Googles neue Markenmacht

Die große Frage, ob Google nun den Smartphone-Markt aufrollen will, hat der Internetgigant bei der gestrigen Vorstellung des Nexus One schon selbst beantwortet: Nein. Langfristig hat Google höhere Ziele.

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Googles Telefon: Eines der interessantesten Android-Geräte, aber nicht unbedingt das beste für jeden Anspruch.

(Bild: Google)

Die große Frage, ob Google nun den Smartphone-Markt aufrollen will, hat der Internetgigant bei der gestrigen Vorstellung des Nexus One schon selbst beantwortet: Nein. Anders als andere Platzhirsche verschleiert Google nicht den Hersteller des Nexus One, sondern nennt HTC und bittet dessen Chef auf die Bühne. Darüber hinaus räumte Google sogar einem HTC-Konkurrenten Platz ein, nämlich Motorola.

Wo hat man so etwas zuletzt gesehen? Haben Apple zur Vorstellung des Macbook Air oder Sony zu der des VPC-X vielleicht gesagt, "Hey, das Ding stellt Compal für uns her, und hier darf auch dessen Konkurrent Quanta noch ein paar Worte reden"? Auch beim ersten Android-Telefon G1 stand neben HTC und Google nur T-Mobile auf der Bühne. Google verfolgt offensichtlich nicht das Ziel, sich als großer Hardware-Verkäufer auf einen Konkurrenzkampf mit seinen Produzenten einzulassen. Sondern Google will die Marke Android stärken – und die eigene.

Intel-Präsentationen stärken gleichzeitig die eigene Marke und die der Hardware-Hersteller.

Ein anderer Unternehmer lädt zu seinen Präsentationen schon lange viele Hardware-Hersteller ein: Intel. Während der MID-Show auf der vorigen Computex standen tatsächlich die Chefs von Quanta und Compal gemeinsam – na ja, kurz hintereinander – auf der Bühne. Intel hat sich über die Jahre als reiner Komponentenhersteller eine Marke erarbeitet, die als Motor für den gesamten PC-Markt wahrgenommen wird. An sich wollte der Chipriese nur seine Prozessoren verkaufen, vielleicht später auch Chipsätze, Mainboards und WLAN-Chips. Doch damit das klappt, fährt Intel seit Jahren eine riesige PR-Kampagne, etabliert Marken wie "Intel inside" oder Centrino und schafft es tatsächlich, im Bewusstsein vieler Leute stärker präsent zu sein als mancher PC-Hersteller. (Dass Intel tatsächlich viele brauchbare Produkte herstellt und hinter den Kulissen auch als teils treibende Kraft in technologischen Gremien mitarbeitet, soll nicht unerwähnt bleiben, spielt hier aber keine Rolle.)

Microsoft Zune HD: Nivida inside, was aber niemanden interessiert

(Bild: Microsoft)

Bei Smartphones lässt sich allerdings eine vergleichbare Hardware-zentrierte Marke nicht aufbauen. "Snapdragon inside"? Auf den filigranen Telefonen wäre nicht einmal der Platz für solche Aufkleber-Kampagnen, wenn denn jemand überhaupt auf die Idee käme. Nvidia, im PC-Bereich neben ATI die große Marke für 3D-Grafikperformance, versucht händeringend, seinen Tegra-Chip zu etablieren, aber dass er nun in Geräten wie dem Microsoft Zune läuft, gibt der Marke keinen Vorschub, weil das nur Insider wissen und auch nur Insider interessiert.

Ein zweites Markenvakuum hinterlässt Microsoft. Mit Windows haben sie bei PCs einen Marktanteil von so weit über 90 Prozent erreicht, dass sie vielleicht das Kämpfen um Kunden und das rechtzeitige Umsetzen von Trends verlernt haben. Windows 7 gewinnt ein wenig vom verlorenen Vertrauen zurück, aber die Smartphone-Variante Windows Mobile ruft wenig Begeisterung hervor, und auch das Update auf Version 6.5 löst lange nicht alle Probleme.

Nokia N900: Vielversprechende Plattform, aber leider nicht Nokias einzige.

(Bild: Nokia)

Als erster ist Apple in diese Lücke gestoßen. Das iPhone war das erste Telefon, das nicht nur smart heißt, sondern auch so ist. Alle anderen Smartphone-Unternehmen kleckern statt zu klotzen oder stolpern über die eigenen Füße: Blackberry ruht sich auf den Business-Erfolgen aus und vernachlässigt den Consumer-Bereich – und außerhalb der USA das medienwirksame Getrommel. Nokia verwirrt mit einem nicht nachvollziehbaren Torkeln zwischen Symbian und Maemo besonders potenzielle Anwendungsentwickler. Samsung mutet seinen Kunden gar noch ein weiteres Mobilbetriebssystem zu. Lediglich Palm lässt so etwas wie eine konsequente Linie erkennen, dürfte es aber kaum gestemmt bekommen, Betriebssystem und Geräte ausschließlich alleine zu entwickeln.

Wie wichtig die Marke ist, zeigt ein Blick auf die Verkaufszahlen. Apple führt dort noch lange nicht, steht aber in der Wahrnehmung so weit oben, dass daraus ein Vorteil wird: Wenn ein Unternehmen eine Mobilanwendung herausbringt, dann zuerst für das iPhone – ähnlich wie Desktop-Anwendungen meist zuerst für Windows erscheinen. Für alles gibt es eine App, heißt es. Nicht etwa, was technisch ebenso stimmen dürfte, "für alles gibt es eine Website, die ich schon seit Jahren mit meinem Symbian-Browser per Stift ansteuern kann."

Und so ist der Nutzen des iPhones immens gestiegen, was sich in Nutzerzahlen und Werbezahlen widerspiegelt, für Apple in Profitabilität und stetig steigenden Verkaufszahlen. In den ersten Monaten ohne Apps mussten die Fans noch lamentieren, dass das iPhone ja perfekt sei, weil man keine Software installieren müsse, doch mittlerweile protzen sie genauso mit den Zahlen der verfügbaren und der heruntergeladenen Apps wie dereinst die Windows-Fans gegenüber den Mac-Nutzern. Dass die Apple-Fans damit ihr altes Argument, dass es nicht auf die Zahl, sondern die Qualität der Anwendungen ankäme, nun selbst aushebeln, ist nicht mehr als ein Treppenwitz für Insider. Denn die Anwender haben einen echten Nutzen davon, dass gerade IT-fremde Firmen sich per iPhone einschmeicheln – vergleiche man doch mal den Zugang zu Fahrplanübersichten oder zum Kauf von Bahnfahrkarten einerseits per iPhone-App und andererseits per mobil.bahn.de.

In den Köpfen, die entscheiden, ob solche Anwendungen programmiert werden, muss eine Smartphone-Marke angekommen sein. In den IT-fremden Nachrichten wie der Tagesschau muss das Smartphone zu sehen sein, nicht nur in den unzähligen Blogs und Special-Interest-Magazinen. Es reicht nicht, um ein paar Klischees zu strapazieren, dass die Kumpels des Programmierers auf dem Linux-Stammtisch damit herumspielen, sondern es müssen die Kumpels des Managers auf dem Golfplatz sein.

Lenovo Skylight: Das erste Smartbook eines großen Herstellers hat eine proprietäre Bedienoberfläche.

(Bild: Lenovo)

Das hat Google begriffen und reagiert nun. Was das Nexus One wirklich kann, ist fast nebensächlich – zu schlecht darf es natürlich nicht sein –, wichtig ist die Geste, dass hier ein riesiges Unternehmen als Pate steht und die Anstrengungen der Beteiligten bündelt, stärkt, vorantreibt, unterstützt. Ähnliches dürfte demnächst bei den Smartbooks passieren, den Mini-Notebooks mit ARM-Prozessoren, die für Windows oder Mac OS ungeeignet sind: Sie erfüllen genügend Anforderungen, sodass viele Anwender nicht mehr auf die Leistungsfähigkeit stärkerer Rechner angewiesen sind. Langfristig könnten Windows und Mac OS sogar an Relevanz für den Massenmarkt verlieren. Auch proprietäre Lösungen – wie von Lenovo gerade gezeigt – dürften es aber schwer haben. Es entsteht erneut ein Markenvakuum, das Google ausfüllen kann – mit Chrome OS.

Wichtig für Google ist also, die eigenen Marken zu stärken. Wenn Google dazu Handys oder bald Smartbooks verkaufen muss – ähnlich wie Intel Mainboards –, dann tun sie das halt. Wenn andere Hersteller mitziehen: Umso besser. Wenn aber nicht, dann ist das nicht Googles Problem – aus ähnlichen Konflikten zwischen Intel und Mainboard- oder Chipsatz-Herstellern ging Intel immer unbeschadet, ja langfristig sogar gestärkt hervor. Google will das Intel und das Microsoft dieses Jahrzehnts werden, nicht mehr und nicht weniger. (jow)