Lob und Schelte für EU-Kompromiss zu Internetsperren

EU-Medienkommissarin Viviane Reding und Parlamentarier haben den Kompromiss zum Grundrechtsschutz im Telecom-Paket als Stärkung der Internetfreiheit begrüßt, Forscher sind dagegen skeptisch.

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EU-Medienkommissarin Viviane Reding und Europa-Abgeordnete haben den jüngst zwischen EU-Rat und Parlament erzielten Kompromiss zum Grundrechtsschutz im Telecom-Paket begrüßt. Die Luxemburgerin sprach am gestrigen Donnerstag von einer "guten Nachricht für die europäischen Bürger". Dies sei ein Signal, dass die EU grundlegende Rechte gerade im Bereich Informationsgesellschaft ernst nehme. Die mehrmonatige Debatte über Sanktionen für Raubkopierer habe aber auch gezeigt, dass "neue, modernere und effektivere" Ansätze in Europa zum Schutz der Rechte an immateriellen Gütern gefunden werden müssten.

Zugleich zeigte sich Reding erfreut, dass ein "Three Strikes"-Gesetz, durch das Nutzer kurzerhand der Internetzugang gekappt werden könnte, "nicht Teil des europäischen Rechts geworden ist". Regelungen der Mitgliedsstaaten für eine "abgestuften Erwiderung" auf Copyright-Verletzungen im Internet oder vergleichbare Maßnahmen müssen laut der Einigung im Vorfeld ein "faires und unparteiisches Verfahren" vorsehen. Ferner soll Betroffenen das Recht auf eine "effektive und zeitnahe gerichtliche Überprüfung" einer entsprechenden Anordnung zugesichert werden. Die Kommissarin lobte zugleich, dass der Weg nun frei sei für die baldige abschließende Dritte Lesung der im Prinzip abgenickten gesamten Neufassung der Regulierung des Telekommunikationsmarktes. Diese enthalte auch "neue Garantien für ein offenes und 'neutraleres' Netz".

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament, Rebecca Harms, bezeichnete die Verständigung als "Etappensieg für die Zivilgesellschaft". Der Machtkampf um den nicht in Gänze aufrechterhaltenen Änderungsantrag 138, der vor dem Verhängen einer Internetsperre in jedem Fall einen Richterbeschluss erforderlich gemacht hätte, sei zugunsten des Parlaments und der "engagierten Bürger" ausgegangen. Ziel müsse nun eine Gesetzgebung in den Mitgliedsstaaten sein, "die ordentliche Rechtsverfahren vorsieht", bevor ein Internetzugang wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen gesperrt werde.

Auch die britische Politikwissenschaftlerin sieht zwar Verbesserungen im verabschiedeten Papier, bezweifelt aber, dass die gefundenen Formulierungen nationalen "Three Strikes"-Gesetzen Steine in den Weg legen. Generell könnten Netzbetreiber mit dem Paket problemlos den Zugang zu sowie die Nutzung von Diensten und Anwendung beschränken, solange sie ihre Kunden nur darüber aufklärten, fürchtet die Forscherin. Auch Regierungen würden nicht an Maßnahmen zur Einschränkung der Internetnutzung für "politische Zwecke" gehindert.

Der österreichische Rundfunkrechtler Hans Peter Lehofer wendet sich ebenfalls gegen die Interpretation des Grundrechtsparagraphen durch Kommissarin Reding. "Eine neue Internetfreiheit ist die neue Bestimmung jedenfalls nicht", schreibt der Experte in seinem Blog. Herausgekommen sei eine "zahnlose" Formulierung, die letztlich nur rechtsstaatliche Allgemeinplätze wiederhole und somit unnötig sei. Generell war der Streit um Urheberrechtsfragen laut Lehofer im Telecom-Paket fehl am Platz. (vbr)