Mit Geruch von Rosmarin ins Metaverse: Schnittstelle bringt Geruch in die VR

Wissenschaftler haben eine neue Methode entwickelt, um Gerüche über kleine, drahtlose Schnittstellen in die virtuelle Realität zu bringen. ​ ​

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(Bild: Shutterstock.com/thinkhubstudio)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Tanya Basu
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Das Erzeugen von Gerüchen in der virtuellen Realität (VR) ist ein irritierendes Problem. Es hat bisher verhindert, dass VR-Geräte in den meisten Situationen ein vollständiges sensorisches Erlebnis bieten. "Menschen können in der VR berühren", sagt Xinge Yu, Professor an der City University of Hong Kong von der Beihang University in Peking und Hauptautor der neuen Arbeit, die Anfang Mai im Fachjournal "Nature Communications" veröffentlicht wurde. "Und natürlich kann man in VR sehen und hören. Aber wie sieht es mit Geruch und Geschmack aus?"

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Bisherige Versuche, Gerüche in der VR zu erzeugen, waren mit vielen Kabeln, siffigen Flüssigkeiten und sperrigen Geräten verbunden, die sich nicht für den Hausgebrauch eignen. Als Lösung entwickelten Yu und sein Co-Autor Yuhang Li, die beide Erfahrung im Design flexibler Elektronik haben, zwei tragbare Schnittstellen. Die eine kann wie ein Verband auf die Haut zwischen Nase und Mund geklebt werden, die andere wird wie eine Gesichtsmaske unter ein Headset geschnallt.

Beide Arten von Schnittstellen verwenden miniaturisierte Geruchsgeneratoren, ein Gitter aus winzigen Behältern, die mit parfümiertem Paraffinwachs gefüllt sind. Wenn eine Wärmequelle unter dem Wachs aktiviert wird, erhitzt sich das Wachs und wird im Wesentlichen zu einer Duftkerze, die laut Yu und Li innerhalb von 1,44 Sekunden mehrere Gerüche reproduzieren kann. Wenn das Erlebnis vorbei ist, stößt eine Kupferspule einen Magneten an, der das Wachs niederdrückt und abkühlt, wodurch der Duft beendet wird.

Je höher die Temperatur, desto stärker wird der Geruch und desto leichter ist er zu erkennen, sagt Yu. Das bedeutet allerdings, dass die Schnittstellen mit bis zu 60 Grad gefährlich heiß für die menschliche Haut werden können. Laut Yu ist die Schnittstelle jedoch sicher, weil sie so offen gestaltet ist, dass die heiße Luft entweichen kann. Dazu bilde ein Stück Silikon eine Barriere zwischen der Haut und dem eigentlichen Gerät.

In einem Test mit elf Freiwilligen wurde die Schnittstelle zwischen Nase und Mund als sicher eingestuft, solange sie mindestens 1,5 Millimeter von der Nase entfernt war und die Temperatur an der Hautoberfläche 32,2 Grad betrug. Das ist weniger als unsere Körpertemperatur. Yu ist sich jedoch darüber im Klaren, dass eine brühend heiße Schnittstelle im Gesicht nicht sicher genug ist, um verwendet zu werden. Gemeinsam mit Li will er Alternativen testen, etwa die Schnittstelle bei niedrigeren Temperaturen laufen zu lassen oder sie effizienter abzukühlen.

Yu und Li sind nicht die einzigen, die versuchen, nahtlose Geruchserlebnisse in der VR zu schaffen. Auf der diesjährigen Unterhaltungselektronik-Fachmesse CES kündigte OVR Technology an, ein Headset auf den Markt zu bringen, das eine Kassette mit acht "primären" Aromen enthält, die sich beliebig kombinieren lassen.

"Das ist eine aufregende Entwicklung", sagt Jas Brooks, Doktorand am Human-Computer Integration Lab der University of Chicago, der sich mit chemischen Schnittstellen und Gerüchen beschäftigt hat. "Es geht um ein Kernproblem von Gerüchen in der VR: Wie können wir das Ganze miniaturisieren, ohne dass es schmutzig wird und ohne den Einsatz von Flüssigkeit?"

Künstler versuchen schon lange, Düfte in der Unterhaltung einzubringen. Bereits 1960 hatte "Smell-O-Vision" seinen ersten und einzigen Auftritt mit dem Film "Scent of Mystery", bei dem Gerüche während wichtiger Handlungspunkte über die Klimaanlage freigesetzt wurden. Doch der Versuch schlug fehl. Die Gerüche wurden entweder verzögert freigesetzt oder zu schwach wahrgenommen.

Die neuen Schnittstellen sind eine bemerkenswerte Entwicklung, und könnten die Art und Weise, wie wir VR erleben, verändern. Düfte und Gerüche wahrzunehmen ist ein mächtiger Sinn und eine Voraussetzung dafür, dass unser Mund einen Geschmack wahrnehmen kann. Die Möglichkeiten reichen vom Offensichtlichen – dem Schnuppern an einer virtuellen Blumenwiese oder dem Einatmen von VR-Lebensmitteln – bis hin zu einigen weniger offensichtlichen Anwendungen. Zum Beispiel könnten Parfümerien Düfte virtuell testen.

Aus medizinischer Sicht könnte mit Düften ausgestattete VR für Patienten mit Gedächtnisproblemen therapeutisch hilfreich sein und sogar die Stimmung verbessern. Yu erzählte mir, er habe festgestellt, dass er sich glücklicher fühlte, als er den Duft von grünem Tee in seinen Tests verwendete. Er erkannte, dass der Geruch nostalgisch war: "Als ich klein war, habe ich Schokolade mit Grüntee-Geschmack gegessen", erinnert er sich. "Ich weiß noch, wie ich die Verpackung abzog und wie sehr ich den Geruch liebte."

Das Besondere an diesen neuen Schnittstellen ist, dass sie leicht, klein und kabellos sind. Das Gerät wurde zwar nicht direkt mit einem VR-Spiel, einer Plattform oder einem bestimmten Gerät getestet. Aber die Tatsache, dass es ohne klobige Kabel verwendet werden kann, dürfte weniger Platzbedarf und ein intensiveres Erlebnis bedeuten.

Ein Nachteil ist, dass die Schnittstellen in ihrem Umfang begrenzt bleiben. Yu verwendete 30 verschiedene Düfte, die aufgrund ihres charakteristischen, wiedererkennbaren Geruchs ausgewählt wurden, zum Beispiel Rosmarin und Durianfrucht. Viele Düfte aus dem wirklichen Leben sind jedoch weniger einprägsam und möglicherweise nicht so leicht zu erkennen. Außerdem müssen die miniaturisierten Geruchsgeneratoren noch so programmiert werden, dass sie reibungslos mit bestehenden VR-Headsets funktionieren. "Es ist schwer zu sagen, wie dies in einer kommerziellen Schnittstelle funktionieren würde", sagt Brooks.

Laut Yu umfassen die nächsten Schritte das Testen von Mechanismen zur Freisetzung von Düften im richtigen Moment. Außerdem will er seine Erkenntnisse über Gerüche nutzen, um herauszufinden, wie man Geschmack in VR einführen kann. Vielleicht kann er eines Tages das Erlebnis nachempfinden, in eine Süßigkeit mit Grüntee-Geschmack zu beißen.

(vsz)