Laborfleisch könnte 25-mal umweltschädlicher als das aus Tierhaltung sein​

Eine neue Studie hat die Produktionsschritte genauer als je zuvor analysiert und macht vor allem die energieintensive Herstellung der Nährlösung als Grund aus.​

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(Bild: alanisko/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
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Das Interesse an Laborfleisch wächst weltweit, verspricht es doch den echten Geschmack bei weit weniger umweltschädlichen Nachteilen als Fleisch aus Tierhaltung. Einer Untersuchung von Grand View Research zufolge wurde der globale Laborfleisch-Markt voriges Jahr mit 247 Millionen Dollar bewertet. Er soll bis 2030 jährlich um etwa 51,6 Prozent wachsen. Produkte aus dem Labor könnten, so wird gehofft, die ebenfalls wachsende Nachfrage nach Fleisch bedienen helfen und die Produktion über Tierhaltung schrittweise ersetzen.

Denn diese benötigt pro Kilogramm sehr viel Wasser, befeuert durch seinen Flächenbedarf für Weiden und Futterproduktion das Abholzen von Wäldern und erzeugt große Mengen an Klimagasen. Verschiedenen Berechnungen zufolge erzeugt Tierhaltung weltweit bis zu 19,6 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen.

Allerdings könnte die Umweltbilanz von Laborfleisch doch negativer ausfallen als bisher gedacht und sogar klimaschädlicher sein als Fleisch aus Tierhaltung. In einer Lebenszyklus-Analyse rechneten Forschende um Derrick Risner und Edward Spang von der University of California in Davis (UC Davis) detaillierter als je zuvor den Energiebedarf aller Produktionsschritte hoch. Ihren Ergebnissen zufolge könnte Kulturrindfleisch 4- bis 25-mal so viel Kohlendioxid- (CO2-) Äquivalente pro Kilogramm Fleisch freisetzen wie Produkte aus Tierhaltung.

CO₂-Äquivalente sollen helfen, die Wirkung verschiedener Klimagase auf die Temperatur an der Erdoberfläche zu vergleichen. Dafür wird die Menge eines Treibhausgases in die entsprechende Menge CO2 umgerechnet, die in 100 Jahren dieselbe Erwärmung bewirkt. Der Faktor für die Umrechnung macht das Treibhauspotenzial des Gases aus. Setzt man das Treibhauspotenzial von CO2 als eins fest, wirkt etwa Methan auf 100 Jahre betrachtet 28-mal so stark auf die Erderwärmung wie CO2, hat also ein Treibhauspotential von 28. Für Lachgas beträgt der Wert 298.

Für ihre "Cradle to gate"-Ökobilanz, die also von der Wiege des Produktes (alle Bestandteile und zugeführten Substanzen) bis zum Verlassen des Fabriktors (verkaufsfertiges Produkt) alles berücksichtigen sollte, nahmen die UC Davis-Forschende zunächst die Herstellung der Nährflüssigkeiten für die Zellkulturen unter die Lupe. In diesen Lösungen werden aus Stammzellen Muskelzellen gezüchtet.

Tatsächlich kann die Herstellung der Nährflüssigkeitsbestandteile wie Zucker (Glukose), Aminosäuren, Vitamine, Wachstumsfaktoren, Salze und Mineralstoffe ziemlich energieintensiv sein, wie die Forscher in einem Preprint schreiben, der den Gutachterprozess noch nicht durchlaufen hat. Das hatte einen nicht unerheblichen Anteil an der schlechten Ökobilanz von Laborfleisch, den die Wissenschaftler im zweiten Schritt berechneten und ebenfalls in einem Preprint veröffentlichten.

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Der Grund für den hohen Energieverbrauch liegt darin, dass alle Bestandteile und Zutaten mit "pharmazeutischer Qualität" aufgereinigt werden müssen, um insbesondere Verunreinigungen durch Bakterien und ihre Giftstoffe (Endotoxine) auszuschließen, die in der Nährflüssigkeit und auch bei der mikrobiellen Produktion der Zutaten wie Aminosäuren und Vitamine auftreten können. Auch die Aufreinigung von Wachstumsfaktoren aus Tierzellen ist durch aufwendige Verfahren wie Ultrafiltration besonders energieintensiv.

Bisherige Ökobilanzen für Kulturfleisch hätten vor allem "die Endotoxin-Entfernung nicht berücksichtigt" und waren nach eigenen Angaben der Autoren "mit hohen Unsicherheiten behaftet", schreiben Risner und Co-Autoren. Trotzdem seien sie "als klare Beweise für die Nachhaltigkeit der Laborfleischproduktion zitiert worden".

Angesichts der hohen Umweltkosten von Laborfleisch plädiert Risner dafür, dass einige Schlüsselprobleme gelöst werden müssen, bevor mehr Investitionen in geplante Hochskalierungen von Produktionsanlagen fließen. Dazu gehört etwa die Entwicklung umweltfreundlicher Methoden für die Endotoxin-Entfernung und günstigerer Produktionstechnologien für Nährmedien. "Wir müssen auch sehen, dass die Zellen mit Nährlösungszutaten in Lebensmittelqualität, die schon existieren, in kommerziell nutzbaren Zelldichten gezüchtet werden können", so Risner. Das könnte dann einen geringeren Energieverbrauch bedeuten.

Genau das hat das niederländische Beratungsunternehmen CE Delft mithilfe von Daten von Laborfleisch-Unternehmen für 2030 modelliert. Laut seinem im Januar veröffentlichten Fachartikel sei Kulturfleisch, dessen Zutaten Lebensmittelqualität haben, umweltfreundlicher als Fleisch aus Tierhaltung, schreiben die Autoren um Pelle Sinke. Die Analyse wurde unter anderem von Laborfleisch-Lobbyorganisation "Good Food Institute" in Washington D.C. finanziert.

„Wir sind davon ausgegangen, dass dieser Übergang von der Pharma- zur Lebensmittelqualität in Zukunft möglich ist“, sagte Sinke dem Wissenschaftsmagazin "New Scientist". Weiterhin könnte auch eine auf erneuerbare Energien beruhende Produktion zu einer günstigeren Umweltbilanz als Fleisch aus Tierhaltung beitragen, schreiben die Autoren von CE Delft. Berücksichtige man einen durchschnittlichen weltweiten Energiemix, habe Kulturfleisch einen besseren CO2-Fußabdruck als Rindfleisch, sei aber nicht umweltfreundlicher als Schweine- oder Hühnerfleisch.

Risner gibt zu bedenken, dass das Modell von Sinke und Co. bei einigen Zutaten nicht von Lebensmittel-, sondern nur Futtermittelqualität ausgeht. Dazu wird auch hier die Endotoxin-Entfernung nicht erwähnt. Wenn aber Lebensmittelqualität erreichbar und ausreichend sei, würde das auch die Herstellungskosten deutlich senken.

(jle)