Chatkontrolle: Juristischer Dienst des EU-Ministerrats prognostiziert Scheitern

Ein geleaktes Gutachten zeigt, dass die Rechtsberater der EU-Regierungen das geplante verdachtslose Scannen privater Kommunikation für grundrechtswidrig halten.

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(Bild: oatawa/Shutterstock.com)

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Der Juristische Dienst des EU-Ministerrats hat massive und gravierende Bedenken gegen den umkämpften Entwurf der EU-Kommission für eine Verordnung zur Online-Überwachung unter dem Aufhänger des Kampfs gegen sexuellen Kindesmissbrauch. Die Initiative drohe vor allem aufgrund der damit verknüpften verdachtsunabhängigen Chatkontrolle "den Kerngehalt des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens" zu verletzen, schreiben die Rechtsberater des EU-Rats in einem internen Gutachten. Sie wäre so spätestens vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zum Scheitern verurteilt.

Kern des Kommissionsvorschlags sind Aufdeckungsanordnungen, auf deren Basis Anbieter auch verschlüsselter Messenger-Dienste wie WhatsApp, Signal oder Threema nach bekannten und neuen Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs suchen müssten. Eine derart breite, tief in die Grundrechte einschneidende Maßnahme sei nicht mit der EuGH-Rechtsprechung vereinbar, heißt es in der als vertraulich gekennzeichneten Stellungnahme vom 26. April, die der "Agence Europe" in die Hände fiel und mittlerweile als Leak offen im Internet nachlesbar ist.

Der EuGH stelle in seinen Urteilen zur Vorratsdatenspeicherung fest, "dass der besonders schwerwiegende Eingriff, den die allgemeine und unterschiedslose automatisierte Analyse von Verkehrs- und Standortdaten darstellt, nur dann dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit entsprechen kann, wenn ein Mitgliedstaat nachweislich einer tatsächlichen und gegenwärtigen oder vorhersehbaren schwerwiegenden Bedrohung der nationalen Sicherheit ausgesetzt ist", schreiben die Gutachter. Ein solches Instrument müsse zudem auf das "unbedingt erforderliche Maß beschränkt" sein. Laut dem EuGH könnte allenfalls unter diesen Umständen eine "allgemeine und wahllose Überprüfung" von Informationen als gerechtfertigt angesehen werden.

Wenn das höchste EU-Gericht schon "die Durchsuchung von Metadaten der Kommunikation" nur für Zwecke wie den Kampf gegen den Terrorismus durchgehen lasse, sei es ziemlich unwahrscheinlich, dass es eine ähnliche Durchsuchung sogar der noch sensibleren Kommunikationsinhalte "zum Zweck der Bekämpfung der Straftat des sexuellen Kindesmissbrauchs für verhältnismäßig" erachte, konstatieren die Rechtsexperten des Rats. Zudem bestehe ein großes Risiko, dass die Aufdeckungsanordnungen, um wirksam zu sein, "auf andere Anbieter ausgeweitet werden müssten und de facto zu einer permanenten Überwachung der gesamten zwischenmenschlichen Kommunikation" führten.

Durch den allgemeinen Zugriff auf persönliche Nachrichten von Bürgern, die nicht einmal im Entferntesten mit der sexuellen Ausbeutung von Kindern in Verbindung stehen, könnte dem Dienst zufolge "das Recht auf Vertraulichkeit der Kommunikation unwirksam und ausgehöhlt werden". Sollte der Rat Aufdeckungsanordnungen dennoch zustimmen, sollten diese zumindest eingeschränkt werden auf Personen, "bei denen hinreichende Gründe für die Annahme bestehen, dass sie in irgendeiner Weise an einer Straftat des sexuellen Missbrauchs von Kindern beteiligt sind, eine solche begehen oder begangen haben".

Auch die in dem Entwurf vorgesehene Pflicht zur Altersprüfung für Messenger- und Hosting-Dienste sowie App-Stores stößt den Juristen übel auf, da sie "zwangsläufig eine weitere Ebene des Eingriffs in die Rechte und Freiheiten der Nutzer" darstellen würde. Ein solcher Verifizierungsprozess müsste entweder durch die massenhafte Erstellung von Nutzerprofilen, "die biometrische Analyse des Gesichts und/oder der Stimme des Nutzers" oder durch "digitale Identifizierungs-/Zertifizierungssysteme umgesetzt werden".

Die schwedische Ratspräsidentschaft sieht laut einem jüngst veröffentlichten Entwurf für die Position des Ministergremiums zu dem Vorhaben trotzdem keinerlei Korrekturbedarf an Artikel 7 zur Chatkontrolle. Zehn EU-Staaten inklusive des kommenden Ratsvorsitzes Spanien gaben den Skandinaviern unlängst Rückendeckung.

Die Bundesregierung hat sich vor Kurzem zu einer Stellungnahme durchgerungen, wonach sie gegen eine Chatkontrolle mithilfe von Client-Side-Scanning (CSS) ist. Dabei geht es um das besonders umstrittene Durchsuchen und Ausleiten privater Kommunikation direkt auf Endgeräten der Nutzer, womit die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unterlaufen würde. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hält aber an der Überwachung privater, unverschlüsselter Kommunikation durch serverseitiges Scannen von Chats und persönlicher Cloud-Speicher fest. Digitalminister Volker Wissing (FDP) ist jedoch entschieden dagegen und will gegebenenfalls sein Veto einlegen.

"Nach der vernichtenden Kritik der eigenen Berater wird es zunehmend einsam um Bundesüberwachungsministerin Faeser", betont der EU-Abgeordnete Patrick Breyer (Piratenpartei). "Ihre Position ist mit dem offiziellen Ratsgutachten endgültig unhaltbar geworden." Niemand helfe Kindern mit einer Verordnung, die unweigerlich vor dem EuGH scheitern werde. Die Flut an meist falschen Verdachtsmeldungen dürfte zudem "effektive Ermittlungen erschweren, Kinder massenhaft kriminalisieren und an den eigentlichen Missbrauchstätern und Produzenten solchen Materials vorbeigehen".

(olb)