Auf der Suche nach den weißen Flecken

Unternehmen patentieren inzwischen nahezu alles, was schützbar ist. Trotzdem ergeben sich immer wieder interessante Lücken für Innovationen. Mit der IT-gestützten so genannten White Spot-Analyse sollen diese aufgedeckt werden.

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Unternehmen patentieren inzwischen nahezu alles, was schützbar ist. Trotzdem ergeben sich immer wieder interessante Lücken für Innovationen. Mit der IT-gestützten so genannten White Spot-Analyse sollen diese aufgedeckt werden.

Als es auf der Erde noch viele kaum bekannte Gebiete gab, machten es sich Entdecker und Naturforscher zur Aufgabe, diese weißen Flecken auf der Landkarte zu füllen: Sie bereisten die unerforschten Gebiete intensiv und versuchten dann, möglichst alles über sie zu erfahren, zu dokumentieren und schließlich wissenschaftlich zu publizieren.

Das Patentwesen wirkt auf den ersten Blick eigentlich wie das Gegenteil solcher im Englischen "White Spots" genannter Regionen: Auch dank der immer wieder erfolgenden Zulassung so genannter Trivialpatente etwa im Software-Bereich gibt es immer weniger Methoden und Techniken, die nicht geschützt wären. 2007 wurden weltweit über 1,8 Millionen Patentanmeldungen vorgenommen, beim deutschen Patent- und Markenamt DPMA waren es im Jahr 2008 allein 62.000. Selbst kleine Erfinder oder Mini-Start-ups erarbeiten sich von Anfang ihrer Geschäftstätigkeit an umfangreiche Patentportfolios, die ja eines Tages etwas wert sein könnten. "Patenttrolle" kaufen möglichst breite Schutzrechte auf und versuchen dann, Großkonzerne, die von ihnen tangiert sein könnten, gerichtlich zur Zahlung großer Summen zu bewegen – spektakuläre Beispiele dafür gibt es aus den letzten Jahren genug, viel Arbeit fällt für Hausjustiziare dabei an, die nicht selten gleichzeitig eine Handvoll solcher Verfahren abzuwehren haben.

Und dennoch: Auch im Patentwesen ist beileibe nicht alles Vorstellbare abgedeckt und eingetragen – dafür sind die Welt und der menschliche Forscherdrang schlicht und ergreifend zu groß. Die Frage ist nur, wie man diese weißen Flecken im Wust der vorhandenen Informationen findet, um von ihnen zu profitieren, was dem Suchen nach einer Nadel im Heuhaufen gleicht. Zum Glück liegen heutzutage die meisten Patentschriften digitalisiert vor. Entsprechende Daten vom US-Patent- und Markenamt (USPTO) in Alexandria, Virginia, oder dem Europäischen Patentamt in München lassen sich kostenlos beziehen, wenn man weiß, wie die Datenbanken zu bedienen sind. Die dort vorhandenen Informationen lassen sich natürlich auch IT-gestützt analysieren, was das Auffinden von Innovationslücken erleichtert.

Yvonne Siwczyk, Forscherin im Kompetenzteam Technologiemanagement am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart, hat die Möglichkeiten der IT-gestützten White Spot-Analyse im Patentwesen nun zusammen mit ihren Kollegen exemplarisch an einem Technologiefeld aufbereitet – der derzeit stark im Aufschwung befindlichen Elektromobilität. Ihre Studie wendet sich dabei nicht nur an Forscherkollegen, sondern auch an Firmen, die die White Spot-Analyse in ihre Geschäftsprozesse übernehmen wollen.

"Patente beinhalten sowohl technische Lösungen als auch die zugehörigen Probleme. Deshalb eignen sie sich besonders dafür, wertvolle Informationen für die lösungs- sowie problemorientierte Ideengenerierung zu liefern", sagt Siwczyk. Um die White Spot-Analyse zu erleichtern, entstand am IAO ein eigenes Verfahren, das spezielle Text-Mining-Werkzeuge enthält. Die Forscher entwickelten es zusammen mit einem Kooperationspartner, der TEMIS Deutschland GmbH, schließlich selbst, weil sich zeigte, dass es auf dem Markt bislang keine Software gab, die über Schlüsselwörter oder Phrasen hinaus detaillierte Probleme und Lösungen in einem Technologiefeld darstellen konnte. "Technische Details lassen sich nur inhaltlich begrenzt darstellen. Des Weiteren müssen die häufigsten Stichwörter im Dokument nicht unbedingt die relevantesten sein", hat Siwczyk nach Durchsicht der wichtigsten Patentdatenanalyseprodukte festgestellt, die sie in ihrer Studie vorstellt.

In der Praxis startet jede White Spot-Analyse stets mit einer regulären Patentrecherche. Diese erfolgt iterativ in sich wiederholenden Prozessen, damit durch zu eng gefasste Suchbegriffe nicht wichtige Schutzanmeldungen übersehen werden. Dann werden die aus den Patentschriften extrahierten Probleme und Lösungen in einer Matrix dargestellt, die sich mit Methoden aus der klassischen statistischen Analyse bearbeiten lassen. Daraus ergeben sich freie Fläche, die abschließend auf ihr wirtschaftliches Potenzial untersucht werden können.

In der Gegenüberstellung zwischen manueller Recherche und der IT-gestützten Variante ergaben sich beim Beispielthemengebiet Batteriesysteme klare Vorteile, so Siwczyk. Ganz ohne menschliche Unterstützung kommt die Technik natürlich auch nicht aus: Auch semantische Systeme können einem Unternehmen die Entscheidung nicht abnehmen, ein bestimmtes neues Produkt zu bauen.

Die Studie "IT-gestützte White-Spot-Analyse" erschien Mitte Dezember 2009 und ist über das Fraunhofer IAO zu beziehen. (bsc)