Ghosting: Wenn Bewerber kommentarlos aus dem Bewerbungsprozess aussteigen

Wenn Kandidaten einfach den Bewerbungsprozess beenden, ist das stillos. Neu ist das Verhalten nicht: früher haben es Unternehmen gemacht. Das rächt sich nun.

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(Bild: fizkes/Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
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Vor einigen Jahren war die Arbeitslosigkeit hoch und das Interesse der Unternehmen an Bewerbungen gering. Die wenigsten Kandidaten haben damals eine Eingangsbestätigung auf ihre Bewerbung erhalten, geschweige denn eine ordentliche Absage. Das haben sich die Menschen gemerkt. "Ich höre heute noch von Bewerbern, dass sie diese Missachtung nicht vergessen haben", sagt Reinhard Scharff, Geschäftsführer der Personalberatung "Die Stellenbesetzter" in Stuttgart. Jetzt hat sich das Blatt am Arbeitsmarkt gewendet. Es herrscht allerorten Personalmangel und die Unternehmen sind nun diejenigen, die sich bei potenziellen Kandidaten bewerben. "Vielen von denen blieben die negativen Erfahrungen mit den Unternehmen im Unterbewusstsein, was zu einem 'Wie du mir, so ich dir' führt", sagt Scharff zu Ghosting, dem kommentarlosen Abbruch eines Bewerbungsprozesses.

Nach einer Umfrage der Joplattform Indeed unter 400 Personalern in Deutschland haben 90 Prozent Ghosting-Erfahrungen mit Bewerbern gemacht. Gut die Hälfte der befragten Recruiter sagen, dass Ghosting im vergangenen Jahr zugenommen hat. Ein Viertel der Befragten macht diese Erfahrung derzeit mindestens einmal pro Woche, fast jeder Zehnte täglich. Selbst nach einem Bewerbungsgespräch hören etwa die Hälfte der Personaler nichts mehr von den Kandidaten. Etwa ein Fünftel meldet sich nicht mehr nach einer Zusage und 7 Prozent der Recruiter haben schon erlebt, dass Mitarbeitende, die den Arbeitsvertrag unterschrieben haben, ihren Dienst ohne Vorankündigung gar nicht antreten.

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"Im Grund liegt Ghosting an der zunehmenden Verbindlichkeit im Bewerbungsprozess, die benötigt wird, um Stellen besetzen zu können, die aber zu Abbrüchen führt." Nahezu unverbindlich seien Bewerbungen über ausgeschriebene Stellen von Job-Crawlern wie Indeed oder Google. "Da starten Kandidaten Versuchsballons, um auszuloten, was in Bezug auf mehr Gehalt geht." Werden solche Bewerber kontaktiert, steigen die meisten in einem frühen Stadium aus dem Prozess aus. Kommt die Bewerbung jedoch auf eine Anzeige der Personalberatung, dann ist die Verbindlichkeit etwas höher. Diese Kandidaten schicken nämlich ein vollständiges Bewerbungspaket. Das macht Arbeit und die nehmen nur wirklich Interessierte in Kauf. "Deshalb kommt es höchst selten vor, dass Kandidaten einfach abbrechen." Wenn doch, dann erfolge die Absage meist akkurat.

Die Direktansprache, also der Anruf beim Kandidaten mit einem konkreten Jobangebot, ist sehr verbindlich. "Die Angesprochenen fühlen sich geehrt und die Gefahr von Ghosting ist sehr gering, weil die Ebene des Kontakts hoch ist", sagt Scharff. Von diesen Kandidaten bekommt er beinahe in allen Fällen eine positive oder negative Rückmeldung. Dass jemand einen Arbeitsvertrag unterschrieben hat und dann nicht angetreten ist, hatte Scharff noch nicht.

Er hört aber immer wieder, dass es solche Fälle bei seinen Kunden regelmäßig mit einem gefundenen Kandidaten gibt. "Ich meine, das liegt an der Überlastung der Personaler in den Firmen und – was noch wichtiger ist – die Verträge nicht in allen Einzelheiten zu Ende zu verhandeln." Offene Punkte führen zu Verstimmungen, die so weit gehen können, dass Bewerber sogenanntes Blackmailing betreiben, um Interessen durchzusetzen – also Erpressung durch Drohung. Kommen sie damit nicht durch, steigen sie einfach aus dem Prozess aus. Männer deutlich mehr als Frauen.

Um dem Trend zum Ghosting entgegenzuwirken, ergreifen Arbeitgeber laut der Indeed-Studie verschiedene Maßnahmen: die beliebtesten Methoden sind laut der Befragung die Beschleunigung des Bewerbungsprozesses und die schnellere Rückmeldung nach einem Bewerbungsgespräch oder nach Eingang einer Bewerbung.

Für Scharff sind die Firmen häufig immer noch zu langsam, und zwar aus mehreren Gründen: "Überlastung, Nichtwissen um die heutigen Zustände am Arbeitsmarkt – wer zuerst kommt, mahlt eben immer noch zuerst – vor allem im Management und bei Personalleiterinnen und Personalleitern." Viele hätten immer noch nicht begriffen, dass sich der Arbeitsmarkt von einem Schlaraffenland für Unternehmen in ein Paradies für Arbeitnehmer gewandelt habe.

Scharff vermutet Ghosting in allen Branchen, in denen Menschen sehr gesucht sind und die viele Angebote bekommen.

Sollten Kandidaten noch keinen Arbeitsvertrag unterschrieben haben und sich dann einfach nicht mehr beim Unternehmen melden, so hat das rechtlich keine Konsequenzen für die Bewerber. "Es gibt keine Verpflichtung dazu, einen Vertrag abzuschließen", sagt Alexander von Chrzanowski, Fachanwalt für Arbeits- und IT-Recht in der Rechtsanwalts- und Steuerberatungsgesellschaft Rödl & Partner.

Falls ein Vertrag unterschrieben ist, sind beide Seiten verpflichtet, das Arbeitsverhältnis aufzunehmen. Es gibt aber schon auch Fälle, dass der Bewerber sagt, ich komme doch nicht, weil der alte Arbeitgeber mehr bezahlt, wenn er bleibt. Manchmal sagen Firmen ab, weil überraschend die Abteilung geschlossen wird, in der der neue Beschäftigte arbeiten sollte. "Dass in solchen Fällen die eine oder die andere Seite auf ihr Recht zur Arbeitsaufnahme pocht, macht wenig Sinn, denn dauerhaft wäre die Anstellung in beiden Fällen nicht", sagt Chrzanowski.

Wenn nun der Vertrag unterzeichnet ist, der neue Arbeitnehmer aber seine Stelle nicht antritt, dann liegt eine Pflichtverletzung vor und der Bewerber müsste eigentlich dem Unternehmen Schadenersatz zahlen für die Kosten, die in der Firma angefallen sind oder durch sein Wegbleiben noch anfallen. "Eine Klage bringt allerdings nichts", sagt Chrzanowski. Denn der Schaden würde meist auch dann eintreten, wenn der Mitarbeitende kommt, am ersten Tag aber gleich kündigt.

Chrzanowski rät bei unentschuldigtem Fernbleiben freundlich nachzufragen, ob eventuell etwas passiert ist. "Wenn nicht oder keine Antwort kommt, sollte fristlos gekündigt und das Bewerbungsverfahren mit den anderen Kandidaten wieder aufgenommen werden", so der Rechtsanwalt.

(olb)