"Der Hund ist kein Mensch"

Alexandra Horowitz, Kognitionswissenschaftlerin und Professorin für Psychologie an der Columbia University, untersucht in ihrem "Dog Cognition Lab" das Verhalten des Haushundes. Im TR-Interview erläutert sie, warum wir die Tiere so oft missverstehen.

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Horowitz lebt mit Mann und Hund in New York. In ihrem neuen Buch "Inside of a Dog" (Simon & Schuster/Scribner, 368 Seiten, aktuell nur auf Englisch) beschreibt sie das Verhalten des Hundes aus kognitionswissenschaftlicher Sicht – etwas, was ihrer Meinung nach noch viel zu selten geschieht.

Technology Review: Frau Horowitz, Sie haben gerade ein neues Buch über das Verhalten des Haushundes publiziert. Darin argumentieren Sie unter anderem, dass Menschen dazu neigen, das Tier zu vermenschlichen und dass das nicht unbedingt der richtige Ansatz sei. Aber ist es nicht genau das, was Hunde so anziehend macht, dass es also gelungen ist, ein Tier zu züchten, das so fantastisch an die Bedürfnisse des Menschen angepasst scheint?

Alexandra Horowitz: Ich stimme Ihnen mit ganzem Herzen zu, dass der Erfolg des Hundes darin begründet liegt, wie gut angepasst er an den Menschen ist – er ist geradezu darauf "designt", uns zu erfreuen und für uns angenehm zu sein. Das bedeutet aber nicht, dass man ihn nun vermenschlichen müsste und dass genau das es ist, was ihn so attraktiv macht. Ich bin mir sicher, dass man eine noch viel bessere Beziehung zwischen Mensch und Hund aufbauen kann, indem man ihn als Hund begreift, anstatt ihn als vierbeinige, weniger intelligente Version eines Menschen mit Fell zu sehen.

TR: Haben Sie ein besonders gutes Beispiel dafür, wo wir unsere Hunde falsch verstehen?

Horowitz: Ein prima Beispiel sind die so genannten Hundeküsse. Viele Herrchen und Frauchen kennen das – wenn sie nach Hause kommen, leckt ihr Tier sie erst einmal mit der Zunge über das ganze Gesicht. Das wird dann als besondere Zuneigung und Liebe interpretiert.

Wenn man sich nun aber das Wolfsverhalten ansieht, bekommt man eine andere Idee dafür, was dieser "Kuss" bedeutet. Wenn da nämlich ein Tier zum Familienrudel zurückkehrt, wird es erst einmal von anderen Wölfen umzingelt, die alle sein Maul ablecken wollen. Dieser Einsatz der Zunge dient allein dazu, den Neuankömmling dazu zu bewegen, einen Teil des von ihm verspeisten Futters wieder hervorzuwürgen – genau das passiert dann auch häufig.

Was unser Hund da also tut, ist nichts anderes, als uns dazu zu überreden, selbst etwas von dem auszuspucken, was wir kürzlich vertilgt haben. Und er hätte überhaupt nichts dagegen, wenn wir dem nachkommen würden!

TR: Es gibt einen enormen Literaturkanon über Hunde und wie sie mit dem Menschen interagieren – viel davon sind romantische und gar poetische Werke. Wie gut ist aber die aktuelle wissenschaftliche Seite, wenn es um das Verhalten des Hundes geht? Fehlen hier noch Erkenntnisse? Und wenn ja, warum?

Horowitz: Die Hunde-Kognitionswissenschaft, also die Untersuchung der geistigen Vorgänge der Tiere durch den Blick auf ihr Verhalten, ist relativ neu. Es gibt bislang nur recht wenig Forschung in diesem Bereich, besonders wenn man sie beispielsweise mit dem Kanon zu (Menschen-)Affen vergleicht.

Einer der Gründe dafür liegt wohl darin, dass Hunde lange Zeit als kognitionswissenschaftlich weniger spannend angesehen wurden – Forscher interessierten sich mehr für unsere näheren Verwandten und andere Primaten. Ein zweiter Grund: Es leben so viele Hunde in unseren Haushalten, dass wir das Gefühl haben, sie bereits zu "kennen". Beide Gründe haben sich inzwischen aber als falsch erwiesen: Erstens sind Hunde kognitiv oft sogar geschickter als Primaten und zweitens verstehen die Besitzer die Fähigkeiten ihrer Tiere häufig gar nicht richtig.

TR: In Ihrem Buch beschreiben Sie die faszinierende Tatsache, dass die innere Uhr des Hundes stark von seinem Geruchssinn abhängt – er kann sozusagen die Zukunft erschnüffeln.

Horowitz: Ja – jeder weiß eigentlich, dass Hunde sehr gut riechen können, aber wie gut, wird oft missverstanden. Sein olfaktorisches System ist mindestens genauso intensiv wie das visuelle des Menschen – Hunde nehmen die Welt durch Gerüche wahr. Und Gerüche haben eine interessante Eigenschaft, die bildlichen Informationen fehlt: Sie verändern sich mit der Zeit. Einiges, was die Tiere so mit ihrer Nase "sehen" können, besteht also nicht nur darin, um was es sich für einen Geruch handelt, sondern auch, wie alt er ist. Sie können Zeit damit geradezu erschnüffeln.

TR: Unser Familienhund, Dexter, der Kaninchenteckel, hat einige interessante Eigenschaften, die ich so bei anderen Hunden noch nie gesehen habe. Beispielsweise reagiert er stets leicht genervt und sehr menschenähnlich, wenn man ihn beim Schlafen stört (was er übrigens am liebsten unter einer Decke tut, nicht auf ihr). Die Geräusche, die er dabei veranstaltet, wirken sehr, sehr menschlich. Was ich damit sagen will: Es gibt Verhaltensmuster, die sich für den Laien nur schwer beispielsweise der Wolfsphase zuordnen lassen.

Horowitz: Ein solches Genervtsein oder die Bildung von Schlafpräferenzen sind genauso wie andere "Persönlichkeitsmerkmale" bei vielen Säugetieren vorhanden, also nicht nur bei Menschen. Auch Wölfe zeigen Unterschiede im Temperament – manche sind sozialer, manche lockerer, manche ängstlicher. Das sehen wir auch bei Hunden.

TR: Kann das Vermenschlichen der Tiere gefährlich sein?

Horowitz: Ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde, aber es kann völlig irreführend sein. Ein gutes Beispiel liegt darin, Hunde, die ungern nach draußen gehen, wenn es nass ist, mit Regenjäckchen auszustatten. Für uns ist das eine Möglichkeit, trocken zu bleiben. Für den Hund aber gar nicht: Der hat nur das Gefühl, dass das Jäckchen ihn auf seinen Rücken drückt.

Genau das wiederum reproduziert ein Gefühl, das der Hund hat, wenn ein dominanteres Tier über ihm steht. In einigen Fällen lassen sich die Tiere ein solches Regenjäckchen gefallen, fühlen sich dabei aber enorm unwohl. Unsere Einschätzung, dass ein Hund Regen "nicht mögen" könnte, wie wir das manchmal tun, führt dazu, dass wir ihn zu etwas zwingen, was bei ihm völlig falsch ankommt.

TR: Wie beenden wir diese Vermenschlichung aber am besten?

Horowitz: Es ist ganz natürlich, das zu tun. Ich will auch nicht, dass wir alle gleich damit aufhören – manchmal kann es sogar richtig sein, das Tier menschenähnlich zu behandeln. Ich denke aber, dass wir uns besser darüber informieren sollten, was das natürliche Hundeverhalten ist. Wenn wir verstehen, welche Erfahrungen das Tier tatsächlich macht, ist es einfacher, es über eine nicht vermenschlichte Sprache zu erreichen. Das ist auch das Hauptziel meines Buches. (bsc)