbieter" nicht nur die für die Kleinen bedenkliche, sondern gleich auch noch die unbedenklichen Inhalte "für ein anerkanntes Jugendschutzprogramm programmieren sollen". Das Prinzip der Kombination von Selbstbewertung und Filterung aufgrund der Labels unterscheidet ICRA von kommerziell entwickelten Webfiltern wie Webwasher oder Cyberpatrol. Laut Jugendschutz.net soll man aber eher auf "automatische und lernfähige" Webblockingsysteme setzen.

Eine Zulassung von ICRA durch die Kommission für den Jugendmedienschutz (KJM), die morgen zum ersten Mal zusammentritt, scheint durch das Jugendschutz.net-Verdikt zumindest vorläufig blockiert. Anhänger von Verschwörungstheorien dürfen sich fragen, ob ICRA ein möglicher Startvorteil gegenüber anderen Programmen versalzen werden sollte. Interessant ist auch, dass sich die obersten Jugendschutzbehörden im Mai erneut zu dem Thema beraten wollen, offensichtlich hat die KJM also Konkurrenz.

Zum neuen Jugendmedienschutzgesetz und dem neuen Medienstaatsvertrag siehe auch:

(Monika Ermert) / (anw)