Kopierte Liedtexte: Freie Fahrt für Google

Google zeigt Liedtexte, die von der Webseite genius.com kopiert wurden, ohne zu fragen. Kismet, sagen US-Gerichte.

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Schwarze Frau in gelbem Kleid tanzt auf Bühne und singt; rechts dahinter ein schwarzer Mann trommelt, ein weitere spielt Bass

Das Symbolfoto zeigt N'Nato Camara am MIkrofon, Leonard Boniface an der Trommel und Dophine Mbuyi am Bass auf der Bühne des Yukon African Music Festival 2022.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Endgültig gescheitert ist eine Millionenklage der Liedtext-Webseite Genius.com gegen ihren kanadischen Mitbewerber Lyricfind sowie Google. Dessen Suchmaschine hat direkt Liedtexte angezeigt, die von der Genius-Webseite kopiert waren. Das zeigten versteckte Markierungen. Gleichzeitig brachen die Zugriffszahlen auf genius.com ein. Der Betreiber wollte sich nicht ausnutzen lassen und klagte. Doch ist solche Selbstbedienung an fremder Leistung nach US-Recht nicht verboten. Anders als in der Europäischen Union gibt es dort nämlich kein Schutzrecht für Datenbanken. Nach drei Niederlagen für Genius vor US-Gerichten hat jetzt der Supreme Court des Landes abgelehnt, den Fall zu überprüfen.

Genius.com ist eine Webseite, die insbesondere Liedtexte bereitstellt. Dafür hat Genius Lizenzen erworben, doch stellen die Rechteinhaber in der Regel die Liedtexte selbst nicht bereit. Daher haben Genius-Nutzer die Texte in aufwändiger Arbeit selbst niedergeschrieben. Der Betreiber baut absichtlich bestimmte Zeichen ein, um unerbetener Verwendung der Texte nachspüren zu können. Dabei erwischte Genius ausgerechnet Google dabei, solche Liedtexte samt Wasserzeichen direkt in der Suchmaschine anzuzeigen. Genius gibt an, dass die Zugriffe auf genius.com seither drastisch eingebrochen seien.

Nach einer Beschwerde entfernte Google die bekannten Wasserzeichen aus den Liedtexten, doch hatte Genius noch andere, geheime Zeichen versteckt, die weiterhin in den von Google kopierten Liedtexten auftauchten. Der Suchmaschinenbetreiber gibt an, die Texte von der kanadischen Webseite Lyricfind lizenziert zu haben, und ist sich keiner Schuld bewusst.

Da Genius selbst keine Urheberrechte an den Liedtexten besitzt, kann es keine Copyrightverletzung geltend machen. In der EU gibt es einen sui generis Schutz der Investitionen in Datenbanken, die keine geistige Schöpfung darstellen, aber viel Aufwand erfordern. Geschützt sind beispielsweise Telefonbücher; sie dürfen 15 Jahre nach erscheinen nicht einfach kopiert oder abgeschrieben werden. Rechtlich fallen auch Zettelsammlungen unter diesen Begriff der Datenbank, sie muss nicht elektronisch sein.

Doch in den USA gibt es keinen vergleichbaren Schutz für Datenbankhersteller. Daher verklagte Genius sowohl Lyricfind als auch Google vor einem Gericht des Bundesstaates New York wegen Vertragsverletzung (Verletzung der Genius-Nutzungsbedingungen), unlauteren Wettbewerbs und ungerechtfertigter Bereicherung (Genius Media Group v Google et Lyricfind, NY Supreme Court, Kings County, Index 526241/2019). Den Beklagten gelang es, das Verfahren aus New York zum Bundesbezirksgericht für das östliche New York zu verlagern. Das war Genius' erste Niederlage.

Das Bundesbezirksgericht stellte dann fest, dass Genius überhaupt keine juristischen Vorwürfe erhebt, und wies die Klage zurück. Und das geht so: 1978 führten die USA ein neues, landesweit einheitliches Copyrightgesetz ein. Um wirklich landesweit einheitliche Anwendung sicherzustellen, enthält es eine Ausschlussklausel: Unzulässig sind Ansprüche unter dem Recht von US-Staaten, die sowohl inhaltlich (subject matter) als auch hinsichtlich der Ausschlussrechte mit Copyright zu tun haben (within the general scope of copyright). Niemand darf seither solche oder äquivalente Rechte geltend machen (Section 301, Copyright Act of 1976).

Die Beklagten argumentieren, dass hier ein Streit um Copyright-Materien vorliege, auch wenn es im konkreten Fall keinen Copyright-Schutz gibt. Genius dürfe seine juristischen Vorwürfe daher gar nicht erheben. Dem schloss sich das Bundesbezirksgericht an: Es strich die Klagepunkte aus der Klage, die damit leer war. So scheiterte die Millionenklage gegen Google wegen kopierter Liedtexte in erster Instanz. Das war Genius' zweite Niederlage (Genius Media Group v Google et Lyricfind, US District Court Eastern New York, Az. 19-cv-7279).

Genius berief, doch das Bundesberufungsgericht für den zweiten Bundesgerichtsbezirk machte kurzen Prozess ohne aufwändige Verhandlungen. In einem nicht-präzedenziellen Kurzurteil (Summary Order) stellte es fest, dass es inhaltlich um Liedtexte gehe, nicht um den von Genius und seinen Nutzern investierten Aufwand. Damit sei inhaltlich Copyright betroffen. Und weil sich Genius über die Veröffentlichung von Kopien der Liedtexte beschwert, gehe es auch um mit den typischen Copyright-Ausschlussrechten vergleichbare Ansprüche. Diese dürfe Genius aber nicht erheben, mithin habe die erste Instanz korrekt geurteilt. Das war Genius' dritte Niederlage (MC Genius Holdings v Google et Lyricfind, Second Circuit, Az. 20-3113).

Das Unternehmen hoffte auf Hilfe durch den US Supreme Court. Doch hat dieser nun abgelehnt, den Fall zu verhandeln. Das ist nicht ungewöhnlich: Das Höchstgericht nimmt nur einen Bruchteil der an ihn herangetragenen Fälle an, und begründet die Ablehnungen in aller Regel auch nicht. Im Ergebnis muss Genius hinnehmen, dass Dritte die Leistung der Genius-User ausnutzen, indem sie die Liedtexte kopieren und anderswo veröffentlichen.

Vor drei Jahren entschied der US Supreme Court in einem anderen Fall, dass US-Staaten Copyright ungestraft missachten können. Das ist dann zwar illegal, aber Handhabe dagegen gibt es keine. Denn US-Staaten genießen so wie Behörden des Bundes und der Ureinwohnerstämme grundsätzlich Immunität vor US-Gerichten und können ohne ihre eigene Zustimmung nicht belangt werden.

(ds)