Cisco drängt in das Geschäft mit Web-Anwendungen

Über 60 neue Kollaborations- und Kommunikationsfunktionen präsentierte Cisco zum Auftakt der Hausmesse Collaboration Summit in San Francisco. Eng integriert mit seinen existierenden Produktplattformen sieht der Router-Riese die Chance, sich Positionen für Cloud-basierte Dienste zu sichern.

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Von
  • Erich Bonnert

Mit der wichtigsten Ankündigung auf seiner Hausmesse heizt Cisco den Rivalen Microsoft und IBM ein: Die Konferenzanwendung Webex wird mit einem Web-basierten E-Mail-Programm ausgebaut. Für eine Monatsgebühr von 3,50 US-Dollar erhält jeder Anwender ein E-Mail-Konto mit 5 GByte Speicherplatz. Für 5 Dollar pro Monat wird Webex Mail außerdem kompatibel zu Outlook. Für einen weiteren Aufschlag ist die Speicherkapazität auf 25 GByte pro Benutzer erweiterbar. Der integrierte Mail-Dienst basiert auf dem Produkt der im Vorjahr übernommenen Firma Postpath. Vorerst ist der Dienst nur in den USA und Kanada verfügbar. Damit tritt Cisco in direkten Wettbewerb zu Microsofts Exchange Server und dem Mail-Dienst Exchange Online. IBM hat erst vor wenigen Wochen den Mail-Service Lotus Cloud Mail gestartet.

Zudem hat Cisco neue Kollaborationswerkzeuge in petto, die sich an bekannten Web-2.0-Anwendungen orientieren. Mit Hilfe der vor gut einem Jahr zugekauften Jabber-Technologie können die Kalifornier Präsenzdaten der Nutzer für die Kollaborationsanwendung nutzen. Mit der Enterprise Collaboration Platform stehen dabei Tools für firmeninterne Text- und Videoblogs, Wikis und gemeinsam bearbeitete Intranet-Seiten sowie Instant Messaging zur Verfügung. Mit dem XMPP-Protokoll von Jabber sind außerdem auch externe, Web-basierte IM-Systeme wie Google Talk und Microsoft Messenger erreichbar.

Video Show and Share sind Ciscos Antwort auf Youtube: eine netzbasierte Anwendung zum Hochladen, Bearbeiten und Veröffentlichen von Videodateien innerhalb von Unternehmen. In Kombination mit dem kürzlich akquirierten Consumer-Camcorder Flip sieht sich Cisco-Chef John Chambers für den von ihm prognostizierten Video-Boom in Büros und Amtsstuben optimal gerüstet. Direkte Kontakte seien in weit verzweiten Firmen oder Behörden immer seltener möglich, erklärte Chambers. Trotzdem strebten die Mitarbeiter "die höchste Form der Kommunikation" an – eben Videoaufnahmen. Cisco selbst sei der beste Beweis für die Effizienz dieses "Web-2.0-Arbeitsstils": Im vergangenen Jahr sei die Blog-Nutzung im Unternehmen um den Faktor 4, Wiki-Aktivitäten um den Faktor 12 und Videopublikationen sogar um den Faktor 67 gestiegen. Der Erfolg: Cisco nehme nun fünf- bis zehnmal so viel neue Initiativen in Angriff wie noch vor wenigen Jahren. Allein für die vier Firmenübernahmen der letzten sechs Wochen hätte Cisco früher wohl ein Jahr gebraucht. "In wenigen Jahren wird über 90 Prozent, wenn nicht sogar über 95 Prozent der Netzwerklast von Videotransfers verursacht," prophezeite Chambers.

Cisco präsentierte auch eine neue Generation seiner IP-Telefone: Diese sind nun HD-Video-fähig. Die Flip-Camera kann man in einen USB-Schacht zum Video-Upload einstöpseln. Zudem können sich Anwender mit den Apparaten in Videokonferenzen mit Ciscos Telepresence-Systemen einwählen. Ebenso lassen sich auf PCs laufende Webex-Anwendungen in eine Telepresence-Sitzung einbinden, sodass bearbeitete Dokumente direkt auf dem Telepresence-Schirm zu sehen sind.

Vom geplanten Kauf des norwegischen Videokonferenz-Herstellers Tandberg war bei der Produktvorstellung nichts zu hören. Cisco hat dem Konkurrenten ein Übernahmeangebot gemacht, das zuvor von über 90 Prozent der Aktionäre akzeptiert werden muss. Chamber sagte später am Rande der Konferenz, er glaube fest an eine Übernahme von Tandberg – jedoch nur zum richtigen Preis. "Ich habe dieses Jahr schon zwei geplante Akquisitionen abgeblasen und würde es wieder tun, wenn der Preis zu hoch steigt." Trotzdem sei der Tandberg-Deal sehr wichtig für Cisco, denn man wolle unbedingt eine Produktentwicklungsbasis in Europa, erklärte Chambers. "Nicht viele haben es bemerkt, aber wir erschließen uns neue geografische Märkte meist durch eine Akquisition." (ea)