Deutscher Jugendmedienschutz: Vorbild für Europa?

Im Bereich Internet mit seinem geringen "Organisationsgrad" sehen die Institutionen des neuen, seit 1. April gültigen Jugendmedienschutzrechts eine Menge Arbeit auf sich zukommen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 155 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Monika Ermert

Das neue Jugendmedienschutzrecht, das seit 1. April in Kraft ist, gibt den Aufsichtsbehörden erweiterte Eingriffsmöglichkeiten, auch im Bereich Internet. Nach dem neuen Gesetz müssen unter anderem nun auch Computerspiele wie bislang Kino- und Videofilme mit einer Altersfreigabe gekennzeichnet sein. Erweitert und verschärft wurden außerdem die Verbote für schwer jugendgefährdende Medien. Auch ohne Indizierung durch die Bundesprüfstelle sind Bücher, Videos, CDs, CD-ROMs und DVDs, die den Krieg verherrlichen, verboten. Alle neuen Medien, auch Internet-Seiten, können zudem Alterbeschränkungen unterliegen und auf den Index gesetzt werden -- damit träfen auf sie dann ebenfalls Sperrungsverfügungen zu.

"Ich gehe davon aus, dass auch im Bereich der Zugangsprovider jetzt andere Entscheidungen möglich sind", sagte der Chef der Thüringischen Landesmedienanstalt, Victor Henle, im Anschluss an die konstituierende Sitzung der Kommission für den Jugendmedienschutz (KJM) gegenüber heise online. Die KJM soll nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag künftig vorgeben, was Kindern nicht nur in der Glotze, sondern vor allem in den Online-Medien schadet. Henle setzt dabei auch darauf, dass der neue Staatsvertrag als "einmalige Regelung" in Europa künftig auch Vorbildcharakter für die Länder haben könne, in die Anbieter von Gewaltpornographie oder anderen problematischen Inhalten derzeit ausweichen können.

Bei der ersten Sitzung in Erfurt kam die Kommission über organisatorische Fragen wie die Wahl der neuen Spitze oder die Höhe der Aufwandsentschädigungen für die Kommissionsmitglieder noch kaum hinaus. Allerdings liegt laut Henle ein erster Zertifizierungsantrag von der FSF vor, der Freiwilligen Selbstkontrolle Film. Ein Prüfausschuss der KJM werde sich mit dem Zertifizierungsantrag befassen und damit auch Grundsatzfragen für die Zulassung der Selbstkontrolleinreichtungen klären. "Die Regelungen werden schließlich auch für alle nachfolgenden Anträge gelten." Für die Arbeit der FSF sieht Henle vor allem die Änderung, dass sie sich anders als bisher alle "entwicklungsbeeinträchtigenden Sendungen" vorlegen lassen muss.

Im Bereich Internet mit seinem geringen "Organisationsgrad" sieht Henle eine Menge Arbeit auf die KJM und die Medienanstalten direkt zukommen. Bislang habe das Internet die Medienanstalten nur peripher berührt. Jetzt sieht Henle die Aufsicht über Zehntausende von Anbietern, die nicht freiwilligen Selbstkontrolleinrichtungen angeschlossen sind, auf die Anstalten zurollen. "Wir müssen erst einmal in die Tiefen des Internet hinabtauchen. Da muss man eine große Gasflasche dabei haben und darf sich angesichts des Schreckens nicht verleiten lassen, zu schnell wieder nach oben zu schwimmen, damit man nicht platzt." Den Medienanstalten sei durchaus klar, dass eine lückenlose Kontrolle hier nicht möglich sei. "Da bräuchte man eine Institution mit 20.000 Leuten und die müssten alle 14 Tage auswechselt werden, weil ihnen das Kotzen kommt."

Die europäischen Reaktionen auf das erste Content-Gesetz in Europa sind gemischt. Großbritannien und Deutschland seien in Jugendschutzfragen bislang besonders engagiert gewesen, sagt Jean-Christophe LeTocquin, Vizepräsident des Provider-Dachverbandes EuroISPA. Während Großbritannien sich stärker um die Gefahren für Kinder und Jugendliche im Chatrooms gekümmert habe -- dazu starteten die Briten kürzlich eine große Aufklärungskampagne -- "war Deutschland mit dem Gesetzgebungsverfahren am schnellsten", konstatiert LeToquin.

Thibault Verbiest, Anwalt in Brüssel und Paris und Vorsitzender des Internet Rights Observatory hat gerade eben der belgischen Regierung ein ausführliches Papier zum Jugendschutz im Internet vorgelegt. Darin wird eine spezielle Gesetzgebung befürwortet. Vor allem im Bereich der Altersverifikation sieht Verbiest Nachbesserungsbedarf für den Gesetzgeber. "Das kann man nicht allein der Selbstregulierung überlassen." Um geschützte Bereiche für Kinder im Netz zu schaffen, schlägt das Internet Rights Observatory daneben .kids-Domains für Belgien, Europa und sogar als Top Level Domain vor. Sperrverfügungen gegen Provider lehnt Verbiest kategorisch ab: "Wir halten das nicht für effektiv und es könnte sogar im Widerspruch zur Europäischen Grundrechtecharta und Menschenrechtskonvention sein."

Zu den Regelungen und Vorgehensweisen, die im neuen Jugendschutzgesetz und im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag festgehalten sind, siehe auch die Ausgabe 8/2003 von c't (ab Montag, den 7. April, im Handel):

  • Jugendfreies Internet -- Ein Staatsvertrag reguliert Internet und Neue Medien, c't 8/2003, S. 50
  • Gesetzestücken -- Jugendschutznovelle mit skurrilen Nebenwirkungen, c't 8/2003, S. 78

(Monika Ermert) / (jk)