Textil mit "Hardware": Patent für Nieten-Jeans wird 150 Jahre

Chemieeinsatz, Ökobilanz und schlechte Arbeitsbedingungen: Die Geschichte der Jeans ist nicht blütenrein, dennoch erfreut sie sich bis heute großer Beliebtheit.

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(Bild: Levi Strauss & Co. Archives)

Lesezeit: 4 Min.

Die erste Jeans der Welt hatte das, was man heute Boyfriend-Style nennt. Sie war lässig und weit geschnitten, zudem durchaus "öko", da langlebig und rein pflanzlich gefärbt. Getragen wurde sie allerdings nicht von einem coolen Cowboy mit Kippe im Mundwinkel – wie die Mehrheit in einer Umfrage im Bekanntenkreis dachte –, sondern von einem Goldgräber.

Die Geschichte begann in den USA des 19. Jahrhunderts: Hunderttausende Amerikaner zogen gen Westen, um in Kalifornien Goldklumpen zu sammeln. Nur die wenigsten machten den großen Reibach, im Gegensatz zu vielen Händlern, die die Arbeiter mit dem Nötigsten versorgten. Einer von ihnen war Levi Strauss, laut Geburtsurkunde "Löbi" mit Vornamen. Er war Einwanderer aus dem bayerischen Buttenheim. In San Francisco verkaufte er unter anderem Zahnbürsten, Knöpfe und Stoffe, aus denen Kleidung und Zelte geschneidert wurden.

Eine Jeans aus dem Jahr 1879: Die Haltbarkeit ist vorbildlich.

(Bild: Levi Strauss & Co. Archives)

Eines Wintertages in den 1870er-Jahren besuchte ihn der lettische Schneider Jacob Davis aus Reno, Nevada, und präsentierte eine besonders robuste Hose. In die Ecken der Taschennähte hatte Davis Metallnieten eingehämmert und auch in die Nähte am Schritt des Beinkleids. Die Goldgräber waren von der Langlebigkeit der Nietenhose begeistert. In kürzester Zeit war die Hose so gefragt, dass Davis mit der Näherei nicht mehr hinterherkam. Nun wollte er Strauß als Investor ins Boot holen – und der war einverstanden.

MIT Technology Review 4/2023

Das US-Patent, das die Nieten-Idee schützen sollte, trägt die Nummer 139121 und wurde am 20. Mai 1873 erteilt. Dieser Tag gilt als Geburtsstunde der Jeans, die zunächst "Waist overall" hieß, auf Deutsch: "Taillen-Überall". Zum Arbeiten wurde sie einfach übergezogen. Der Name Jeans entstand erst im 20. Jahrhundert und bezog sich auf die Stadt Genua, wo die Stoffe für die Nietenhosen derzeit gehandelt wurden.

Ob Strauss und Davis auf ihre Erfindung angestoßen haben, ist nicht überliefert. Der Anlass hätte es, zumindest rückblickend, auf jeden Fall hergegeben. Denn nach den Goldgräbern fanden auch Farmer, Holzfäller und Cowboys Gefallen am robusten Beinkleid und die Begeisterung für Jeans verbreitete sich weiter. Heute zählt die blaue Baumwollhose fast überall auf der Welt zu den beliebtesten Kleidungsstücken, quer durch alle Gesellschaftsschichten.

Auch Levi’s sind noch immer zu kaufen. Weltweit werden rund 60 Jeans pro Sekunde produziert. Die Deutschen haben übrigens im Schnitt sieben Modelle im Schrank, ob mit geradem Bein oder Schlag, übergroß oder so eng, dass man kaum rein-, geschweige denn wieder rauskommt, mal hüfttief geschnitten, mal hoch bis zur Taille, und Jeans, die schon vor dem ersten Tragen durchlöchert sind: aus Erfindersicht sicherlich ein Irrsinn.

Doch zurück zu den Anfängen: Der Siegeszug der Jeans ist nicht nur den Nieten zu verdanken, sondern auch den blau gefärbten Baumwollfäden, die mit originär weißen verwebt werden und dann eine Flecken verzeihende Mischfarbe ergeben. Das typische Jeansblau, das sich zwar mechanisch, aber nicht beim Waschen abnutzt, wurde in den ersten Jahrzehnten aus den Blättern der Indigopflanze gewonnen. Dies allerdings oft unter brutalen Bedingungen. Denn amerikanische Produzenten missbrauchten Sklaven und deren Indigo-Kenntnisse aus Afrika für Anbau und Produktion.

Es ist nicht der einzige Schandfleck in der Geschichte der Jeans. Schlechte Arbeitsbedingungen und Umweltsünden bei der Produktion sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Unter anderem, weil auch das heute verwendete synthetische Indigo Tücken hat: In der Regel wird es aus der giftigen und krebserregenden Chemikalie Anilin hergestellt, und das giftige Abwasser der Textilfabriken landet nicht selten auf Feldern und in Flüssen. Außerdem verschlingt die Jeansproduktion Unmengen an Wasser, rund 7500 Liter pro Hose. Auch der Pestizideinsatz beim Baumwollanbau schadet der Umwelt.

Immerhin: Manche Unternehmen steuern langsam um. Start-ups bieten zudem pflanzengefärbte Jeans aus Bio- oder recycelter Baumwolle an. Und man kann Jeans heutzutage sogar leasen, um Wiederverwendung und Recycling zu optimieren. Was die Väter der Jeans, Strauss und Davis, wohl davon gehalten hätten?

(anh)