LiMux-Projektführung: "Wir waren naiv"

Florian Schießl, stellvertretender Leiter des Münchner LiMux-Projekts zur Linux-Migration der Verwaltung, hat Gründe genannt, warum die Umstellung der Rechnerlandschaft auf freie Software länger dauert als anfangs geplant. Einer der Gründe: der "digitale Sondermüll" der proprietären Welt.

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Florian Schießl, stellvertretender Leiter des Münchner LiMux-Projekts zur Linux-Migration der Verwaltung der bayerischen Landeshauptstadt, hat erstmals ausführlich begründet, warum die Umstellung der Rechnerlandschaft auf freie Software länger dauert als zunächst geplant. "Wir waren naiv", räumt der IT-Experte in seinem privaten Blog eine anfängliche "Misskalkulation" ein. LiMux sei nach dem Beschluss des Vorhabens 2003 als alleinstehender Linux-Client konzipiert worden, der "in jede Umgebung in den IT-Abteilungen passt". Dies sei zwar eine "theoretisch mögliche Lösung". Sie hätte laut Schießl aber bedeutet, den vorgefundenen Flickenteppich an IT-Anwendungen nicht zu vereinheitlichen und quasi einfach weiter zu wurschteln.

Rund 1000 Mitarbeiter verwalteten damals in 21 unabhängigen EDV-Zentren die etwa 15.000 PCs umfassende Münchner Rechnerlandschaft. Ein gemeinsames Verzeichnis oder eine gemeinsame Nutzerverwaltung habe es genauso wenig gegeben, wie ein übergreifendes Management von Hard- und Software, erläutert der LiMux-Sprecher. Über 300 Applikationen seien in Betrieb gewesen, die vielfach für denselben Zweck eingesetzt worden seien. Allein auf der Desktop-Seite seien 21 verschiedene Windows-Systeme mit unterschiedlichen Updates und Sicherheitseinstellungen am Laufen gewesen.

Bei der Umrüstung auf den neuen Linux-Client im Einklang mit dem ursprünglichen Plan kam es so zu Problemen. In einzelnen Abteilungen sei zwar alles rund gelaufen, führt Schießl aus. In anderen ging es aber nicht voran, weil die "technische Backendstruktur die Kooperation hinderte oder sogar verweigerte". Man sei unter anderem auf Implementierungsfehler bei grundlegende Serverprotokollen gestoßen und auf proprietäre Werkzeuge, die sich als nicht kompatibel mit jeder anderen softwarebasierten Managementlösung herausgestellt hätten. "Der Mangel an offenen Standards zur Interoperabilität und das Vorherrschen von Schnittstellen mit Lock-in-Effekt war schrecklich", beklagt der Linux-Befürworter. Dies bekomme man aber erst mit, wenn man sch unabhängig von einem einzelnen Hersteller machen und das "glückliche Sklavendasein" beenden wolle.

Gegenüber heise online brachte Schießl Beispiele für den ausgemachten "digitalen Sondermüll" der proprietären Welt. So habe die "klassische ActiveX-Abhängigkeit" zu Microsofts Internet Explorer in einigen Bereichen auch bei Fachverfahren existiert: "Hier musste entweder die Fachsoftware im Dialog mit dem Hersteller unabhängiger gemacht oder ein Alternativprodukt ausgewählt werden." Zu nennen seien ferner die Makros von Microsoft Office, die "in großer Anzahl" vorhanden gewesen seien und auf Visual Basic basiert hätten. Diese Abhängigkeit sei mit der Umstellung auf OpenOffice deutlich verringert worden durch Alternativen wie den eigenen, plattformunabhängigen WollMux zur Verwaltung von Vorlagen und Textbausteinen oder Webanwendungen. Nicht hilfreich bei der Konsolidierung sei auch die Verwendung verschiedener Datei- und Druckerdienste gewesen. Mittlerweile diene Samba mit Unterstützung des CIFS-Protokolls als Standard für Fileserver.

Nach dem Stocken der ersten Migrationswelle einigte sich das LiMux-Büro laut Schießl 2007 auf eine neue Strategie. Demnach wurden zunächst in allen Abteilungen Pilotprojekte aufgesetzt zur Umrüstung von mindestens zehn Prozent der vorhandenen PCs auf den LiMux-Basisclient, um den Grad der Heterogenität der jeweils gewachsenen IT-Landschaften herauszufinden. Parallel habe die Stadtverwaltung beschlossen, eine umfangreiche Neuorganisation der gesamten Rechnerinfrastruktur im Einklang mit dem LiMux-Motto "Qualität vor Geschwindigkeit" zu unterstützen.

Seit Ende vergangenen Jahres hat sich in den Testläufen nach Angaben Schießls mittlerweile herausgestellt, dass der Linux-Client in die verschiedenen Umgebungen voll integriert werden kann. Die Pilotprojekte seien erfolgreich abgeschlossen worden. Insgesamt würden nun 3000 Rechner mit freier Software laufen und damit doppelt so viele, wie nach der Neuausrichtung geplant. Mit der bereits geschafften Umrüstung aller Rechner auf den offenen Standard Open Document Format (ODF) seien zudem die Abhängigkeiten von einer Bürosoftware-Suite überwunden. Das Team mache sich daher an die Optimierungsphase zur Effizienzsteigerung und zur Stützung "digitaler Nachhaltigkeit". Dass die restliche Migration vergleichsweise einfach und rasch über die Bühne gehe, stehe außer Frage. (jk)