Mehr Gewinn, weniger Umsatz: Kommt die Distribution endlich zur Vernunft?

Was haben Ingram Micro, Tech Data, Actebis und Also außer ihrem Geschäftsmodell gemeinsam? Sie alle haben im vergangenen Jahr zwar weniger Umsatz, dafür aber mehr Gewinn gemacht. Der längst fällige Abschied vom Marktanteilsdenken?

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Von
  • Damian Sicking

Ingram-Micro-CEO Gregory Spierkel

(Bild: Ingram Micro)

Lieber Gregory Spierkel, CEO von Ingram Micro,

herzlichen Glückwunsch! Sie haben es geschafft, innerhalb eines Jahres aus den roten Zahlen wieder rauszukommen und für das Geschäftsjahr 2009 einen Gewinn auszuweisen. Der operative Profit fällt mir 296 Millionen Dollar zwar nicht gerade üppig aus – die Umsatzrendite beträgt gerade einmal ein Prozent –, aber wichtig ist, dass überhaupt Geld übrig blieb. Im Vorjahr musste Ingram noch einen Verlust von 332 Millionen Dollar ausweisen. Dass der Umsatz 2009 im Vergleich zum Vorjahr um 14 Prozent zurück ging (auf 29,5 Milliarden Dollar), ist sicher unschön, aber verschmerzbar. Das sieht offenbar auch die Börse so: Der Aktienkurs stieg auf ein neues 52-Wochen-Hoch.

Das Interessante an den Ingram-Geschäftsergebnissen – weniger Umsatz, höherer Gewinn – ist, dass dasselbe Phänomen an den anderen großen Broadlinern ebenfalls zu beobachten ist. Nehmen wir Ihren großen amerikanischen Konkurrenten Tech Data. Die werden zwar erst am 2. März, also kommende Woche, die Zahlen für das vierte Quartal und das Gesamtjahr 2009 bekannt geben, aber nach den ersten neun Monaten ergibt sich hier das gleiche Bild: Der Umsatz ging zurück (-14,3 Prozent), der operative Gewinn dagegen kletterte nach oben (+18 Prozent). Auch hier eine deutliche Verbesserung der Umsatzrendite. Und ebenso in diesem Fall klatscht die Börse Beifall: Der Aktienkurs von Tech Data hat sich innerhalb eines Jahres verdoppelt.

Das gleiche Spiel bei Actebis. Wie der Distributor in der vergangenen Woche mitteilte, ging im Geschäftsjahr 2009 der Umsatz gegenüber 2008 zwar um 3,5 Prozent auf 3,53 Milliarden Euro zurück, der Gewinn dagegen lag über dem Vorjahresergebnis, was Deutschland- und Österreich-Geschäftsführer Uwe Neumeier mit der "intelligenten Art und Weise, wie wir uns nach vorne bewegt haben", erklärte. Wie hoch der Gewinn über dem Vorjahr lag, verraten die Ostwestfalen unter ihrem neuen Eigentümer Droege allerdings nicht. Aber immerhin.

Blicken wir zuletzt noch in die Schweiz, zum Distributor Also. Auch hier das gleiche Bild: Der Umsatz ging 2009 gegenüber dem Vorjahr um neun Prozent auf 4,4 Mrd. CHF zurück. Ähnlich wie Ingram schaffte es Also, den Verlust des Vorjahres (11,2 Millionen CHF) in einen Gewinn umzuwandeln. Trotz Sonderabschreibung in Höhe von 14,6 Millionen CHF erzielten die Schweizer einen Gewinn vor Steuern von 15 Millionen CHF. Also auch hier: Umsatz runter, Ergebnis rauf, deutliche Verbesserung der Rentabilität. Und: Auch hier steigt zur Belohnung der Kurs der Also-Aktie auf ein 52-Wochen-Hoch.

Es stellt sich angesichts dieser Zahlen der vier großen Distributoren die Frage, ob die Distribution nun endlich zur Vernunft gekommen ist. Seit Jahren lag der Fokus auf Umsatzsteigerung und Marktanteilsgewinnung, was zu Lasten der Rentabilität und der Profitabilität ging. Das wäre nicht so tragisch, wenn die Distribution klotzig verdienen würde. Aber das ist ja bekanntlich nicht der Fall. Zwar ist die Einsicht, dass es so nicht weitergehen kann, in den Chefetagen der Distributionsunternehmen schon seit langem vorhanden, aber an praktischen Konsequenzen hatte es lange gefehlt. Beispiel: Lange hatte Michael Dressen, der Deutschland-Chef von Also, gefordert, endlich die Frachtkosten in Rechnung zu stellen. Dressen kam sich immer vor wie der einsame Rufer in der Wüste, denn nichts passierte. Dann endlich, im Sommer 2008 – der Liter Superbenzin kostete 1,60 Euro und mehr –, reagierte Ingram Micro und kündigte an, in Zukunft die Frachtkosten zu berechnen. Also-CEO Thomas Weissmann hatte vor einem Jahr öffentlich zu einem Umdenken aufgerufen und Preiserhöhungen gefordert, um die wirtschaftliche Lage der Distribution zu verbessern.

Vielleicht haben die Distributoren ja endlich das Buch gelesen, für das ich schon lange Reklame mache. Nämlich das nach wie vor lesenswerte Buch "Der gewinnorientierte Manager. Abschied vom Marktanteilsdenken" von Hermann Simon.

Aber egal ob durch die LektĂĽre kluger BĂĽcher, durch eigenes Nachdenken oder aufgrund des Leidensdrucks: Hauptsache ist, dass Sie und Ihre Kollegen zur Vernunft gekommen sind. Insofern sind Sie in dieser Hinsicht ein Vorbild fĂĽr die gesamte Branche.

Beste GrĂĽĂźe

Damian Sicking

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