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Was war. Was wird.

Weihnachten ist die hohe Zeit des Werblödens und der Niewolosigkeit. Hal Faber, vom Festtagsbraten wohlgemästet, blickt in die Glaskugel der anderen, widmet sich dann aber lieber seiner ganz persönlichen Rückschau.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Weihnachten ist die hohe Zeit des Werblödens, wo jegliche Niewolosigkeit noch locker unterboten und Wham gehört wird. Selbst das gelehrte Feuilleton ist dann schwer werstört . Die allgemeine Werblödung macht vor dem Kino nicht Halt, das beweist ein zu Weihnachten gestarteter Film über Albert Schweitzer, der die Bespitzelung durch die CIA (PDF-Datei) einfach ein paar Jährchen früher ansetzt, weil's so gleich viel spannender ist. Beim Werblöden ist Wahrheit nur hinderlich.

*** Das weihnachtlichen Werblöden unterscheidet sich vom alltäglichen Verblöden dadurch, dass der Wanst stets gut gefüllt ist und zur matten Hirntätigkeit eine gewisse Flatulenz hinzukommt. Das gilt auch für ein WWWW, das am Boxing Day gefüllt werden will. Dabei gibt es Inhalte genug, die selbst in diesen beschaulichen Tagen von der allgemeinen Verblödung künden. Man nehme nur die Ansichten eines Kulturstaatsministers, der sich als Lobbyist der Zeitungsverleger über Softwareprogramme äußern darf. Wie wäre es mit einem Kulturpolitiker, der glasklar fordert, dass die via GEZ finanzierten öffentlich-rechtlichen Anstalten dafür zu sorgen haben, dass ihre Inhalte ohne allen "Äpp"-Schwachsinn auf mobilen Terminals empfangen werden können? Andernfalls steht die ebenfalls vom Minister vertretene Argumentation rund um die Internet-Gebühr für digitale Dingsbumsdinger auf reichlich krummen Beinen. Dass die von den Verlegern geforderte Leistungsabgabe auch verkrüppelt ist, macht das Argument nicht besser.

*** Auf Netzpolitik ist als Reaktion auf den Weihnachtswunschzettel der Wunsch nach einem neuen Kulturstaatsminister zu lesen. Eigentlich keine schlechte Idee, nur bliebe wie Frage, welche neue Kultur ein Politiker wirklich vertreten kann. Wie wäre es mit einem Minister, der die richtige Konsequenz aus all den Smartphones, ihren "Äpps", den e-Books, Gadgets und den Chatrooms zieht und endlich den Unterricht im Schreiben abschafft? Wozu braucht man eigentlich noch die Handschrift, die uns ausbremst und uns von den digitalen Gerätschaften trennt? Die ganze Kleckskultur hat sich überlebt wie die Floppy. Richtig bedacht, könnte gleich die ganze Drillschule wegfallen, denn alles, was man im Leben braucht, wird im Kindergarten gelernt.

*** Die feine Analyse der Lektionen aus dem Kindergarten schrieb übrigens Robert Fulghum, einer der Lehrer von Bill Gates. Sein Schüler schenkte ihm später die erste Kopie der ersten Anwendung, die Microsoft vom Xerox-Projekt Bravo dank Charles Simonyi kopieren konnte. Fulghum benutzte damals WordPerfect, eine längst vergessene Software. Nun hat Microsoft ausgerechnet zum unheiligen Festivustag eine deftige Niederlage für ein "kleines, obskures Feature" (so der MS-Anwalt) kassiert. 290 Millionen Dollar Schadensersatz und eine Änderung in allen Word-Programmen, die ab 11.1.2010 verkauft werden, sind aus der Sicht von Microsoft vielleicht nicht der große Niederschlag, sondern ein kleiner Stich. Bemerkenswert bleibt, dass dieser Weltkonzern auch nach dem Jahr 2000, als die Entwicklung der inkriminierten Word-Version begann, keine Scheu hatte, ein kleines, obskures Feature mal eben zu klauen.

*** Zwischen den Jahren kommen nicht nur die besten Kulturideen, sondern es ist auch die Zeit, in der die Vorhersagen für das nächste Jahr nur so sprudeln, besonders in der IT-Branche, in der Weitsicht mit dem Spielchen "Wer kauft Wen" verwechselt wird. Ist die Prognose Oracle schluckt endlich Sun wirklich soo überraschend? Besser finde ich schon die Prognose, das Steve Ballmer Microsoft verlässt, wenn der große Rest einfach nur langweilig ist. Es erinnert an die Vorhersage für 2009, dass Apple einen Nachfolger für Steve Jobs vorstellen wird. Deutsche Varianten des Spielchens sind nicht besser, sondern nur noch allgemeiner gehalten, damit sich niemand beschwert. Dann schon lieber die Vorhersagen zur Wirtschaft, die der grantelnde Don aus dem Geflimmer des Tegernsees liest. Dem man zustimmen muss, wenn unter den Vorhersagen Mails auftauchen und behaupten, dass China das Schlachtfeld der zukunft für Smartphones sein wird. 11 Jahre Haft für einen Vertreter der Charta 08 zeigen, dass nach dem jämmerlichen Klimagipfel eine neue Eiszeit kommt.

*** Heute ist der Geburtstag von Greg Mortenson. Sein Buch Stones into Schools ist die angeordnete Pflichtlektüre für alle höheren US-Dienstgrade vor ihrem Einsatz in Afghanistan. Das niemand das Pflichtbuch der US-Army zu lesen scheint, ist ein eigenes Drama der Literarisierung. Das Buch hilft ganz nebenbei, das Geschwafel deutscher Politiker über den humanhelferischen Einsatz der Bundeswehr zu durchschauen, die längst vom Kurs abgewichen ist. Greg Mortenson war auf der Liste der diesjährigen Kandidaten für den Friedensnobelpreis, den ein gewisser Barack Obama für seine 30.000 Mann mehr nach Afghanistan bekam. Wem Bücherlesen zu anstrengend ist: Hier gibt es eine Art weihnachtskompatible Kurzfassung des Geschehens vor Ort.

*** Zu den traurigen Jahrestagen gehört der Abschied von Vic Chesnutt, dem Sänger, der meistens über seine eigenen Depressionen sang, das aber "humorvoll", wie ein Scherzkeks in der Wikipedia geschrieben hat. Wahrscheinlich ist die Formel "verstarb an den Folgen eines Selbstmordversuches" auch so ein Witz, der irgendwo steckengeblieben ist.

Was wird.

Nach dem WWWW ist vor dem WWWW: Die Spezialausgabe zum Jahresende, unterfüttert mit aufregenden statistischen Zahlen, steht schon in den Startlöchern. Was gibt es schöneres als eine Statistik, die man selbst gefälscht hat? Hat Zensursula die Nachrichten aus der norddeutschen Tiefebene dominiert oder war nicht doch Windows 7 die wichtigere und interessantere Meldung? Und was ist das Gelächter über all die tollen Prognosen der Trendmützen verglichen mit der Freude über ein frisches neues Jahr? Überdies ist 2010 natürlich das Jahr, in dem die nordischen Orionen landen, die uns bekanntlich das Armageddon von 2012 bescheren sollen in der "Big Wegspüle".

Nicht zu vergessen ist 2010, lateinisch MMX, nerdianisch 7DA, natürlich das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen und der gute alte HAL 9000 noch einmal von Dr. Chandra angeworfen wird. Zusammen mit der Lichtgestalt Dave Bowman wird HAL "auf ewig" Seite an Seite mit Dave in einem Monolith schlafen und die Entwicklung der Europaner mit einem Energiefeld schützen.

Energie! Dieser schöne Gruß kommt nicht von ungefähr. Schließlich ist 2010 forschungsamtlich das Jahr der Energie, ausgerufen von Anette "Scotty" Schavan, orchestriert von Scholz & Friends. Schluss mit den dusseligen Jahren der Mathematik, Informatik und Physik, feiern wir die reine Energie, wie sie aus sauberen Atomkraftwerken kommt und uns alle auflädt. Freuen wir uns auf den e-Zoom, das zentrale Element der Energiekampagne, der die Energie erklärt, betextet von denselben Menschen, die auch das Bundeswehr-Magazin füllen mit Hymnen auf einen Kampfkoloss, der mit seiner Energie gerne Brillen shreddern möchte. Den offiziellen Höhepunkt erreicht das neue Jahr im September, am Tag der Energie.

Die Nerds unter meinen Lesern werden sich andere Daten merken, weil 2010 nicht nur das Jahr der Energie sein wird, sondern auch als Zuse-Jahr deklariert ist. Und wo wir schon bei der Deklaration von Variablen sind, wie wäre es mit 2010 als Feierjahr der Weltprogrammierung, weil auch der Kybernetiker Max Bense vor 100 Jahren geboren wurde? Mit dem großen Kritiker des Christentums findet das weihnachtliche WWWW seinen würdigen Abschluss: "Wo man sich für die Wahrheit totschlagen lassen darf, darf man auch für die Wahrheit foltern." (vbr)