EHDS: Reine Opt-Out-Regelung wackelt im Europäischen Parlament

Die Diskussionen im Europäischen Parlament bewegen sich auf einen Kompromiss zu, der Opt-in für pseudonyme und Opt-out für anonyme Gesundheitsdaten vorsieht.

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Ärztin hält Hand von Patientin

(Bild: Andrei_R/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
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Im Europäischen Parlament laufen die Diskussionen unter den Abgeordneten zum Regelungsentwurf für einen künftigen Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) auf Hochtouren. Aktuell ist die Debattenlage etwas unübersichtlich. Von allen Gruppierungen im Parlament liegen inzwischen über 2.100 Änderungsanträge vor.

Gegenüber heise online deuteten jedoch die führenden Berichterstatter und Schattenberichterstatter eine Kompromisslösung in der Frage an, ob Patienten über ein Opt-in- oder über ein Opt-out-Recht verfügen werden, was die Weiterverarbeitung ihrer Gesundheitsdaten für Forschungszwecke anbelangt. Damit ist Bewegung in die zentrale Frage gekommen, ob die Betroffenen eine freiwillige informierte Einwilligung erteilen sollen, wie bisher, oder über ein Widerspruchsrecht verfügen sollen. Der Kommissionsentwurf hatte nicht einmal ein Widerspruchsrecht vorgesehen, was als Paradigmenwechsel auf harte Kritik von Datenschützern gestoßen war.

Der führende Berichterstatter Tomislav Sokol, der den Parlamentsentwurf maßgeblich erarbeitet hat, hielt sich in der Frage nun deutlich zurück: Die Frage der Entscheidungsfindung der Patienten bei der Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten sei "eine Herausforderung", sagte er gegenüber heise online. In seinem Entwurf hatte er eine Opt-out-Regelung vorgeschlagen. Davon ist bei ihm jetzt keine Rede mehr – salomonisch sagt er, "dass ein Kompromiss zwischen den politischen Fraktionen erreicht werden wird".

Zahlreiche Änderungsanträge stammen von den Oppositionsparteien, viele wurden von der führenden sozialdemokratischen Schattenberichterstatterin Sara Cerdas aus Portugal eingereicht, die kürzlich im Parlament auch ein EHDS-Event organisierte.

Cerdas setzt sich grundsätzlich für die Einwilligung der Betroffenen ein, also Opt-in. Dazu verweist sie auf Artikel 9 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), der unter den "besonderen Kategorien personenbezogener Daten" auch die Gesundheitsdaten erfasst: "Gerade, weil es sich um eine besondere Kategorie personenbezogener Daten handelt und weil ich mich für die Angleichung dieser Verordnung an die Datenschutzgrundverordnung einsetze, bin ich der Meinung, dass für die Erhebung solcher Daten ein Zustimmungsmechanismus erforderlich ist." Weil es sich bei den Gesundheitsdaten auch um besondere Daten handelt, schlägt sie auch eine verpflichtende Zertifizierung von Gesundheitssystemen durch unabhängige Dritte vor, um die Sicherheit der Gesundheitsdaten zu gewährleisten.

Cerdas schlägt außerdem vor, dass Gesundheitsdaten, deren Informationen anonymisiert werden können, einem Zustimmungsmechanismus nach dem Opt-out-Prinzip unterliegen sollten. Solche, die nicht anonymisiert werden können, sollten einem Opt-in-Prinzip unterliegen sollten. Dazu verweist sie auf das ärztliche Schweigegelübde: "Als Ärztin habe ich einen Eid abgelegt, der die Deklaration von Helsinki respektiert, und deshalb kann ich dem Vorschlag der Europäischen Kommission, der keine Form der Zustimmung vorsieht, nicht zustimmen."

Für Schattenberichterstatter Patrick Breyer von der deutschen Piratenpartei, der in der grünen Fraktion angesiedelt ist, ist es am wichtigsten, "dass Patienten gefragt werden müssen, ob sie eine europaweite Patientenakte wollen, ob Ärzte Zugriff darauf bekommen und ob Industrie, Forscher und Behörden Zugriff erhalten." Er setzt sich für eine Opt-in-Regelung ein, wobei Datenschützer auch mit einer Opt-out-Regelung leben könnten. Wohl mit Blick auf den Vorschlag von Sara Cerdas sagt er: "Es sind auch Zwischenlösungen denkbar." Gleichwohl wolle er für Opt-in kämpfen.

Sokol hebt gegenüber heise online überdies hervor, dass der Kommissionsvorschlag keine aktive Beteiligung der Interessengruppen in den Leitungsgremien vorsieht, einschließlich der Patientenorganisationen, der Angehörigen der Gesundheitsberufe und der Industrievertreter. Er hat daher im Berichtsentwurf die Beteiligung verschiedener Interessengruppen im EHDS-Vorstand, in den Gremien für den Zugang zu Gesundheitsdaten und in den Behörden für digitale Gesundheit vorgeschlagen. Im Rahmen der parlamentarischen Verhandlungen setzt sich Sokol außerdem dafür ein, dass "unbedingt ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der gemeinsamen Nutzung von Daten und dem Schutz des geistigen Eigentums gefunden werden muss". Dies sei für die Förderung von Forschung und Innovation in der EU von entscheidender Bedeutung.

Einen weiteren Knackpunkt sieht der konservative Berichterstatter in der Finanzierung: So soll der EHDS über bestehende Finanzinstrumente wie dem EU-Krisenfonds RRF finanziert werden, die den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen. Das reiche aber nicht aus, um den EHDS funktionsfähig zu machen, betont Sokol, da die derzeitigen Finanzinstrumente vor dem EHDS-Vorschlag entwickelt wurden und anderen gesundheitsbezogenen Projekten Vorrang einräumen. Er setzt sich daher für eine "deutliche Aufstockung der EU-Mittel für den EHDS" ein und erwartet dafür im Parlament eine starke Unterstützung.

Eine Abstimmung in den zuständigen Ausschüssen steht noch aus, der Termin dazu steht noch nicht fest. Die Abstimmung im Parlament wurde vor Kurzem auf nach der Sommerpause verschoben. Die Abstimmung wird voraussichtlich am 11. September stattfinden. Die Bundesregierung will sich, so teilte sie kürzlich in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des Bundestags mit, dabei an den europäischen Entscheidungen orientieren. Möglicherweise wird es das Opt-out für die elektronische Gesundheitsakte nicht wie geplant geben.

(mack)