US-Klagewelle gegen Soziale Netze wegen geschädigten Kindern

Eltern haben Meta, Snapchat, Tiktok & Youtube verklagt, weil deren Dienste Kinder geschädigt haben sollen. Jetzt bringen Sammelklageanwälte auch Schulen dazu.​

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Eine Gruppe Jugendlicher vor einer Schule

Das Symbolfoto zeigt eine Gruppe Jugendlicher vor einer Schule außerhalb der USA.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 4 Min.

Eine enorme Klagewelle gegen Betreiber großer Sozialer Netzwerke staut sich am US-Bundesbezirksgericht für das nördliche Kalifornien auf. Beklagte sind in der Regel Meta Platforms, das Facebook, Instagram und Whatsapp betreibt, Snapchat-Betreiber Snap, Tiktok und dessen Eigentümer Bytedance sowie Youtube samt Google. Juristisch werden unterschiedliche Vorwürfe erhoben, die eines gemein haben: Die Sozialen Netzwerke trügen Schuld am Leid von Kindern und deren Umfeld.

Auf die Klagewelle macht das Wall Street Journal aufmerksam. Demnach haben zunächst hunderte Eltern Klagen eingereicht. Insbesondere werfen sie den Datenkonzernen mangelhafte Produktgestaltung vor: Bestimmte Features Sozialer Netzwerke oder deren Ausgestaltung insgesamt hätten ihre Kinder geschädigt. Unter den Fällen sind tatsächlich schreckliche Schicksale, darunter ein magersüchtiges Mädchen, ein Teenager, der sich erschossen hat, oder zwei, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind.

Daran sollen die Betreiber der Sozialen Netze zumindest zum Teil Schuld tragen, meinen die Kläger: Das magersüchtige Mädchen hatte sich schon vor Erreichen des Mindestalters Zugriff auf Instagram verschafft, wo der Algorithmus tatsächlich sehr schnell zu absurden magersuchtsverherrlichenden Inhalten führen kann. Der Teenager hat für Snapchat-Videos russisches Roulette gespielt und verloren. Der tödliche Autounfall sei durch ein – inzwischen entferntes – Merkmal der Snapchat-App angestiftet worden, das bei Videos die aktuell gefahrene Geschwindigkeit eingeblendet hat.

Inzwischen sind auch hunderte Schulverwaltungen (school districts) quer durch das Land auf den Geschmack gekommen. Nicht von ungefähr: Auf Sammelklagen spezialisierte Anwälte sind auf Werbetour. Vorbild ist eine erfolgreiche Welle aus über 5.000 Gerichtsverfahren gegen den Vaping-Anbieter Juul, der inzwischen eingewilligt hat, Gebietskörperschaften sowie Schulverwaltungen insgesamt 1,7 Milliarden Dollar zu zahlen. Dabei hat sich Juul auch dazu verpflichtet, zahlreiche Werbeformen nicht mehr zu nutzen; außerdem unterlässt Juul Vergleiche der gesundheitlichen Auswirkungen klassischer Zigaretten mit dem weniger schädlichen, aber keineswegs harmlosen, Vaping.

Auch diesmal geht es um Sucht: Schulverwaltungen stellen die Sozialen Netzwerke als public nuisance (öffentliches Ärgernis) dar, was sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich verpönt ist. Kinder würden süchtig, was die Disziplin in der Schule untergrabe sowie Geisteskrankheiten unter den Kindern zur Folge habe. Auch Cyberbullying in Sozialen Netzen sei eine Belastung. All das binde Ressourcen der Schulen, die neue Regeln ausarbeiten und durchsetzen sowie Hilfsangebote für Betroffene bereitstellen müssten.

Schuld seien die Betreiber der Sozialen Netzwerke, weil sie ihre Angebote entweder nachlässiger Weise oder vielleicht sogar absichtlich süchtig machend gestaltet hätten. Die Beklagten stellen die Vorwürfe in Abrede. Tatsächlich würden sie besonderes Augenmerk auf Kinderschutz legen und zahlreiche Maßnahmen ergreifen. Juristisch seien die Klagen unzulässig: Tatsächlich verleiht US-Bundesrecht in Section 230 Immunität für Inhalte, die Webseitenbetreiber nicht selbst bereitstellen, sondern die von Dritten gepostet werden (mit Ausnahmen, die hier nichts zur Sache tun). Die erhobenen Vorwürfe stünden allesamt in engen, untrennbarem Zusammenhang mit solchen Inhalten.

Die klagenden Schulverwaltungen hingegen versuchen, das Produktdesign als unabhängig von den jeweiligen Inhalten darzustellen, um die Immunitätsbestimmung umgehen zu können. Ob dieses Argument bei Gericht greift, bleibt abzuwarten. Die Klagen wurden übrigens bei unterschiedlichen Bundesgerichten eingebracht, werden aber regelmäßig an das für das nördlche Kalifornien zuständige Bundesbezirksgericht verwiesen. Das dient der Prozessökonomie.

Im Mai hat der US Supreme Court jene Empfehlungsalgorithmen, die bei Twitter Beiträge auswählen, nicht als aktive Beihilfe zur Verbreitung bestimmter Inhalte eingestuft: Youtube, Google und Twitter haften daher nicht für die unwissentliche Verbreitung terroristischer Inhalte. Doch selbst wenn die Schulverwaltungen mit ihren Sammelklagen keinen Erfolg haben sollten, könnten viele Klagen von Eltern, die sich auf andere Rechtsnormen berufen, weiterlaufen.

(ds)