Plädoyer für N 623

Verbraucher wünschen sich zurecht mehr Transparenz bei Nanoprodukten, besonders bei Lebensmitteln und Kosmetika. Ein bloßes Nano-Label hilft aber nicht. Besser wäre ein richtiges Kennzeichnungssystem.

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Von
  • Niels Boeing

Wenn es um die Regulierung von Nanomaterialien ging, wiegelten noch vor nicht allzu langer Zeit Politik und Wirtschaft ab: Die bestehenden Gesetze reichten aus, um die potenziellen Risiken im Griff zu haben, hieß es. Dank zunehmender Erkenntnisse aus der Nanotoxikologie ist hier nun erfreulicherweise einiges in Bewegung gekommen. Das EU-Chemikalienrecht REACH soll nun doch für Nanomaterialien nachgebessert werden. Und das EU-Parlament beschloss im Sommer, Nanomaterialien in Lebensmitteln und Kosmetika zu kennzeichnen.

Denn immer wieder haben Verbraucher in verschiedenen Umfragen erkennen lassen, dass sie Nanotechnologien nicht per se ablehnen, wohl aber erhebliche Bedenken haben, wenn ihnen Nanomaterialien allzu nahe kommen.

In der geplanten Kennzeichnung steckt allerdings ein gehöriges transatlantisches Konfliktpotenzial, das dem Streit über ein Label für gentechnisch veränderte Lebensmittel ähneln wird. Die USA dürften wohl auch ein Nano-Label als eine Diskriminierung von Produkten und damit als eine unerlaubte Handelsbarriere im Sinne der WTO sehen.

Man könnte darüber vorschnell den Kopf schütteln. Doch der amerikanische Jurist Richard Canady wies vergangene Woche auf einer Tagung zur internationalen Risikoregulierung von Nanotechnologien in der Evangelischen Akademie Loccum auf einige ernsthafte Schwierigkeiten hin, will man Produkte als Nano-Produkte auszeichnen. Legt man nämlich nur die Nanoskaligkeit von Inhaltsstoffen und eine Stoffbearbeitung auf der Nanoskala zugrunde – müsste dann nicht auch homogenisierte Milche als Nanolebensmittel deklariert werden, fragte Canady? Ein anderes Beispiel ist Titandioxid (TiO2), das als Weißpigment seit jeher in weißer Farbe genutzt wird. Ab welchem Gehalt an TiO2-Nanopartikeln, so Canady, würde die Farbe zur "Nanofarbe"? Wahrscheinlich enthielt weiße Farbe durch den Produktionsprozess immer schon auch einen gewissen Anteil an Nanopartikeln – also alles Nanofarbe?

Man könnte, hier sehr treffend, sagen: Der Teufel steckt eben immer im Detail. Damit muss man sich auseinandersetzen.

So einfach ist es aber nicht. Eine Kennzeichnung von Produkten soll diese ja transparenter für Verbraucher machen. Ein reines Nano-Label würde dies aber gerade nicht erreichen, weil Nanoskaligkeit ja seit jeher jedem Molekül zu eigen ist.

In einem der Workshops auf der Tagung haben wir zu mehreren einen anderen Ansatz angedacht, der sich für Lebensmittel und Kosmetika eignen und meines Erachtens auch mit REACH kombinieren lassen würde. Man könnte analog zu den Lebensmittelzusatzstoffen , die europaweit seit 1977 mit den bekannten E-Nummern gekennzeichnet werden, eine Liste von N-Nummern einführen. Damit werden dann Stoffe in Nanopartikelform (bis hinunter zum Cluster) gekennzeichnet, aber keine organischen Moleküle, die ja unvermeidlich nanoskalig sind. Die Informationen zu diesen N-Zusatzstoffen könnten öffentlich zugänglich dokumentiert werden, etwa unter www.nanopartikel.info, der Seite des deutschen Nanocare-Projekts, die bereits einige Stoffbeschreibungen (wenn auch zuerst aus toxikologischer Sicht) enthält.

Was wäre damit gewonnen? Zum einen würden nur bewusst als Nanopartikel formulierte Stoffe gekennzeichnet und nicht alles, was "irgendwie nano" ist. Über die N-Nummer hätten Verbraucher Zugriff auf deutlich mehr Informationen als über ein bloßes Nanolabel. Basis-Informationen könnten über den Registrierungsprozess unter REACH gesammelt werden und nach den Anforderungen etwa des Lebensmittelrechts noch ergänzt werden (denn tatsächlich dürften einige Nano-Zusatzstoffe auch REACH-Kandidaten sein). Und wer N-Stoffe im Essen genauso wenig mag wie E 623 (Glutamat), kauft das Zeug eben nicht.

Vor allem würde damit auch klarer, dass nicht "die Nanotechnologie" – die es im Singular gar nicht gibt – reguliert werden muss, sondern es immer um konkrete Nanoanwendungen geht. Diese Differenzierung mag nicht allen schmecken. Aber sie ist nötig, weil sich Nanotechnik gerade nicht analog zur Gentechnik verhält. Und sie stellt sicher, dass sinnvolle Nanotechnologien für Umwelt und Gesundheit vorankommen und nicht länger unter einen kruden Generalverdacht gestellt werden. (nbo)