Vorratsdatenspeicherung vor dem Bundesverfassungsgericht

Telefonunternehmen müssen seit dem 1. Januar 2008, Internet-Provider seit dem 1. Januar 2009 die Verbindungs- und Standortdaten ihrer Kunden verdachtsunabhängig für staatliche Ermittler speichern. Im Vorfeld der mündlichen Verhandlung über die Klagen gegen die Protokollierung der Nutzerspuren bringen sich Bürgerrechtler, Datenschützer, Medienverbände und Ermittler in Stellung.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 216 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.

Im Vorfeld der mündlichen Verhandlung der Verfassungsbeschwerden gegen die verdachtsunabhängige Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten am morgigen Dienstag in Karlsruhe bringen sich Bürgerrechtler, Datenschützer, Medienverbände und Ermittler in Stellung.

Seit dem 1. Januar 2008 müssen Telefonanbieter Verbindungs- und Standortdaten ihrer Kunden verdachtsunabhängig aufbewahren (§ 113a TKG). Für die Internetprovider galt eine Übergangsfrist bis Januar 2009. Bei dieser Vorratsdatenspeicherung müssen Telekommunikationsanbieter sechs Monate lang speichern, wer mit wem wann telefoniert hat. Bei Mobilfunkgesprächen wird auch archiviert, von wo aus telefoniert wurde. Konkret gespeichert werden Rufnummer, Uhrzeit, Datum der Verbindung und – bei Handys – der Standort zu Beginn des Gesprächs.

Beim Internet werden Daten zum Zugang (IP-Adresse) sowie zur E-Mail-Kommunikation und Internet-Telefonie erfasst. Der Kommunikationsinhalt oder der Aufruf einzelner Internetseiten sollen nicht gespeichert werden. Zugriff haben Polizei und Staatsanwaltschaft. Dafür brauchen sie in der Regel einen Richterbeschluss. Aber auch Geheimdiensten stehen die Vorratsdaten prinzipiell offen. In mehreren Verfügungen haben die Verfassungsrichter den Zugriff der Ermittler aber bis zu einer Entscheidung über die Klagen gegen die Vorratsdatenspeicherung stark eingeschränkt.

Die sechsmonatige Protokollierung der Nutzerspuren "gewährleistet nicht die Sicherheit unbescholtener Bürger, sondern gefährdet sie", erklärte nun beispielsweise Florian Altherr vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung im Vorfeld der Karlsruher Anhörung am Dienstag. Die Statistik zeige, dass Straftaten mit der Verpflichtung zur Aufbewahrung von Verbindungs- und Standortinformationen weder häufiger aufgeklärt noch verhindert würden als ohne diese Vorsorgemaßnahme. Dagegen nehme sie Straftätern, Kranken und Hilfsbedürftigen die Möglichkeit, sich anonym und ohne Furcht vor Nachteilen am Telefon helfen zu lassen.

"Ohne die Vorratsdatenspeicherung wäre die Polizei in vielen Fällen blind und taub", hält der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, im Gespräch mit dem "Hamburger Abendblatt" dagegen. Die Strafverfolger könnten sonst "nur noch die Täter fassen, die mit dem Hammer die Scheibe einschlagen, nicht aber die, die sich für schwere Verbrechen verabreden". In einigen wenigen Fällen hätten mit Hilfe der Vorratsdatenspeicherung auch "Gefahren für das Leben im Vorwege" abgewehrt werden können. Allgemein betonen Ermittler immer wieder, dass sie ausgebrochenen Schwerverbrechern oder im Internet ihr Unwesen treibenden Päderasten und anderen Cybergangster ohne die moderne, vom Computer aus bedienbare Fahndungstechnik mit vielerlei Rastermöglichkeiten nicht habhaft werden könnten.

Fakt ist, dass bei der Nutzung der digitalen Technik ohne Treffen zusätzlicher Schutzmaßnahmen umfangreiche Datenbestände anfallen: Wer sein Mobiltelefon einschaltet, funkt seinen Standort permanent durch die Welt. Wer im Internet surft, ist über seine IP-Adresse mehr oder weniger einfach identifizierbar. Verbindungsdaten könnten aussagekräftiger als Inhaltsdaten sein, warnte der Chaos Computer Club (CCC) neben anderen Rechtsexperten und Datenschützern in einer Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht. Und das nicht zuletzt, weil sie automatisiert analysierbar seien. Das Potenzial der Vorratsdatenspeicherung als Ermittlungsinstrument ist somit groß –­ genauso groß aber, wie die damit einhergehende Gefahr für weitgehende Grundrechtseingriffe. Wenn umfangreiche Datenmengen gespeichert werden, häufen sich schließlich auch die Möglichkeiten für Missbrauch oder den Diebstahl der sensiblen Informationen.

In diesem Sinn weist der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung auf eine neue Eingabe (PDF-Datei) des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar im Rahmen der Karlsruher Prüfung hin. Telekommunikationsunternehmen sollen demnach rechtswidrig weit mehr Informationen erfasst haben, als im Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vorgesehen. Dabei gehe es etwa um die Inanspruchnahme von Internetzugängen, Handys, Hotspots, E-Mail und Telefonanschlüssen. Von Nutzern mobiler Internetzugänge würde oft gar der jeweilige Standort "lückenlos erfasst".

Bei einem Anbieter sei das Bewegungsverhalten in den vergangenen sechs Monaten auf 15 Minuten genau "präzise nachzuverfolgen" gewesen. Viele TK-Firmen bewahrten die Daten zudem länger als die erlaubten sechs Monate auf. Zugriffe darauf würden nicht immer protokolliert und seien dadurch nicht nachvollziehbar. Die richterlichen Genehmigungen seien "recht häufig" mangelhaft. Entsprechende Berichte geben der mit der Vorratsdatenspeicherung verknüpften Angst vor dem "gläsernen Bürger" weiter Nahrung.

Auch Medienverbände und Fernsehsender haben dem Bundesverfassungsgericht noch einmal die möglichen Folgen der Protokollierung der Nutzerspuren vor Augen geführt. In einem Schreiben an Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier weisen sie laut "Spiegel" darauf hin, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Journalisten und potenziellen Informanten "mit bislang nicht gekannter Intensität" gefährdet wäre, sollten die Karlsruher Richter das Gesetz bestätigen. Der Staat erhalte damit "erstmals Zugriff auf alle elektronischen Kontakte von und mit allen Journalisten" für das jeweils zurückliegende halbe Jahr. "Allein diese Tatsache wird Informanten massiv abschrecken", heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme von den Journalistenverbänden DJV, ver.di, den Verbänden der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage BDZV und VDZ, der ARD, dem ZDF und dem Privatsenderverband VPRT.

Insgesamt sehen sich die Hüter der Verfassung mit einem historischen Fall konfrontiert: Allein eine der mehreren anhängigen Verfassungsbeschwerden wird von über 34.000 Bürgern unterstützt. Unter anderem aus Sorge um das informationelle Selbstbestimmungsrecht haben zudem Gewerkschaften und zahlreiche Parteien und einzelne Politiker geklagt. Dazu gehört neben den Altliberalen Gerhart Baum und Burkhard Hirsch die jetzige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die FDP-Politikerin sieht sich mit dem Wechsel aus der Opposition auf die Regierungsbank in der paradoxen Situation, gegen das Gesetz zu sein und es zugleich doch qua ihres Amtes verteidigen zu müssen. Um diese Doppelrolle nicht auf die Spitze zu treiben, wird sie entgegen anderer Ankündigungen der Verhandlung nun fernbleiben. Ihre Verfassungsbeschwerde hält sie aber aufrecht.

Die Karlsruher Richter haben in einstweiligen, immer wieder verlängerten Anordnungen das Schürfen in den Datenhalden durch den Staat bereits stark eingeschränkt. Seitdem dürfen Sicherheitsbehörden nur noch zur Abwehr schwerer Gefahren und zur Verfolgung im Einzelfall schwerwiegender Straftaten auf die Verkehrsdaten zugreifen. Die Verfassungshüter monierten auch, dass der Bund bei der Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie ohne Not über die "zwingenden Vorgaben" aus Brüssel hinausgegangen sei. Die EU habe den Datenzugriff allein bei "schweren Straftaten" vorgesehen, nicht schon bei "mittels Telekommunikation" begangener Delikte wie Stalking im Internet.

Spannend wird jetzt die Frage, ob es das Verfassungsgericht bei dieser Linie belässt oder ob es auch die Datenspeicherung an sich als unvereinbar mit dem Grundgesetz wertet. Auch die Äußerungen der Richter zum Zusammenspiel mit Brüssel beziehungsweise dem Gerichtshof der EU werden genau zu verfolgen sein. Datenreisende können eine Pressekonferenz des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung und dessen Live-Berichterstattung zu den Vorgängen im Gerichtssaal online miterleben.

Siehe dazu auch:

(jk)