KI und Arbeitsmarkt: "Viele Firmen werden eigenen großen IT-Stab hinterfragen"

Generative KI wie ChatGPT wird erstmals auch stark Berufsbilder mit höheren Bildungsabschlüssen und Einkommen etwa im IT-Bereich betreffen, meinen Forscher.

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(Bild: Zakharchuk/Shutterstock.com)

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Systeme der generativen Künstlichen Intelligenz (KI) wie ChatGPT und Midjourney, die neue Texte, Bilder, Musik oder Videos auf Basis vorhandener Werke und damit trainierter Modelle erzeugen, demonstrieren aktuell ihre Leistungsfähigkeit für verschiedenste praktische Anwendungen. Es zeichnet sich ab, dass sie auch die Arbeitswelt massiv verändern. Der neue "Code Interpreter"-Dienst des ChatGPT-Entwicklers OpenAI zeige, "wohin die Reise geht", bringt der Konstanzer Professor für Wirtschaftspolitik, Sebastian Findeisen, ein Beispiel. Er ist sich sicher: "Bei Softwareentwicklung und Datenanalysen wird in den nächsten Jahren viel mehr automatisiert werden können."

Mehrere Wissenschaftler, die das Science Media Center (SMC) zum Komplex KI und Arbeitsmarkt befragt hat, sind sich einig: Die Auswirkungen generativer KI dürften im Gegensatz zu vergangenen technologischen Innovationen diesmal auch Berufsbilder mit höheren Bildungsabschlüssen und Einkommen in besonders hohem Maße betreffen. "Viele Unternehmen werden sich fragen, ob sie wirklich einen großen eigenen IT-Stab brauchen oder nur weniger Leute, die mit der KI die Software der Firma am Laufen halten", prognostiziert Findeisen. Oft gingen aber Jahre ins Land, bis viele Firmen Wege fänden, "neue Technologien produktiv in ihre Abläufe zu integrieren". Bis dahin hätten alle Beteiligten Zeit, "Anpassungen zu implementieren, sodass Entlassungen vermieden werden können".

Findeisen verweist zudem auf den "relativen Mangel an IT-Experten im Verhältnis zur aktuellen Nachfrage" in diesem Sektor in Deutschland. Selbst steigende Automatisierung im IT-Bereich werde daher "kaum zu Massenarbeitslosigkeit führen". Es sei ferner wahrscheinlich, dass von der aktuellen KI-Welle zunächst "gut aufgestellte Software- und Hardware-Hersteller profitieren werden". Dazu gehörten Big-Tech-Konzerne wie die Google-Mutter Alphabet, Amazon, Apple, Meta und Microsoft, aber auch kleinere Firmen. Diese seien insbesondere in den USA und teils in Asien angesiedelt und "werden vor allem dort Profiteure schaffen".

KI werde wohl zunehmend Aufgaben übernehmen, "die bisher nicht oder weniger von Automatisierung betroffen waren", bestätigt Georg Graetz, Professor am Institut für Ökonomie der Uni Uppsala. Dazu gehörten Übersetzen, das Erstellen von Texten, Grafiken und Musik sowie das Führen von Fahrzeugen. Es sei aber noch nicht klar, "ob es überwiegend zum Ersetzen oder Komplementieren von Aufgaben kommt". Wenn KI als Hilfsmittel verwendet werde, dürften besonders weniger fähige Arbeiter profitieren. Gäbe es eine "intrinsische Wertschätzung" für menschliche Arbeit wie bei persönlichen Dienstleistungen, im Handwerk, in Kunst und Unterhaltung, seien die entsprechenden Berufe von KI nicht bedroht.

Graetz kann sich so nur schwer vorstellen, "dass es durch KI insgesamt zu Einkommensverlusten kommt". Höhere Produktivität sollte vielmehr zu höheren Verdienstmöglichkeiten führen, "wobei sich aber die Frage nach der Verteilung stellt". Auch Melanie Arntz, Heidelberger Professorin für Arbeitsmarktökonomie, geht davon aus, dass vermehrt "komplexere, analytische Tätigkeiten – wie bei Finanzanalysten, Mathematikern, Juristen – in hohem Maße durch KI-Anwendungen verändert werden könnten". Wo immer Informationen gesammelt, aufbereitet und in strukturierter Form weitergegeben werden müssen, sei das Potenzial neuer Sprachmodelle groß.

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"Das heißt aber nicht automatisch, dass die davon betroffenen Berufe und Jobs ersetzt werden", betont Arntz. "In vielen Berufen wird es lediglich zu einer neuen Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine kommen." Relativ sicher seien Jobs, "die in diesem Wandel zunehmend gefragt sind". Dabei handle es sich etwa um Datenwissenschaftler. Die Löhne von Hochschulabsolventen dürften sich aber weiter ausdifferenzieren. Wenig von KI beeinflusst seien ferner beispielsweise Pflegeberufe.

"Mehr als zuvor werden kognitive Tätigkeiten betroffen sein", ist sich auch Wolfgang Dauth, leitender Forscher am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, sicher. "Beispiele sind das Steuern von Fahrzeugen, die Buchhaltung, aber auch sehr anspruchsvolle Tätigkeiten wie das Programmieren von Software oder die medizinische Diagnostik." Innerhalb eines Berufes würden sich Menschen auf die nicht automatisierbaren Tätigkeiten spezialisieren, die soziale Interaktion und Kreativität erfordern. Dies steigere die Produktivität. Ärzte etwa könnten die Auswertung von CT-Bildern der KI überlassen und dadurch mehr Patienten besser betreuen. Nur wenige Berufe, die gänzlich auf automatisierbaren Tätigkeiten beruhen, verschwänden ganz. Dazu zählt Dauth etwa "Lokführer oder Lkw-Fahrer".

Um die Transformation abzufedern, "sollte die Arbeitsmarktpolitik Szenarien entwickeln", fordert Graetz. So müssten etwa die Konsequenzen "einer raschen Ausbreitung automatischer Fahrzeuge" bedacht werden. Zudem müsse die Regierung gemeinsam mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden Strategien entwickeln, damit die Einführung neuer Technologien keine sozialen Verwerfungen verursache und zu weitverbreiteten Wohlstandsverlusten führe. Verschiedene Arten von Marktversagen rechtfertigten hier "die Einflussnahme des Staates". Deutschland müsse zudem zunächst seinen Rückstand bei der Digitalisierung generell aufholen, ergänzt Arntz. Nur so entstünden "Rahmenbedingungen für einen breiten KI-Einsatz". Diese seien nötig, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Arbeitsminister Hubertus Heil (beide SPD) sehen dringenden Handlungsbedarf. Noch im Sommer wollten sie einen Entwurf für ein Beschäftigtendatenschutzgesetz vorlegen, um Überwachung, Kontrolle oder Auswahl von Mitarbeitern durch KI zu regulieren, schreibt die "Süddeutsche Zeitung". Arbeitgeber sollten "keine lückenlosen Bewegungs- und Leistungsprofile" erstellen dürfen, sei einem Eckpunktepapier der beiden Ressorts zu entnehmen. KI-gestützte Bewerbungsprogramme müssten wissenschaftliche Standards einhalten und dürften nur Eigenschaften prüfen, die für eine Stelle bedeutend sind.

(tiw)