E-Commerce Software: Open oder Closed Source?
Bietet Open Source bei Shop-Lösungen Vorteile gegenüber proprietären Lösungen? Was sind die Optionen für Anwender, Entwickler und Hersteller? Vier Unternehmen mit unterschiedlicher Positionierung diskutieren.
- Ulrike Schinagl
heise open: Entscheidet die Größe eines Unternehmens heute noch darüber, mit welcher Form von Software - Open oder Closed Source – am besten gearbeitet werden soll?
Sascha Sauer (Ageto Service): Generell hängt die Entscheidung nicht von der Unternehmensgröße ab. Entscheidend sind eher die Projektgröße, die Komplexität und der Wartungsbedarf. Auch große Unternehmen fahren nicht unbedingt mit einer [kostenpflichtig] lizenzierten Enterprise-Lösung am besten. Oft erfüllt auch eine kleine Open-Source-basierte oder eine On-Demand-Lösung ihren Zweck. Letztlich entscheidet die Total Costs of Ownership. Wir entwickeln mit dem Kunden gemeinsam einen Online-Geschäftsplan. Dann können wir sagen, mit welchem Werkzeug, welcher Technologie und welchem Anbieter wir eine Lösung umsetzen.
Wilfried Beeck (ePages Software): Es wird fälschlicherweise oft angenommen, dass kleine Unternehmen die typischen Open-Source-Anwender sind und große Unternehmen kommerzielle Enterprise-Lösungen bevorzugen. Das ist aber nicht der Fall. Open Source wird vor allem bei Budgetgrößen von 20.000 bis 100.000 Euro eingesetzt. Der Bereich darunter wird hingegen von Standardlösungen wie ePages bedient und der Bereich darüber von Enterprise-Lösungen wie Intershop, Hybris und Demandware. Gerade für kleine Kunden ist der Betrieb von Open-Source-Lösungen in der Praxis zu teuer, weil jede Anpassung mit Aufwand verbunden ist. Bei sehr großen Projekten hingegen spielt der Preis der Software gegenüber dem Gesamtbudget nur eine untergeordnete Rolle. Auch dort kommt also der größte Vorteil von Open Source, die kostenfreie Lizenz, nicht zur Geltung.
Stefan Hollmann (Intershop): Die eigentliche Frage vor der Entscheidung für eine E-Commerce-Lösung lautet, ob die Software die fachlichen und technischen Anforderungen des Unternehmens abdeckt. Auch die Möglichkeit, eine Lösung später zu erweitern, ist ein wichtiges Kriterium. Geht dann noch die Rechnung von Einrichtungs- und Folgekosten im Verhältnis zum Nutzen, beziehungsweise zu erwartendem Gewinn, auf, hat der Händler ein gutes Fundament für sein Online-Geschäft. Ob dabei dann eine Open- oder Closed-Source-Lösung herauskommt oder eine Verbindung von beiden, hängt von der individuellen Situation, nicht von der Unternehmensgröße ab.
Thomas Fleck (NetResearch): Auch in unserem Bereich, dem Open-Source-basierten E-Commerce, gibt es immer mehr Modelle mit gemischtem Ansatz. Es gibt die kostenfreie "Community Edition" ohne Hersteller-Garantie. Das begründet natürlich die bekannten Vorurteile. Aber zunehmend drängen Modelle mit offenem Quellcode in den Markt, für die der Hersteller aber eine Lizenzgebühr verlangt. Dafür bietet er eine Garantie und Service an. Bekanntestes Beispiel ist Magento.
heise open: Wie abhängig mache ich mich als Unternehmer mit meiner Entscheidung für eines dieser Modelle?
Sauer: Im On-Demand-Modell besteht die größte Abhängigkeit, da es sich um ein vollständiges Outsourcing handelt. Aber auch die Abhängigkeit von den eigenen Mitarbeitern durch eine Kündigung kann zu großen Problemen führen. Abhängig ist der Shop-Betreiber immer: Entweder von den eigenen Leuten oder von dem Dienstleister. Bei Open Source ist der Kunde unabhängiger. Er kann schneller wechseln.
Fleck: Stimmt, ich bin mit meinen Angeboten immer überprüfbar. Aber die Gefahr, deshalb einen Kunden schneller verlieren zu können, ist gleichzeitig Motivation, eben das zu verhindern. Damit ist die Offenheit der Open-Source-Software für uns ein Qualitätskriterium.
Hollmann: Abhängigkeit ist immer in zwei Richtungen zu betrachten. Zwar scheint das Open-Source-Modell einen Shop-Betreiber unabhängig zu machen, da er nicht an einen Anbieter gebunden ist. Allerdings ist die Community auch nicht an den Nutzer der Software gebunden. Treibt sie die Entwicklung in eine für den Händler ungünstige Richtung, hat er wenig Einflussmöglichkeiten. Anders sieht es in einem Vertragsverhältnis mit einem Anbieter von Standardsoftware aus. Er ist verpflichtet, dem Shop-Betreiber gegenüber die zugesagte Leistung zu erbringen. Da der Anbieter wiederum abhängig von seinem Kunden ist – er will ihn schließlich langfristig an sich binden, ihm zusätzliche Produkte und Leistungen verkaufen – lässt er in der Regel bei der Weiterentwicklung seiner Lösung Kunden-Feedback einfließen.
Beeck: Jedes Modell bringt eine gewisse Abhängigkeit, aber glücklicherweise kann man sich ja vorher die Fesseln ansehen, mit denen man angekettet wird. Im On-Demand-Modell sollte man sich vergewissern, dass man zumindest per Im- und Export Herr seiner Daten bleibt und den Anbieter notfalls wechseln kann. Open Source wird einem in aller Regel von einem Dienstleister verkauft, der dann die Implementierung und Anpassungen übernimmt. Hier sollte man sicherstellen, dass gewisse Standards eingehalten werden, vor allem in der Dokumentation, damit man notfalls den Dienstleister wechseln kann. Bei den großen Enterprise-Lösungen sollte man sich vor allem das Unternehmen selbst und dessen Zukunftsstrategie und Marktfokus anschauen, um vor Überraschungen gefeit zu sein.
heise open: An welchen Qualitätsmerkmalen sollte sich der Kunde bei seiner Entscheidung orientieren?
Sauer: Referenzen von Bestandskunden. Man kann auch ein Pilotprojekt bauen lassen und dieses mit dem eines anderen Anbieters in einem Code Review vergleichen.
Beeck: Ich würde mir vor allem ansehen, ob es andere Kunden aus meiner Branche gibt, die erfolgreich mit diesem Anbieter oder dieser Plattform arbeiten. Das sichert am ehesten, dass es dort auch eine Zukunft gibt. Außerdem würde ich mir von den Referenzen die Budgetgrößen nennen lassen, mit denen man realistisch rechnen muss.
Hollmann: Sich Referenzen anzuschauen, ist in der Tat unverzichtbar. Dabei zählt nicht nur das jeweilige Geschäftsmodell des Kunden, sondern auch die Vergleichbarkeit von Größe und Umsatz der Unternehmen sowie der Traffic des Online-Shops. Was für einen Anbieter spricht, ist seine Erfahrung im konkreten Marktsegment, da er nur dann die jeweiligen Fachanforderungen tatsächlich berücksichtigen kann.
Fleck: Es gibt den Trend, auch im Open-Source-Bereich Zertifizierungen, wie man sie aus dem kommerziellen Lizenzbereich kennt, einzufĂĽhren. Bei Magento weisen wir eine der Partnerstufe entsprechende Zertifizierung nach.