Das Tablet von Oz

Apples neues iPad treibt die Abstraktion moderner Computertechnik auf die Spitze: Der Benutzer sieht nur noch einzelne, einfach zu bedienende "Apps", Dateisysteme oder gar Hacks mĂĽssen drauĂźen bleiben. Ist das gut oder schlecht?

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Die wohl radikalste Aussage, die ich in der vergangenen Woche zur Vorstellung zu Apples mit allem Hype der Welt erwarteten Tablet-Rechner lesen durfte, lautet wie folgt: "Wenn ich als Kind statt echter Computer ein iPad gehabt hätte, wäre ich wohl nie Programmierer geworden." Das bringt die Neuerung auf den Punkt: Die Steve-Jobs-Firma hat mit dem Tafel-PC ein Gerät auf den Markt gebracht, das alles wegabstrahiert, was einen Rechner für Laien schwer bedienbar macht, für Tüftler (Ingenieure, Hacker, Wissenschaftler...) aber so enorm faszinierend.

Nicht dass man mit dem iPad wenig anfangen könnte: Die 140.000 Anwendungen, die es bereits für iPhone und iPod touch gibt, laufen sofort (wenn auch in einem merkwürdigen Einzel-Modus, weil Apple Multitasking durch Dritthersteller selbst auf einer 1 GHz-Maschine für problematisch hält). Es ist zudem zu erwarten, dass die große Entwicklergemeinde für das iPhone OS höchst spannende Apps basteln wird, die den großen Bildschirm mit der riesigen Multitouch-Fläche nutzen.

Aus User-Sicht werden diese aber ebenso stark Abstraktion betreiben, wie das iPad-Betriebssystem selbst: Dateisysteme existieren nach außen hin nicht mehr, viele Tipps & Tricks oder gar Hacks sind technisch schlicht nicht anwendbar, weil die Apple als Kontrolleur allen Codes entweder durchwinken oder sonstwie zulassen (Kommandozeile, we hardly knew ya) müsste. Wer nicht zum berühmten "Jailbreak" greift – und das dürften immer weniger sein –, hat eine Plattform vor sich, die an den Zauberer von Oz erinnert: Niemand darf (oder will) mehr hinter den Vorhang schauen.

Will man besonders negativ sein, könnte man daraus zu folgendem Schluss kommen: Wenn Geräte wie das iPad in fünf oder zehn Jahren die IT-Landschaft bestimmen, bedeutet dies potenziell weniger Technikkompetenz in der Normalbevölkerung als je zuvor. "Echte" Computer wie der aus dem Eingangszitat würden dann nur noch von Spezialisten verwendet, um Programme für Plattformen wie das iPad zu entwickeln, allen anderen Verbrauchern erschienen sie als zu komplex.

Letztlich bedeutet das auch, dass man zunehmend auf das Wohlwollen des Plattformbetreibers angewiesen ist. Da der seine Oberfläche kontrolliert, bestimmt er auch, was geht und was nicht. Würde man Apple durch Microsoft ersetzen, das Wehklagen wäre wohl groß: Apple ist für gute Usability und eine Nähe zu den Geisteswissenschaften bekannt und versucht, stets auf eine menschliche, ja menschenwürdige IT zu achten. Aber das heißt ja nicht, dass das auf immer und ewig so bleiben muss. Die Auswirkungen auf den Bastlernachwuchs, davon bin ich überzeugt, dürften interessant werden. Aber vielleicht wird der ja auch nur angespornt. (bsc)