Bluesky: Blauer Himmel mit einigen dunklen Wolken

Nach der Mastodon-Welle im Herbst 2022 ist nun Bluesky das neue Ziel der Twitterati, die sich bei X nicht mehr wohlfühlen und zu einem neuen Netz streben.

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Ein blauer Himmel mit Worten

(Bild: Volker Weber)

Lesezeit: 10 Min.
Inhaltsverzeichnis

X, vormals Twitter, verliert spürbar Nutzer. Nach der Mastodon-Welle im vergangenen Herbst ist nun Bluesky das bevorzugte Ziel. Das Wachstum wird durch künstliche Verknappung kontrolliert. Das Unternehmen gibt jedem Nutzer nach Ablauf von jeweils zwei Wochen einen neuen Invite-Code, mit dem sich Freunde einladen lassen. Im September zählte Bluesky eine Million registrierte Nutzer, aktuell kommen jede Woche mehr als 50.000 hinzu.

Dabei sind weder die Microblogging-Anwendung noch das zugrunde liegende Protokoll annähernd fertig. Bluesky arbeitet anders als das Fediverse nicht mit ActivityPub, sondern einem neuen, aufwändigeren Protokoll. ATProtocol, kurz Atproto genannt, sollte nach dem Willen von Twitter-Mitgründer und Ex-CEO Jack Dorsey Twitter für verteilte Architekturen fit machen. Als die Twitter-Übernahme durch Elon Musk ins Haus stand, wurde das Projekt in eine eigene Firma ausgelagert. Musk hatte kein Interesse an Bluesky, und als Twitter als Client ausfiel, entschlossen sich die Entwickler eine eigene App zu entwickeln. Die Anschubfinanzierung des nun selbstständigen Unternehmens übernahm Dorsey, Mitte dieses Jahres nahm Bluesky noch einmal für 8 Millionen US-Dollar neue Investoren an Bord und stellte einen Plan vor, andere Einnahmequellen als Werbung zu erschließen.

Die Bluesky-Weboberfläche wirkt auf Anhieb wie Twitter, auch die App ist jedem Nutzer vertraut. Während sich im vergangenen Herbst, als Bluesky noch nicht am Start war, viele Twitter-Flüchtige zunächst bei Mastodon eingewöhnen mussten, ist der Umstieg zu Bluesky einfacher. Alles wirkt wie Twitter ohne Musk und Trolle. Verglichen mit dem Original fehlt allerdings eine ganze Menge. So kann man aktuell keine animierten Bilder oder Videos hochladen, es gibt noch keine Hashtags oder persönliche Nachrichten.

(Bild: Volker Weber)

Die große Ähnlichkeit zu Twitter umarmt neue User. Es ist sehr einfach, bekannte Nutzer zu entdecken, in dem man sich durch die Followerliste eines Freundes durchklickt, interessante Inhalte lassen sich in chronologischen und algorithmischen Feeds finden. Diese kann man sich ebenfalls in einem Markplatz zusammen klicken oder selbst entwickeln. Bluesky kennt Likes und Reposts und nutzt diese auch für die Filterung. Was naturgemäß fehlt, ist die Tiefe und Breite von Twitter. Noch gibt es um zwei Größenordnungen weniger Nutzer, noch ist die Vernetzung zu schwach. Aber man erkennt, wie ganze Blasen von Anwendern gezielt von Twitter herübergezogen werden. So hat eine Nutzerin aus der Astroforscher-Community hunderte von Invite-Codes gepoolt und verteilt diese per Twitter-PM an die Kollegen.

Auch der Kern der deutschen Twitter-User der ersten Stunde richtet sich gerade ein. Die Nutzer sind pragmatisch und interessieren sich wenig für die Technik oder ordnungspolitische Belange. Mittlerweile tauchen auch die ersten Medien auf, etwa die von Musk vertriebene New York Times (@nytimes.com), die Washington Post (@washingtonpost.com) oder Bloomberg (@bloomberg.com). Heise Online ist ebenfalls mit @heise.de und c't Magazin als @ct.de vertreten.

Ich habe mich bei Mastodon bereits im August 2018 und bei Bluesky Anfang März 2023 als User #2270 registriert. Darum kann ich viele Eindrücke nachvollziehen, die mir geschildert wurden, als ich nach den Beweggründen für Bluesky fragte. Bei Mastodon kam der große Schub erst Ende 2022, als viele Nutzer von Twitter herüberkamen. Ich mag Mastodon, aber erst seit ich mehrere Hundert Nutzer stummgeschaltet habe, die nicht müde werden, dich auf kleinste Fehler hinzuweisen. Ich schreibe zum Beispiel bewusst Mastodon, was sofort zum Hinweis führt, es handle sich ja eigentlich um das Fediverse. Das Netz gleicht einem losen Verbund von Kleingärtnervereinen, die alle ihre eigenen Befindlichkeiten und Regeln haben. Es erfordert einige Beschäftigung mit der Föderation, wenn man nicht über kleine Hindernisse stolpern will. Registriert man sich auf mastodon.social, dann bleibt einem viel davon erspart, weil das mit weitem Abstand der größte Server ist und durchaus auch ohne die anderen existieren könnte. Hat man sich aber erst einmal eingerichtet, dann kann man sich dort sehr wohlfühlen.

Aktuell gibt es eine Reihe von Mastodon-Nutzern, die bei Bluesky nur mal reinschauen wollen. Dazu gehören einige, die versuchen, negative Meinungen über Mastodon rechthaberisch zu korrigieren und bestätigen dadurch erst die bestehenden Vorurteile. Fakt ist jedoch, dass Mastodon mehrere Jahre Entwicklungs-Vorsprung hat. Es gibt sehr schöne Apps von Drittanbietern und mit Elk.zone auch ein ansprechendes Web Interface. Bei Bluesky hat sich dieses Ökosystem noch nicht entwickelt. Vorreiter ist hier Desk.blue mit einem schicken Interface, das an Tweetdeck erinnert.

Man sollte sich vor Augen führen, dass Mastodon gar nicht wie Twitter sein will. So verzichtet die Software ganz bewusst auf zitierende Posts, mit denen man andere Posts durch einen Drüberkommentar versehen kann. Likes haben keinerlei Auswirkungen, weil es keinen Algorithmus gibt, der beliebte Beiträge boostet. Mastodon verwendet stattdessen Reposts, um mehr Reichweite zu generieren. Es gibt gute Gründe für diese Verzichte, aber sie wirken auf Twitter-Nutzer behindernd.

Bluesky dagegen funktioniert bewusst genauso wie Twitter, minus Werbung, Musk und Trolle. Das Netz ist schlicht noch zu klein, um ein lohnendes Ziel für Attacken zu sein. Entsprechend sind auch Werkzeuge unterentwickelt, mit denen man gegen Abuse vorgehen könnte. Es herrscht ein wenig der Optimismus der frühen Twitter-Jahre und nährt damit eine Nostalgie-Bewegung. Lange anhalten kann das naturgemäß nicht. Ein Lichtblick ist die Block-Funktion. Wenn man jemanden blockt, werden seine Antworten unter einem eigenen Beitrag für alle ausgeblendet.

Gerne übersehen wird, dass beinahe alle Daten in Bluesky öffentlich sind. Wenn man einen Account hat, dann kann man über die API auch Daten einsehen, die im Client nicht angezeigt werden, etwa auch, wer wen blockt oder von wem geblockt wird. Auch zur Firehose, also dem ganzen Datenstrom, hat man ungehinderten Zugang. Nur von außen ist das Netz nicht einsehbar. Es ist deshalb nicht sinnvoll, auf einen Beitrag von außen zu verlinken.

Das erklärte Ziel, eine föderierte Lösung zu bauen, hat das Bluesky noch nicht erreicht. Bislang gibt es lediglich eine Sandbox, ein Testnetzwerk mit zugelassenen Servern, in dem sich die Architektur zunächst beweisen muss.

Bluesky besteht aus fünf Diensten, von denen erst drei in Entwicklung sind: PDS, BGS und Appview. PDS (Personal Data Service) ist für die Speicherung der Nutzer-Datenbanken (Repository) zuständig und ist das Backend für die Clients. BGS (Big Graph Service) sammelt alle Daten im Netzwerk und generiert daraus einen Stream, der von anderen Services genutzt werden kann. Man wird in Zukunft sehr einfach eigene PDS hosten können, aber der BGS ist ein massives System, dass sich nur von großen Organisationen stemmen lässt. Flussabwärts vom Stream des BGS sind Appview Services für die Filterung und Generierung individueller Feeds zuständig.

Bisher gab es nur einen PDS von Bluesky selbst, der mehr als eine Million Benutzer-Repositories in einer monolithischen Postgres-Datenbank hält und der auch den Firehose genannten Stream liefert. Im laufen Betrieb hat Bluesky nun den BGS vom PDS getrennt und damit begonnen, die PDS-Schicht horizontal zu skalieren. Dieser Umbau soll das für eine Million Nutzer konzipierte System für zehn Millionen Nutzer ertüchtigen. Bis zum Ende des Quartals soll die Architektur stehen. Anfang des kommenden Jahres will Bluesky dann die Föderierung starten.

Wenn es in Zukunft selbst betriebene PDS gibt, dann kann man in Bluesky einfach umziehen, in dem man sein Repository von einem Server herunterlädt und auf einen anderen Server hochlädt. Jeder Nutzer ist anhand seiner DID (Decentralized Identifer) identifizierbar. Sie bleibt erhalten, wenn der Nutzer umzieht.

Jeder Nutzer wählt sich einen Handle, kann diesen aber jederzeit wechseln. Mein erster Handle war @vowe.bsky.social, den ich durch meine Domain @vowe.net abgelöst habe. Die Namens-Auflösung von Handle zu DID geht über DNS. Wenn man seinen Handle aus der bsky.social Domain umzieht, hat man zwei Möglichkeiten, seine Identität nachzuweisen. Entweder man legt einen TXT Record im DNS an, der auf die Subdomain _atproto verweist, hier also _atproto.vowe.net. In diesem Eintrag steht dann die DID. Wenn man wie bei manchen billigen Hostingtarifen den DNS nicht selbst kontrollieren kann, wählt man die Authentisierung über eine Datei atproto im Verzeichnis .wellknown direkt unterhalb des Document Root.

Diese Verifizierung ist für technisch Versierte keine große Hürde. Für alle anderen kooperiert Bluesky mit dem akkreditierten Registrar Namecheap. Die Domain lässt sich direkt über Bluesky einkaufen. Das ist eine erste Einnahmequelle für das Unternehmen.

Wird Bluesky Twitter beerben? Meiner Einschätzung nach nicht. X wird weiter im rechten Sumpf untergehen, aber es wird keinen echten Nachfolger geben. Einige Nutzer werden zu Mastodon abwandern, andere zu Bluesky, und irgendwann wird dann noch das Instagram-Derivat Threads nach Europa kommen. Auch LinkedIn findet aktuell mehr Zuspruch.

Ein großer Teil der Twitter-Nutzer wird das Thema Social Media aufgeben. NPR (National Public Radio) etwa hat nach Einstellung der eigenen Twitter-Aktivitäten keinen nennenswerten Traffic-Rückgang verbucht. Twitter ist nur noch ein Scheinriese, bei dem sich Accounts mit vielen Followern an alte Zeiten klammern. Wer nicht zahlt, wird nicht mehr gelesen. Und wer zahlt, will auf Dauer dort nicht mehr gesehen werden. In diesem Absturz hat man wenig Lust auf einen Neuanfang.

(vowe)