Anekdoten der Redaktion vollherzig erzählt
Es gibt bei uns in der Redaktion Kollegen, die schon länger für die c’t schreiben, als ich lebe. Eine Auswahl der Anekdoten lesen Sie in diesem Artikel.
(Bild: Thorsten HĂĽbner)
Als die erste Ausgabe der c’t aus der Druckerei rollte, waren meine Eltern elf Jahre alt und haben noch keinen Gedanken an mich verschwendet. Bei meiner Geburt arbeiteten die fleißigen c’t-ler schon seit mehr als einem Jahrzehnt am Heft, erstellten Schaltpläne und konfigurierten ihr Windows 95. 27 Jahre später wandle nun auch ich werktäglich durch die heiligen Hallen des Verlagsgebäudes, wenn ich nicht gerade von zu Hause aus arbeite. Während meiner bald drei Jahre hier hörte ich mir viele Geschichten an, einige freiwillig, andere unfreiwillig.
Eine kleine Sammlung möchte ich heute mit Ihnen à la "geteilter Schmerz ist halber Schmerz" teilen. Zwischendrin finden Sie auch niedergeschriebene Anekdoten von meinen Kollegen, darunter auch die Geschichte der sagenumwobenen Nuckelflasche aus Gusseisen ("Der Volo-Wonneproppen" weiter unten), auf die jeder neue Volontär der c’t aufpassen muss.
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Neuzeit
Es ist üblich, dass neue Kollegen, egal ob Redakteur oder Volontär, im Newsroom landen, um sich mit Meldungen für heise online warmzuschreiben. Gleich in meiner ersten Woche setzte ich mich mit einer Pressemitteilung auseinander. Meine Fragen sollte ich doch bitte gleich mit einem Pressesprecher klären, sagte man mir. Also griff ich zum Telefon. Telefonate sind mir seit eh und je ein Dorn im Auge, weil ich mein Gegenüber nicht sehen kann, zum Glück war die Frau am anderen Ende freundlich und erklärte mir, Presseanfragen würden ausschließlich per Mail beantwortet. Kurzerhand diktierte sie mir eine komplizierte Mailadresse. Doch diese stellte sich als falsch heraus, geschuldet der Nervosität und Anrufqualität habe ich sie wohl missverstanden. Erneut griff ich zum Hörer, meldete mich kleinlaut und bat erneut um die Adresse. Doch auch diesmal notierte ich etwas falsch und vor Scham im Stuhl versinkend musste ich ein drittes und letztes Mal anrufen. Puh!
Nicht nur Filmcrews wie die von Indiana Jones verschlug es nach Petra, auch unsere c’t-Redakteure besuchten die Jahrtausende alte Ruinenstätte.
(Bild:Â Merlin Schumacher)
Vor ein paar Jahren bin ich mit den Kollegen Merlin und Daniel nach Jordanien in Urlaub gefahren. Nach Amman und Gerasa war der nächste Halt unseres Städtetrips Petra, mit diesem Ziel ging ein lang ersehnter Wunsch von mir endlich in Erfüllung. Gelenkt von der Google Navigation fuhren wir abends vor unser Hotel vor. Als wir das Zimmer bezogen, hing ich gleich am Fenster und schaute in die schroffen Sandsteinformationen, die vom Sonnenuntergang in blutrotes Licht getaucht wurden. Ich wusste: Irgendwo dort hinten versteckt zwischen den Felsen lag die antike Ruinenstadt mit ihren haushohen Fassaden, die Künstler einer vergangenen Hochkultur vor 2000 Jahren direkt in den Fels gemeißelt haben – tausendfach fotografiert, Drehort für Indiana Jones und der letzte Kreuzzug.
Die Kollegen teilten meine Antiken-Begeisterung offensichtlich nicht: Daniel war am Handy, Merlin am Notebook. Plötzlich schaute er auf und seufzte erleichtert: „Jetzt sollte das WLAN besser gehen. Die Idioten hatten die falschen Funk-Bänder eingestellt.“ Ich beäugte ihn kritisch: „Hast du gerade den Router vom Hotel gehackt, um die WLAN-Konfiguration zu reparieren?“ „Von Hacken kann nicht die Rede sein! Die hatten das Standardpasswort gelassen“, verteidigte er sich. Daniel pflichtete bei: „Läuft schon besser jetzt.“
Auf dem Weg zum Abendessen mussten wir noch kurz im Flur halt machen. Merlin hob mich hoch, damit ich am Access-Point mal kurz den Stecker rausziehe und ihn gleich darauf wieder reinstecke. Der brauchte einen Neustart, damit er die verbesserte Konfiguration ĂĽbernahm.
(pmk)
Mein Kollege Niklas Dierking, der beinahe zur gleichen Zeit mit mir als Volontär anfing, stellte sich besser an und leistete sich erst als Redakteur einen Fauxpas: Er wollte einen IMAP-Ordner in Thunderbird abonnieren. Dabei stürzte jedoch das Programm ab. Nach einem Neustart tauchte zwar der Ordner in der Liste auf, aber keine der Nachrichten. Deswegen löschte er den Ordner und wollte ihn neu abonnieren. Ohne es zu wissen, hatte Niklas den Ordner nicht lokal entfernt, sondern auf dem IMAP-Server. Prompt schrieb er den Admin an, der seine Befürchtung bestätigte und ihn lobte, wie überaus sorgfältig er danach noch den Papierkorb entleert habe. Glücklicherweise konnte unser Mailadmin den Ordner aus einem der Backups friemeln – gerade noch mal gut gegangen.
Alles auf Anfang
So, nun drehe ich aber endlich die Zeit zurück, auf Anfang der 90er: Da belief sich das Durchschnittsalter der Redakteure auf etwa 30 Jahre, man hauste nicht in einem imposanten ehemaligen Versicherungsgebäude gegenüber der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), sondern in einem extra dafür angemieteten ausgebauten Dachboden in einem reinen Wohnviertel. Wie ältere Kollegen munkeln, war das eine eher abgerockte Bude, sodass mancher Bewerber spätestens auf der Treppe die Krawatte verschwinden ließ.
Haben Sie ungefähr ein Bild vor Augen? Gut, denn der äußere Schein trügt nicht, auch drinnen tollten die Kollegen umher: Viele rauchten zu der Zeit am Arbeitsplatz – heute undenkbar. Nichtraucher hatten deswegen einen eigenen Bereich am Ende der Redaktion, in dem sie abseits vom Qualm in Ruhe arbeiten konnten. Um dahin zu gelangen, mussten diese aber erstmal den gesamten Raucherbereich durchqueren. Kein Wunder, dass diese den Rauchern nicht gut gesinnt waren. Wer also den Nichtraucherbereich gedankenverloren mit brennender Zigarette betrat, erlebte eine kalte Überraschung: Schonungslos jagte man die Eindringlinge mit Wasserpistolen davon.
Mit dem mittlerweile im Ruhestand befindlichen Kollegen Andreas Stiller hatte ich mir viele Jahre ein Büro geteilt. Er war derjenige, der am späten Vormittag erschien, ich eher der frühe Vogel – aber beide Albernheiten zugeneigt wie 12-Jährige. Deshalb kauften wir uns jeder bei Pearl einen USB-Raketenwerfer, mit drei Raketen bestückt, einzeln abfeuerbar, um 180 Grad drehbar, mit Windows-Software zum Steuern. Damit spielten wir gelegentlich in Denk- und Arbeitspausen rum.
Eines Morgens, es war noch nicht viel los auf den Fluren und Büroräumen, höre ich ein Sirren, das ich nicht einordnen konnte. Ratlos blicke ich umher, da macht es plötzlich Klack. Zu spät zum Ausweichen. Der fiese Möpp hatte es tatsächlich per Remote-Desktop von zu Hause aus geschafft, den Raketenwerfer in meine Richtung zu drehen und im rechten Moment den Feuerknopf zu drücken. Blind! Über diesen Zufallstreffer lachen wir heute noch.
(ola)
Nicht nur die Zigaretten der Kollegen waren Ziele, auch Computer waren nicht sicher. Um das Jahr 1996 herum bauten viele Kollegen ihre Rechner schon selbst zusammen. Davor gab es praktisch nur vorgefertigte Rechner. Die neu gewonnene Freiheit, Computer mit eigens ausgesuchter Hardware zusammenzubasteln, führte zu merkwürdigen Situationen: Musste zum Beispiel ein bestimmter Prozessor für ein Foto Modell stehen, dann stibitzte der Schlingel Andreas Stiller diesen stiekum aus einem der Rechner. Und plötzlich stand man morgens vor seinem ausgeschlachteten PC und konnte nicht weiterarbeiten, erzählte mir Peter Siering – zumindest bekam man (meistens) die Teile zurück. Wie die Anekdote "Zufallstreffer" im Kasten unten zeigt, haben meine Kollegen ihren Humor nie verloren.
Im Unterschied zu heute, wo man Artikel bequem im Content-Management-System papierlos schreibt und gemeinsam bearbeitet, wie wir es Ihnen ebenfalls gezeigt haben, wurde vor drei Jahrzehnten noch viel gedruckt und auf Papier herumgereicht: Da es noch kein Netzwerk gab, stand auf einem Servierwagen ein Nadeldrucker des Typs NEC P6, der bei Bedarf zu dem jeweiligen Computer geschoben und angeschlossen wurde. Wie sich mein Kollege Hajo Schulz erinnert, durfte man eine Sache auf keinen Fall tun: damit das Stahlregal berühren, auf dem die Testrechner in der großspurig als Labor bezeichneten Abstellkammer ihr Dasein fristeten. Dann entlud sich nämlich sämtliche mit den Gummirollen auf dem Filzteppich eingesammelte Elektrizität in die Gerätschaften. Peng – Reset! Und das Gefluche war groß.
Die ohnehin wilde Zeit war auch geprägt von einigen Umzügen. So einmal aus dem zu klein gewordenen Gebäude in der Helstorfer Straße 7 heraus und ein paar Jahre später nach ein paar Anbauten wieder hinein, bis eben auch diese zu klein wurden. Der alte Verlagssitz lag auch schon neben der MHH, nur nicht wie der aktuelle gegenüber dem Haupteingang, sondern an einer Seite mit Blick auf das ehemalige Schwesternwohnheim. Irgendwann entschied die MHH, dass dieses abbruchreif sei. Und so kam es dann auch. Ein Spezialbagger knabberte zuweilen tonnenschwere Betonbrocken ab, die mit einigem Getöse auf den Boden krachten. Die Vibrationen im Verlagsgebäude war zwar nur kurz vor Tassengeklapper wie bei einem schwachen Erdbeben, aber dennoch stark genug, dass einige Kollegen um die Unversehrtheit ihrer Magnetfestplatten fürchteten. Kollege Jörg Wirtgen dagegen filmte lieber den spektakulären Abriss, als sich Sorgen zu machen – vielleicht lief ja schon eine der damals noch teuren SSDs in seinem Rechner.
Dienstreisen
Doch egal wo es hinging, bis heute befinden wir uns immer irgendwie mit einem Bein auf einer Messe oder Konferenz. Meine erste Dienstreise ist noch gar nicht so lang her: Da ging es bequem mit dem Zug nach Den Haag und anschließend ins Marriot-Hotel. Der Weg zur Konferenz war gerade mal eine Fahrt mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss entfernt. Und am Abend konnte ich noch bequem vom Bett aus Fragen via Teams zu meinem Artikel klären. Ganz frei von Problemen, wenn ich mir die Schilderungen früherer Reisen meiner Kollegen Jörg Wirtgen (siehe "Gefangen in Japan" weiter unten) und Nico Jurran anschaue.
Während Sony 2010 in Nagano stolz neue Mini-Notebooks präsentierte, verhinderte Eyjafjallajökull, dass die angereiste Presse wieder nach Europa zurückfliegen konnte.
Ich war mit Sony und vielen anderen Journalisten aus Europa mal auf einer Dienstreise in Japan, wo wir ein Notebook-Werk besichtigt haben. Gerade als wir abschließend in Tokyo waren, brach in Island der Vulkan Eyjafjallajökull aus, worauf der Flugverkehr weltweit stoppte.
Das war schon eine seltsame Stimmung – keiner der Journalisten und der Agenturleute wusste, wie es weitergeht. Sony hat sich bereiterklärt, die Hotels noch ein paar Tage weiterzubezahlen und hat kurzfristig ein tolles Programm auf die Beine gestellt. Faszinierende Stadt. Wir wussten nichts: Wie lange müssen wir in Japan bleiben? Gehts nur per Schiff zurück? Gar nicht? Na ja, nach ein paar Tagen gingen dann die außereuropäischen Flüge wieder los und die Journalisten aus Portugal und, ich glaube, Marokko konnten ausfliegen. Deutschland, Niederlande, Frankreich und ein paar Länder aus Osteuropa mussten sich gedulden.
Von dem Problem war auch Andreas Stiller betroffen, der auf Einladung von AMD nach Austin fliegen sollte, aber nicht aus Europa heraus kam. Also haben wir Sony und AMD gefragt, und dank deren Unterstützung haben sie Andreas’ Flug umgebucht auf einen von Tokyo nach Austin, und ich habe die AMD-Veranstaltung wahrgenommen.
In Austin war ich dann nicht so ganz fit, es waren lange Nächte in Tokyo und noch eine Zeitverschiebung drauf, bei AMD habe ich natürlich nicht so glänzen können wie mein Kollege Stiller. Während des Aufenthalts haben dann die Flieger auch über der EU wieder losgelegt. Ich habe aber noch ein paar Tage rangehängt, mir ein iPad gekauft, weil es das in Deutschland noch nicht gab und bin dann wieder heimgeflogen. Eine sehr unwirtliche Tour war das: erst Joggen in Nagano im Schnee und ein paar Tage später bei glühender Hitze in Austin. Verrückt!
(jow)
Nico besucht seit 23 Jahren regelmäßig die Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas. Sein erster Aufenthalt lief alles andere als rund: Ein Reisebüro quartierte ihn seinerzeit ins Luxor ein, weil es nach einem Blick auf die Stadtkarte entschieden hatten, das Hotel läge nahe am Messezentrum. Eine grobe Fehleinschätzung! Da es damals weder Expressbus noch Monorail oder Uber gab und man auf die wenigen Taxis endlos warten musste, standen morgens und abends Wanderungen von je einer Stunde an. Erschwerend hinzu kam das Wetter der Wüstenstadt: Schwitzte Nico zum Messeschluss bei rund 30 Grad in der Sonne, schlotterte er bei Ankunft am Hotel im T-Shirt bei 4 Grad. Auch die Datenübertragung an die Heimatredaktion gestaltete sich abenteuerlich: über Softmodem am Laptop und Anschluss am Analogtelefon. Kam ein Anruf herein, brach die Verbindung zusammen. Die Verbindung lief zwangsweise über AOL, allerdings nur zäh: Vier Textmeldungen mit einem(!) Bild brauchten teilweise eine Stunde. Erschöpft von Messe und Gehweg schlief Nico Jurran an einem Abend dann prompt beim Upload ein – um einige Stunden mit der Panik an die aufgelaufenen Verbindungsgebühren aufzuwachen. Glücklicherweise hatten die monatlichen Freiminuten für das Nickerchen gereicht, sodass der Kollege seine CES-Premiere auch finanziell heil überstand.
Über fünf Pfund Tradition: Jeder neue c’t-Volontär bekommt diese gusseiserne Nuckelflasche auf den Schreibtisch gestellt, bis der nächste Volo anfängt.
Wer seine journalistische Ausbildung bei c’t absolviert, bekommt zu Beginn ein etwas skurriles Artefakt für den Schreibtisch überreicht. Der ideelle Wert dieses wandernden Artefakts erschließt sich erst bei näherer Betrachtung.
Als ich 2018 mein Volontariat bei c’t begann, gab es in einer der ersten regelmäßigen Volontärsrunden eine kleine Überraschung: Von meiner Kollegin Olivia von Westernhagen bekam ich unter dem Schmunzeln der übrigen Kollegen eine kleine Nuckelflasche auf den Tisch gestellt. „Ah, die Panzergranate“, meinte Andrijan Möcker grinsend. Olivia machte es kurz und bündig: „Das Ding steht jetzt auf Deinem Schreibtisch, bis der nächste neue Volo bei uns anfängt.“ Warum? „Die bekommt jeder Volo bei c’t am Anfang.“
Der zweite Schmunzler folgte, als ich die auf den ersten Blick kaum von einem Kinderspielzeug zu unterscheidende Flasche anhob: Mit einem Gewicht von 2,61 Kilogramm hatte ich nicht gerechnet. Babys würden sie wohl nicht einmal ins Wackeln bringen, denn das Gerät besteht aus massivem, einfach lackierten Gusseisen. Zurück im Büro begrüßte mich Dorothee Wiegand, die mir damals gegenüber saß, mit den Worten: „Oh, die gibt es immer noch?“ Sie hatte um die Jahrtausendwende als Volontärin angefangen und kannte das Geschoss noch aus eigener Anschauung. Existieren würde es aber wohl schon deutlich länger, meinte sie.
Meine Neugierde war geweckt. Zunächst befragte ich Peter Nonhoff-Arps, den ich vor meiner c’t-Zeit während einer Elternzeitvertretung beim Schwestermagazin c’t Fotografie kennengelernt hatte. Peter ist seit 1990 im Haus, hatte sein Volontariat allerdings nicht bei c’t, sondern bei Elrad absolviert. Aus dem 1977 begründeten „Magazin für Elektronik und technische Rechneranwendung“ war die c’t 1983 hervorgegangen. Wieder Schmunzeln, wieder die Anmerkung: „Ja, die kommt von Elrad und ich hatte sie auch schon!“, dieses Mal verbunden mit dem Tipp, am besten mal Hans-Jürgen Berndt aus der technischen Assistenz zu fragen. „Er ist der dienstälteste Kollege, vielleicht kann er dir etwas zum Ursprung sagen.“
In der Tat: Hans-Jürgen, mittlerweile in Rente, hatte 1978 bei Elrad begonnen. Zu meiner Überraschung erkannte er die Flasche sofort wieder (mit einem Lächeln und dem Spruch, den ich von allen hörte). Er war einer der ersten, die sie auf ihrem Tisch stehen hatten. Hans-Jürgen, der seinerzeit als Aushilfe Hardware-Projekte im Elrad-Labor aufbaute und später als technischer Assistent für Elrad und c’t arbeitete, wusste mehr: Udo Wittig, der erste Chefredakteur von Elrad, hatte das Artefakt in die Redaktion gebracht. Woher, warum – das konnte Hans-Jürgen nicht mehr rekonstruieren. Vielleicht war es einfach Nerdkram im Stil der 1970er-Jahre.
Auf Wittig ging auch der ursprüngliche Brauch zurück, dass grundsätzlich jeder neue Mitarbeiter die Flasche weitergereicht bekam, wenn er in der Elrad-Redaktion anfing. Die hatte gerade einmal eine Handvoll Redakteure und Mitarbeiter. Eine Beschränkung auf Volos wäre wenig ergiebig gewesen, eine Erweiterung auf alle erschien also sinnvoll. Als Heise die c’t 1983 vom Mutterschiff Elrad abkoppelte, kamen folgerichtig auch deren Mitglieder in den Genuss des übergewichtigen Spielzeugs. Axel Kossel, der 1986 zur c’t stieß und heute stellvertretender Chefredakteur ist, erinnert sich noch an die Übergabezeremonie: Der bisherige Inhaber überreichte die Flasche mit zwei Fingern und unschuldigem Gesichtsausdruck. Das Gewicht kümmerte sich dann um die Überraschung.
Mit zwei voneinander unabhängigen Entwicklungen im Haus Heise veränderte sich allmählich der Empfängerkreis. 1997 endete zunächst die Ära Elrad mit dem Verkauf der Zeitschrift. Ihre bisherigen Redaktionsmitglieder kamen bei c’t unter, wenn sie es wollten. So konnte auch die Flasche im Haus bleiben, ohne dass jemand ein schlechtes Gewissen haben musste. Die c’t wiederum stellte im selben Jahr von monatlicher auf 14-tägliche Erscheinungsweise um und vergrößerte die Redaktion deutlich. Damit änderten sich auch die gewohnheitsmäßigen Vergabekriterien für die Nuckelflasche. Die Redaktion reduzierte sie nach und nach auf Volontäre, wie sich der heutige Chef vom Dienst Georg Schnurer (seit 1990 im Verlag) erinnert.
Wer direkt als Redakteur anfing, dürfte hier und da aufgeatmet haben. Das Ritual war nach Erinnerung des pensionierten Kollegen Uli Hilgefort wohl nicht jedem erfahrenen Neuzugang gut vermittelbar – auch wenn wohl kaum etwas so gut zu den Einwohnern von „Nerdistan“ passt wie „The Holy Hand-grenade“. Schließlich bildet sie seit bald einem halben Jahrhundert eine Verbindung zwischen den Generationen in der c’t-Redaktion und sogar ihrem publizistischen Vorgänger Elrad. Über den verschmerzbaren Schabernack hinaus bekommt jeder Inhaber symbolisch die Hand gereicht, Teil der Tradition dieses nerdigen Haufens zu werden. Wenig Wunder also, dass ich ein bisschen Wehmut und ein bisschen Freude zugleich empfand, als ich die Flasche im Sommer 2019 an Sylvester Tremmel weiterreichte.
(mon)
Tests …
So große Unterschiede wie bei Dienstreisen konnte ich bei unseren Tests der Geräte nicht beobachten (ignoriert man das Alter und die Technik zu der Zeit). Trotzdem erzählten mir viele meiner Kollegen die wundersamsten Geschichten, was ihnen so im Laufe der Jahrzehnte für Testgeräte untergekommen sind. Da war zum Beispiel 2003 ein HDTV-fähiger Röhrenfernseher, den der Hersteller JVC meinem Kollegen Nico Jurran zum Test anbot, obwohl es in Europa noch keine passenden Empfangsgeräte gab und Testsender ins Leere funkten. Solch ein Angebot konnte er nicht ausschlagen. Also brachte der Hersteller das Ungetüm auf einer großen Holzpalette auf den Weg nach Hannover. Doch als Vorseriengerät ohne Kennzeichnung blieb es einige Tage im Hafen beim Zoll hängen – und wurde wohl im Fischereibereich gelagert, sodass die Palette und die Unterseite des Kartons ausreichend Zeit hatten, Fischbrühe vom Boden aufzusaugen. Derart mariniert landete der Fernseher im Verlag und im Flur vor dem Ressort – sehr zum Unbehagen aller Kollegen. Denn obwohl die Redakteure den TV-Koloss so schnell wie möglich auspackten sowie Palette und Verpackung entsorgten, lag der bestialische Gestank im Verlag noch gut eine Woche in der Luft. Alle Verlagsangestellten konnten nun also nicht nur HDTV, sondern auch "Geruchsfernsehen" erleben, auch wenn davon am Ende nichts im Test stand.
… und Spiele
Manchmal bedienten sich meine Kollegen auch ungewöhnlicher Mittel, um Geräte zu testen. Haben Sie schon mal mitbekommen, dass ein Verlag Gaming-Hardware von E-Sports-Profis testen lässt? Ich auch nicht, obwohl das an sich total Sinn ergibt. Schließlich sind sie die spätere Zielgruppe des Produkts. Das dachte sich meine Kollegin Ulrike Kuhlmann 2008 auch, als sie acht Profizocker einlud, um die neuesten LCD-Monitore zu testen. Damals schoss man Tore noch am Röhrenmonitor und verzauberte Oger im Flimmerlicht der Mattscheibe. Ulrike, Stefan Porteck und Jan-Keno Janssen verklebten also Signets und Modellplaketten der Testgeräte. Dann durften die teilweise sehr jungen Profispieler ran und zeigen, was sie konnten. Das steckte auch Jan-Keno an, der Warcraft 3 mitspielte, aber komplett chancenlos war: Während er noch durch die Karte irrte, eroberten die Profispieler längst ganze Dörfer. Ich finde, diese Art des Testens sollten wir wieder einführen.
Wo wir schon bei Spielen waren: 2011 stand ein 2000 Euro teurer Gaming-PC von Acer auf dem Prüfstand von Christian Hirsch. Der Predator G7760 brachte für die damalige Zeit beeindruckende Hardware mit: 16 GByte Arbeitsspeicher, 60 GByte SSD und eine GeForce GTX 580. Ich hätte damals als 15-Jähriger alles für einen solchen PC gegeben, doch einen Haken hatte der Rechner. Ironischerweise lief auf dem Gaming-PC mit einem DVI-Monitor außer Anno 1404 kein anderes Spiel. Selbst populäre Spiele ihrer Zeit wie Metro 2033 oder Dirt 3 konnte der Rechner nicht stemmen. Erst rund ein halbes Jahr später identifizierte der Hersteller die Ursache. Ein fehlerhafter Audiotreiber stellte sich dem Spielspaß entgegen, solange kein analoges Headset an den PC angeschlossen war. Denn wie mir Christian erzählte, testen wir immer mit dem Minimum an Hardware, das nötig ist, also nur mit Maus und Tastatur.
Letzte Worte
Wenige Jahre später zog die gesamte Redaktion ein weiteres Mal um – Ziel der Umzüge war immer, die über mehrere Standorte verteilten Kollegen wieder in einem Gebäude zusammenzubringen. Geht man heute hier hinein, kommt einem kein Zigarettenrauch oder Wasserpistolenstrahl entgegen. Stattdessen sieht man ein herausgeputztes Foyer aus Granit, in dem ein Turm mit jeder herausgekommenen c’t bis zum 30-jährigen Jubiläum steht, einen gigantischen Ficus, der bis ins dritte Stockwerk ragt, und vor der Kantine ein in den Boden eingelassenes Wasserspiel, das leise vor sich hin plätschert, wenn die Pumpe läuft. Wenn sie mal nicht läuft – und das passiert ziemlich oft –, sieht die Wasseroberfläche wie die Fortsetzung des Fußbodens aus. Etliche sind deshalb reingeplumpst. So viele, dass unser Chef vom Dienst Georg Schnurer die Opfer irgendwann mit selbst gedruckten T-Shirts beschenkte. Ruckzuck stand auch ein Geländer dort, um Besucher und Mitarbeiter zu schützen, denn wie mir ein Vogel zwitscherte, waren auch meine Kollegen von einem unfreiwilligen Sturz ins kalte Nass nicht ausgenommen.
(wid)