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Vieles von dem, was im Netz zur Zeit so gehypt wird, ist mit einer Art von virtuellem Geschwindigkeitsrausch verbrämt: Alles wimmelt, wuselt, blinkt und winkt. Alles ist immer SOFORT!

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Unser Verlag pflegt eine familiäre Atmosphäre - und so gibt es im Hause nicht nur die unvermeidliche Weihnachtsfeier: Zusätzlich steht jedes Jahr, kurz vor Heiligabend, der Chef höchstpersönlich vor dem Verlagsgebäude am Grill, bereitet Würstchen und schenkt Glühwein aus. Doch die Medienkrise hat auch unsere Insel der Seligen nicht völlig verschont, und so sollte es - so erfuhren wir vor einigen Wochen aus dem internen Internet-Informationsdienst - dieses Jahr keine Wurst geben.

Ich habe das nicht in alle Facetten mitverfolgt, doch die Verzichtspolitik muss hausintern zu Verstimmungen geführt haben. Denn vor einigen Tagen meldete der selbe Informationsdienst nun, dass natürlich auch dieses Jahr zum Weihnachtsfest gegrillt werde. Ich fuhr morgens mit einem Kollegen in der Straßenbahn zur Arbeit , und wie es der Zufall so wollte, streiften wir auch dieses Thema: „Ach“ sagt der Kollege erstaunt, „Ich wusste gar nicht, dass der Event abgesagt war.“ „Kannst Du mal sehen“, entgegnete ich, „Du hast zwei Nachrichten versäumt, aber im Grunde genommen nichts verpasst, denn am Schluss war es so, wie Du eigentlich bereits erwartet hast.“ „Stimmt“, nickt der Kollege. „Erinnert mich an Twitter“.

Das ist ein bisschen wie die Geschichte vom Hasen und Igel: Stillstand ist schneller als hinter dem Neusten und Aktuellsten Stand hinterher zuhecheln. Man muss ihn nur aushalten können. Denn vieles von dem, was im Netz zur Zeit so gehypt wird, ist mit einer Art von virtuellem Geschwindigkeitsrausch verbrämt: Alles wimmelt, wuselt, blinkt und winkt. Alles ist immer SOFORT - Echtzeit scheint das Über-Buzzwort des Jahrzehnts: Google Wave, die elektronische Kommunikation mit der Google die gute, alte E-Mail aufs Altenteil schicken will, verknüpft auf elegante Art und Weise Mail mit Instant Messaging. Nur leider geht auf diese Weise die Asynchronität des Mediums zum Teufel: Ich kann mir mit der Antwort nicht mehr Zeit lassen, bis ich in Ruhe nachdenken kann, sondern muss gleich reagieren, sofort, in Echtzeit eben, denn alles andere wäre ja grob unhöflich.

Vielleicht ist das Unbehagen an solchen Entwicklungen aber auch nur eine Altersfrage - Frank Schirrmacher hat in seinem neusten Buch ja recht wortgewaltig über den Information Overflow geklagt - ich habe mich beim Lesen ganz prächtig amüsiert - aber die Digitale Boheme konnte offenbar weniger drüber lachen: Blogger-Icon Sascha Lobo hat Schirrmacher gleich kräftig den Kopf gewaschen, ihm "Kulturpessimismus“ vorgeworfen und unberechtigte „Angst vor Kontrollverlust“.

Recht hat er. Man muss der technischen Entwicklung nur vertrauen. Schließlich wissen wir spätestens seit Einführung der IT, dass es mehr technische Problemlösungen als Probleme gibt. Da wird sich doch auch noch was erfinden lassen, um der Informationsüberflutung Herr zu werden. Bereits 2003 - das Paper habe ich rein zufällig aus einem Stapel gezogen, den ich eigentlich heute dann doch mal aufräumen wollte - hat der Informatiker Dennis Chao etwas in der Richtung vorgeschlagen : Sein "Information Immune System" lässt nur solche Informationen durch, die für den Benutzer tatsächlich relevant sind - wenn die technische Basis sämtlicher Kommunikation das Internet ist, dann ist das eh ein Aufwaschen. Das geht Ihnen dann doch zu weit? Warten Sie's mal ab - an den Spamfilter im Mailprogramm haben wir uns ja auch gewöhnt. Spannend wird noch die Implementierung in der echten, realen Welt. Ich warte ja auf den Tag, an dem mein Smartphone mir sagt: "Mit dem brauchst Du Dich nicht zu unterhalten. Der textet Dich eh nur sinnlos zu."

(wst)