Update für die "Informationsgesellschaft" verzweifelt gesucht

Ein Symposium wirft die Frage nach der "Next Generation Information Society" und der politischen und kulturellen Gestaltung der Netz(r)evolution auf.

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Die Debatte um die "Informationsgesellschaft" ist an sich selbst erstickt und bedarf dringend eines Neustarts. Das ist die Grundthese eines zweitägigen Symposiums, das die Alcatel-SEL-Stiftung noch bis zum Donnerstagnachmittag in Berlin veranstaltet. Das gut 30 Jahre alte Konzept der "Informationsgesellschaft" sei "nach dem Platzen der Internetblase" selbst dem Platzen nahe, erklärte der Bremer Informatikprofessor Herbert Kubicek auf der Konferenz. Es könne heute im Einzelfall zwar noch als Marketingaufhänger für mittelständische Unternehmen dienen, so der studierte Betriebswirtschaftler. Ansonsten gebe es aber kaum noch "sinnvolle Verwendungen" dafür. Der Begriff verstelle zudem den Blick auf entscheidende Tatsachen. Denn, so Kubiceks These, "die technischen Aufgaben der Informationstechnik sind weitgehend gelöst". Jetzt gehe es hauptsächlich um ihre soziale Umsetzung.

Das Konzept der Informationsgesellschaft, das von einer Metapher über eine Art wirtschaftswissenschaftliches Glaubensbekenntnis bis hin zu einem reinen Schlagwort avanciert ist, entstand im Rahmen volkswirtschaftlicher Studien ungefähr zur gleichen Zeit Anfang der 1960er in den USA und in Japan. Fritz Machlup und Tadao Umesao machten damals darauf aufmerksam, dass neben den traditionellen Wirtschaftssektoren Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistungen viele Arbeiter mit der Schaffung, Verteilung und Bewertung von Informationen zu tun hatten und das alte Raster nicht mehr recht passen wollte. Inzwischen wird der Begriff weitgehend synonym gebraucht mit "Wissens-", "Medien-", "Netz-" oder "Kommunikationsgesellschaft", was seine "erkenntnisfördernde" Wirkung laut Kubicek aber nicht wirklich vergrößert hat. Man müsse daher die Frage stellen, ob der Übergang zu neuen Leitbildern nicht sinnvoller sei.

Nicht ganz zufällig findet die Konferenz quasi am Vorabend des Weltgipfels zur Informationsgesellschaft in Genf statt, den die deutsche Regierung und die traditionellen Medien bislang stiefmütterlich behandeln. Denn den Machern kommt es darauf an, die großen sozio-politischen und -kulturellen Gestaltungsaufgaben aufzuzeigen, den der Einzug der Informations- und Kommunikationstechnologien in Gesellschaft und Wirtschaft mit sich gebracht hat. Um die unerledigten Hausaufgaben zu beschreiben, hat der Direktor der Alcatel-SEL-Stiftung, Dieter Klumpp, gemeinsam mit Kubicek und dem Kasseler Rechtsprofessor Alexander Roßnagel gleich einen knapp 450 Seiten dicken Wälzer herausgegeben, der das Thema der Konturen einer "next generation information society" in zahlreichen Aufsätzen absteckt. Klumpp etwa wirft darin einige unbequeme Fragen auf. Beispielsweise, ob der Schutz vor Spam und Viren nicht ein grundsätzliches Re-Design der technischen Netzarchitekturen erfordere, das die anonyme Netzverschmutzung -- damit gleichzeitig aber auch die anonyme Netznutzung ­ unmöglich macht.

Die Politik scheint sich jedoch bislang darauf zu beschränken, weiter die gewohnten, an den klassischen Begriff der Informationsgesellschaft gekoppelten "Innovations- und Wachstumskonzepte" anzupreisen oder den Staat höchstens zusätzlich als Reparaturbetrieb für Probleme des technischen Fortschritts ins Spiel zu bringen. So verwies Peter Krause, Ministerialdirigent im Bundesforschungsministerium auf den "Masterplan Informationsgesellschaft 2006", über den die Bundesregierung nächste Woche verhandeln werde. Die Informationstechnik werde darin als Faktor zur "Standortsicherung" gesehen, betonte Krause. Sie stelle eine "Schlüsseltechnologie" dar, die weniger in der "New Economy" als vielmehr in den angestammten Branchen wie der Automobil- oder Anlagenindustrie ihre "Treiberfunktionen" ausspiele.

Monika Griefahn, Vorsitzende des Bundestagsausschuss Kultur und Medien, erklärte dagegen, dass die globale Informationsgesellschaft nur auf der Basis einiger Grundbedingungen prosperieren könne. "Wir müssen Mindeststandards beim Datenschutz, beim Jugendschutz aber auch bei der Strafverfolgung finden", forderte die SPD-Politikerin. Wichtig seien zudem internationale Vereinbarungen zum Einsatz und zur Förderung von Open Source Software sowie die weltweite Achtung der Menschenrechte. Neue Aspekte brachte so am Mittwochabend nur der Soziologe Nico Stehr in die Diskussion ein. Er plädierte für die Formulierung einer "Wissenspolitik", die die "proaktive Regulierung des Wissens" zum Maßstab der "Zivilisiertheit einer Gesellschaft" erhebe. Nur so seien neue Wissenschaften wie die molekulare Biologie oder die Gentechnik, die zu "umfassenden Erkenntnisformen verleiten" und "die Grenzen der Machbarkeit" radikal verschieben, in den Griff zu bekommen. (Stefan Krempl) / (jk)