Weiterer Effizienzsprung bei MP3

"Differential MP3" gibt dem technisch angestaubten Kompressionsformat einen weiteren Performance-Schub.

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Von
  • Volker Zota

Nachdem der Fraunhofer-Ableger Coding Technologies im Auftrag von Thomson Multimedia mit der Spectral Band Replication (SBR) für eine erhebliche Effizienzsteigerung bei Bitraten unterhalb von 64 kBit/s sorgte, verhilft Differential MP3 (dMP3) dem technisch angestaubten Kompressionsformat MP3 zu einem weiteren Performance-Schub.

Die ursprünglich aus dem französischen Tracker- und Modboard Tuilë-8 entstammende MP3-Modifikation besinnt sich auf die Tugenden der Anfänge elektronischer Musik. Statt identisch oder nahezu identisch wiederholte Passagen wie Refrains und gesampelte Sequenzen bei jedem Auftreten neu zu kodieren, legt dMP3 diese in einer Sprungtabelle am Beginn der MP3-Datei ab und greift beim Abspielen auf diese Sequenz zu. Unterscheiden sich die Samples geringfügig, speichert dMP3 die Huffman-kodierte Differenz zum Referenzsample ab.

Bei vielen aktuellen Produktionen -- beispielsweise bei vielen Songs aus den Pop-Charts, Trance und House-Musik --, die tatsächlich exakt übereinstimmende Samples verwenden, lässt sich gegenüber "normalem MP3" mitunter bis zu 30 Prozent des Speicherplatzes einsparen, bei Trance und Techno mitunter gar 70 Prozent -- wohlgemerkt ohne Qualitätsverlust gegenüber Standard-MP3s. Handgemachte Rockmusik profitiert dagegen in der Regel kaum von dMP3-Kodierung. Mitunter sind die resultierenden Songs sogar größer als "normale" MP3s gleicher Bitrate, weil die Verwaltung der Sprungtabellen noch nicht optimiert ist.

Die Idee für dMP3 ist quasi eine Reminiszenz an Amiga, Atari & Co.: Weil MIDI ohne gute Software-Instrumente auf dem Rechner einfach nur trauriges Gepiepe produzierte, entwickelte sich die Tracker/Mod-Szene, die in der 16-Bit-Ära ihren Höhepunkt erlebte. Programme wie Screamtracker unter DOS (das Original gabs schon Jahre zuvor auf dem Amiga) nutzten kurze Samples, die mit nicht unerheblichem "Programmieraufwand" zu Songs verwoben wurden.

Wer nun fürchtet, man benötige zum Abspielen von dMP3s ebenso wie bei MOD-Dateien oder MP3Pro einen anderen MP3-Player, der kann beruhigt sein. Tatsächlich benötigen Winamp, Foobar2000 (beide für Windows) und XMMS (Linux) zum Abspielen der dMP3 nicht einmal ein Plug-in, weil die verwendeten MP3-Decoder intelligent genug programmiert sind, um die Sprungtabellen auszuwerten. Einzig für iTunes unter Mac OS X benötigt man ein Plug-in, weil Apple offenbar "zu standardkonform" programmiert hat. Selbst mobile MP3-Player spielen die dMP3s, allerdings können die meisten aus Speicherplatzgründen nur den ersten Eintrag in der Sprungtabelle auswerten, sodass man tatsächlich das exakt gleiche Sample zu hören bekommt, auch wenn weitere Modifikationen vorliegen -- mitunter klingt das etwas merkwürdig.

Inzwischen interessieren sich zunächst vorrangig mehrere französische Internet-Labels, die elektronische Musik vertreiben, für dMP3s. Sie wollen diese MP3-Variante als Download anbieten, um Bandbreite zu sparen. Sollte sich der Gebrauch von dMP3 über nicht-kommerzielle Grenzen hinaus ausbreiten, ergäben sich indes interessante Lizenzfragen. So müssen Künstler, die Samples aus anderen Songs verwenden, bislang anteilig für die Gesamtlänge der verwendeten Sounds GEMA-Gebühren abführen. Bei dMP3 wird jedes Samples aber nachweislich meist nur einmal verwendet, entsprechend müssten die Künstler auch geringere Urheberpauschalen entrichten. Auch Betreiber von Techno-MP3-Radios könnten auf die Idee verfallen, ebenfalls geringere GEMA-Abgaben zahlen zu wollen. (vza)