Webfilter: Wer nicht labelt, den bestraft der Filter

Wer im Web ist, soll doch bitte auch sagen, was er dort anbietet -- und zwar per filterfreundlichem Metatag. Wer das aber nicht tut, der muss künftig vermehrt damit rechnen, dass andere sein Webangebot in eine Schublade stecken.

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Von
  • Monika Ermert

Wer im Web ist, soll doch bitte auch sagen, was er dort anbietet -- und zwar per filterfreundlichem Metatag. Wer dieses so genannte Selfrating für Webfilter aber nicht durchführt, der muss künftig vermehrt damit rechnen, dass andere sein Webangebot in eine Schublade stecken. Die Internet Content Rating Association (ICRA) hat mit EU-Geldern ihr auf dem W3C-Standard Platform for Internet Content Selection (PICS) basierendes Filtersystem neu aufgesetzt. Es soll zusätzlich zum vielbeschworenen Selfrating auch die Einbindung kommerzieller Filtersoftware möglich machen.

Der Provider-Branchenverband eco kündigte in der vergangenen Woche an, dass er künftig ICRA in Deutschland vertreten wird. Gegenüber heise online mochte sich eco-Anwalt Thomas Rickert jedoch noch nicht festlegen, ob der Verband bei der Kommission für den Jugendmedienschutz (KJM) den Antrag auf Zulassung von ICRAplus als Jugendschutzprogramm getreu den neuen gesetzlichen Jugendschutzbestimmungen stellen wird. "In welcher Konstellation wir da vorgehen, kann ich derzeit noch nicht sagen", meinte Rickert, der gleichzeitig Präsident von Inhope (Association of Internet Hotline Providers Europe) ist.

ICRA als reines Selfrating-Programm hätte denkbar schlechte Karten bei der KJM. Eine Studie von jugendschutz.net bezeichnete im Frühjahr ICRA als unzureichend. Mit der Schaffung einer "offenen Filterarchitektur" im EU-Projekt Sift soll ICRA beziehungsweise ICRAplus nun der öffentlichen Hand für den Jugendschutz im Internet schmackhaft gemacht werden. "Der fundamentale Unterschied ist, dass innerhalb des alten Systems nicht gelabelte Webseiten einfach zugelassen oder abgelehnt werden konnten. Jetzt kann die Central Unit auch Informationen anderer Filterprogramme mit gewichten", sagt Phil Archer, Cheftechniker bei ICRA. Besorgte Eltern müssten also nicht darauf vertrauen, dass Anbieter ihre Inhalte richtig kennzeichnen, sondern könnten zusätzliche, auch kommerzielle Filterprogramme dazunehmen.

Der spanische Filterhersteller und Sift-Projektpartner Optenet hat eine nicht gerade schlichte Plattform mit entworfen, wie die verschiedenen Filterlösungen in der Plattform integriert werden sollen. Der dritte Siftpartner Filterix, eine Entwicklung des griechischen National Centre for Scientific Research, ist auf pornographische Texte und Nackt-Bilder trainiert und soll weiter "lernen". Innerhalb von 10 Millisekunden, meint Archer, würde Filterix die Klassifikationen vergeben. "Es ist fast magisch."

Magie auf dem eigenen Computer kann allerdings manchmal auch Mist sein. Archer räumt ein, dass mit zunehmender Komplexität des Systems die Fehleranfälligkeit wächst. Schon bei ICRAfilter gab es zum Beispiel Unverträglichkeiten mit Virenschutzprogrammen. Daran habe man für ICRAplus sehr stark gearbeitet. Noch wenig Erfahrungen gibt es auch mit der Idee des im PICS-Standard vorgesehenen Labeling Bureaus. Das von der deutschen Adultbranche geschaffene Jugendschutzprogramm ist laut Archer die erste entsprechende Anwendung in Europa. Was Jusprog von Optenet und Filterix unterscheidet: Die -- bei allen drei Ansätzen von Dritten vorgenommenen -- Bewertungen sitzen nicht mehr im Rechner des Nutzers, sondern werden jeweils vom Server in Hamburg abgeholt. Zwar macht dies das Auszeichnen von Inhalten flexibler, aktueller und entrückt es dem Zugriff von Filterhackern. Wenn das System aber wirklich viele Abnehmer findet, könnte der Jusprogserver als Flaschenhals für die Nutzer wirken -- von der wenigstens theoretisch vorhanden Möglichkeit einmal abgesehen, dass jemand sich für die Logfiles auf diesem Server interessieren könnte.

Möglicherweise sind es diese Probleme, die den eco zu etwas leisen Tönen veranlassen. "ICRAplus darf nicht mit Sift verwechselt werden," sagt Rickert. Die kommerziellen Programme werde man nicht "promoten", beschwört er, und sich "neutral verhalten". Man halte trotz Sift weiter am Selfrating fest und wolle in erster Linie dessen "Henne-Ei-Problem lösen": Für den Nutzer ist ICRA nicht interessant, weil nicht genug Inhalte entsprechend ausgezeichnet werden; die Anbieter wiederum wollen den Aufwand nur treiben, wenn es auch genug Anwender gibt.

Den Gedanken an eine staatliche Verpflichtung zum Auszeichnen von Webinhalten für Filtersysteme weisen ICRA und eco weit von sich. Wird ausreichend selbst bewertet, hofft man auf offene Ohren bei den Medienwächtern. Und vorerst kann man die kommerziellen Zusatzangebote als Brückenlösungen verkaufen. Gerade damit könnte ICRA am Ende dann doch noch als Verlierer dastehen: Die Anbieter kommerzieller Filter, die sich ICRA mit ICRAplus ins Boot holt, werden nun mit ihren "ICRA-veredelten" Filtervarianten werben. Schon hat ein weiterer kommerzieller Filterhersteller bei ICRA angeklopft. Gut möglich, dass sich der besorgte Vater oder die beunruhigte Mutter dann vor dem geplanten Template-, Schablonen- und Zusatzfilterregal für die einfache Plug-and-Play-ICRA-Version Marke XY entscheidet. Mit dem angepriesenen Prinzip der Selbstbewertung hat das aber schon lange nichts mehr zu tun. (Monika Ermert) / (jk)