40 Jahre Stac Electronics: Festspeicherplatz aus dem Nichts​
Praktische Technik, solide Geschäftsidee – Stac Electronics entwickelte mit Stacker eine Echtzeit-Datenkompression für Streamer und Festplatten.
Wie teuer Festplattenspeicher vor vier Jahrzehnten war, zeigt eine Meldung aus Ausgabe 7/1985 der c't: "Der 16-Bit-Computer Copam PC 401 XT-30 ist jetzt auch mit integrierter 70-MByte-Festplatte für rund 21.700 DM lieferbar. In gleicher Ausstattung, aber nur mit 10-MByte-Festplatte, kostet der Rechner etwa 10.040 DM." Mit anderen Worten: Für damals beachtliche 60 Megabyte (MByte) Festplattenspeicher zahlt man mehr als 11.000 DM – nach Kaufkraft entspricht das heute dem Betrag in Euro.
Die besten Diskettenformate speicherten damals höchstens 720 KByte. Einzige Alternative für große Datenmengen waren Magnetbandlaufwerke ("Streamer"), die je nach Modell 94 bis 200 MByte fassten. Anders gesagt: Speicherplatz war im Computer-Holozän ein rares und teures Gut, der Zugriff auf die Daten zudem behäbig. Was also tun? Zwar hat sich zu jener Zeit das Hexadezimalsystem aus gutem Grund in Computern durchgesetzt, doch in den mit ihm produzierten gängigen Anwendungsdateien – Texten, Tabellen, Datenbanken – wurden jede Ziffer und jeder Buchstabe bei jedem Vorkommen erneut durch die entsprechende Hex-Zahl repräsentiert.
Anfang mit eigenen Prozessoren
Praktischerweise sind zu Beginn des PC-Zeitalters die verlustfreien Kodierungen Huffman und Lempel-Ziv bereits alte Hüte. 1983 gründen neun IT-Studenten, Ingenieure und Geschäftsleute in Pasadena im US-Bundesstaat Kalifornien "State of the Art Consulting" (später zu Stac Electronics gekürzt). Mit ihrer LZS (Lempel-Ziv-Stac) genannten Kombi aus Huffman-Kodierung und Lempel-Ziv entwickeln sie einen "Stacker" genannten Zusatz für Streamer, der die Daten in Echtzeit komprimieren und dekomprimieren kann.
Zunächst passiert das mit einem von Stac entwickelten Prozessor, denn die UR-IBM-PCs und ihre Rivalen sind noch nicht schnell genug, um die Arbeit ausschließlich in Software zu erledigen. Und: Schnell modifiziert Stac die Technik so, dass sie auch mit Festplatten funktioniert. Denn dieser Markt ist um ein Vielfaches größer als der für Magnetbandlaufwerke. Zum Durchbruch im Massenmarkt verhilft Stac der Umstand, dass ab dem 386er-Chip und Vergleichbaren die Leistung der PC-Zentralprozessoren genügt, um Daten auch ohne dedizierte Hardware in Echtzeit packen und entpacken zu können.
1991 kommt die erste Version des ebenfalls Stacker genannten Programms auf den Markt. Ist es einmal installiert, läuft es als Treiber zwischen Betriebssystem und Anwendungsprogrammen und gaukelt diesen 100 Prozent mehr Festplattenkapazität vor – im Mittel verdoppelt Stacker den nutzbaren Platz, der tatsächliche Gewinn hängt vom Inhalt der zu speichernden Dateien ab.
Weniger – und schneller!
Damit nicht genug: Die Festplattenschnittstelle ATA (AT Attachment) der IBM-PCs ist anfangs ein wenig performanter Müßiggänger. Stacker und ein schneller Prozessor beschleunigen die gefühlten Speicher- und Lesegeschwindigkeiten der mechanischen Datenträger, weil nur die Hälfte der Daten tatsächlich von der Platte gelesen oder auf sie geschrieben werden muss. Den Rest erledigen schnelle 386er- oder 486er-Prozessoren durch Algorithmen quasi in Echtzeit.
Wie immer, wenn die Zeit für eine Technologie gekommen ist, haben mehrere Entwickler ähnliche Ideen. Mit DoubleDisk/DoubleDisk Gold, DiskDoubler, Expanz Plus, JAM, Squish/Squish Plus, SuperStor/SuperStor Pro sowie XtraDrive tummeln sich neben Stacker zahlreiche Konkurrenten. Zeitweise versucht sogar die legendäre Data Becker, mit "Double Density" ein Stück vom Kuchen abzubekommen.
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Schnell entwickelt sich aber Stacker zum Platzhirsch bei der Echtzeit-Festplattenkompression. Denn wie so oft steckt der Teufel im Detail: Echtzeitkompression so umzusetzen, dass Normalverbraucher ihre bestehende Festplatte samt dem darauf befindlichen Betriebssystem und allen Programmen und Daten unfallfrei komprimieren können und sich der Computer nach der Doppler-Installation wie gewohnt verhält, ist gar nicht so einfach. Die Laufwerksbuchstaben müssen korrekt zugeordnet bleiben. Obwohl Stacker & Co. im Hintergrund alle vorhandenen Daten in eine einzige, große Datei in einer neuen Partition packen, wollen Betriebssystem und Programme sie unter "C:" finden. Geht zudem bei der Echtzeitkompression irgendetwas schief, droht nicht nur der Verlust einer Datei, sondern sämtlicher Daten auf der Festplatte. Diese Hürden umschifft Stacker so meisterlich wie keiner der Konkurrenten.
Packen im Paket
Stacker und seine Mitbewerber werden zunächst als Ergänzung zu DOS oder MacOS-Betriebssystemen für rund 100 US-Dollar verkauft. Das ändert sich, als Microsoft-Konkurrent Digital Research (DR) sein DR-DOS 6.0 mit SuperStor ausliefert. Das ohnehin überlegene DR-DOS schenkt seinen Käufern also zusätzlich wertvollen Speicherplatz. Kein Wunder, dass auch Microsoft für sein kommendes MS-DOS 6.0 einen Echtzeitkomprimierer an Bord haben will – nach Möglichkeit den des Marktführers.
Aber die Verhandlungen verlaufen unerfreulich. Stac-Vorstandsvorsizender Gary Clow sagte damals dem Magazin InfoWorld: Microsoft sagt uns: 'Gebt uns Euer Produkt oder wir gehen zu Eurer Konkurrenz und drängen Euch aus dem Geschäft.'" Stacker schwebt verständlicherweise eine Entschädigung für den erwartbaren Umsatzrückgang vor, wenn die Software eingebauter Teil des kommenden Betriebssystems wird. Die Verhandlungen platzen.
Microsoft wendet sich daher DoubleDisk von Vertisoft zu, ködert den bislang nur so mittel erfolgreichen Stac-Rivalen mit exklusivem Zugang zu undokumentierten Betriebssystemaufrufen, nennt seine Version des Echtzeitkomprimierers DoubleSpace und bringt es als Teil von MS-DOS 6.0 auf den Markt.
Stac merkt schnell, dass sich DoubleSpace ein wenig zu sehr wie das patentierte eigene Produkt verhält. Stac verklagt Microsoft, Microsoft hält die – damals neuen und selbst 30 Jahre später noch umstrittenen – Softwarepatente für nichtig. Außerdem widerklagt der Redmonder Softwareriese: Stac habe unerlaubt nicht dokumentierte Schnittstellen von MS-DOS für sein Produkt benutzt.
Schiffbruch fĂĽr Microsoft
Es geht nicht gut aus fĂĽr Microsoft: Am 23. Februar 1994 sprechen die Geschworenen am Bezirksgericht von Los Angeles Stac Electronics 120 Millionen US-Dollar Schadensersatz zu. Microsoft soll dagegen deutlich geringere 13,6 Millionen Dollar fĂĽr die Nutzung der nicht dokumentierten Schnittstellen durch Stacker erhalten.
Damit nicht genug: Nach dem Marktstart von MS-DOS 6.0 stellt sich schnell heraus, warum Stacker Marktführer ist: DoubleSpace korrumpiert des Öfteren Daten – besonders gern, wenn man es mit dem zu MS-DOS gehörenden "Checkdisk" nutzt, einem Festplatten-Prüfprogramm. Die gröbsten DoubleSpace-Probleme beseitigt Microsoft mit der MS-DOS-Version 6.2. Aber Stac erwirkt einen Verkaufsstopp. Microsoft muss DOS als Version 6.21 ohne DoubleSpace anbieten – und entscheidet, dass eine Einigung mit Stac klüger ist.
Microsoft verzichtet auf die zugesprochenen 13,6 Millionen Dollar Schadensersatz, lizenziert Stacs Technologie ĂĽber 43 Monate fĂĽr eine Million Dollar pro Monat und erwirbt 15 Prozent der Firma. Das Ergebnis: Mit Version 6.22 kommt eine juristisch saubere Variante von MS-DOS auf den Markt. Dessen Platten-Verdoppler heiĂźt nun DriveSpace. Gleichzeitig erscheint das von Novell aufgekaufte DR-DOS als Novell-DOS 7 mit dem Original-Stacker.
Der Lotse geht von Bord
Stac Electronics nutzt das Geld aus dem Prozess, um zu diversifizieren. Denn schon Mitte der 1990er zeichnet sich ab, dass Festplatten immer billiger und größer werden – legendär aus jener Zeit ist die "Bigfoot"-Serie des HDD-Herstellers Quantum. 1998 erscheinen zudem die ersten Platten, die dank GMR deutlich höhere Kapazitäten als bis dahin möglich bieten. Parallel bekommt die verlustfreie Festplatten-Echtzeitkompression Probleme und Konkurrenz von allen Seiten.
Der Versuch, auf einer Stacker-Partion längere Sequenzen von PCM-Audio oder irgendeines der damals gängigen Videoformate aufzuzeichnen, führt unweigerlich zum Systemabsturz, denn für größere, mit Huffman und Lempel-Ziv nur bedingt komprimierbare Binärdateien sind Stacker & Co. nicht gerüstet. 1992 wird die verlustbehaftete JPEG-Kompression für Standbilder verabschiedet, was den bis dahin riesigen Platzbedarf von Fotos und Grafiken auf handhabbare Maße reduziert, 1995 die Audiokompression MP3. Selbst Office-Programme packen ihre Dokumente von sich aus – nach den noch verfügbaren Unterlagen kann das als Erstes das 1995 veröffentlichte Lotus Word Pro, die Konkurrenz folgt ab der Jahrtausendwende.
So löst sich knapp 20 Jahre nach der Gründung das Geschäft von Stac Electronics in Wohlgefallen auf. 1998 spaltet Stac das immer noch florierende Geschäft mit Chips für Hardware-Kompression in einer Firma namens Hifn ab, der verbliebene Software-Bereich firmiert fortan unter Previo. Mit dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 tut sich Previo aber schwer, das Geschäft weiterzuführen – 2002 ist Schluss. Allerdings auf ungewöhnliche Weise: Die verbliebenen Aktiva werden an die Symantec-Tochter Altiris verkauft, aus dem Geld in der Kasse findet man die Aktionäre vor der Firmenauflösung ab.
(dahe)