Führende SPD-Politiker fordern Vorratsdatenspeicherung – FDP kontert​

Im Lichte des Anschlags bei Moskau erhöht die SPD den Druck auf Justizminister Buschmann, dem anlasslosen Protokollieren von IP-Adressen doch noch zuzustimmen.​

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(Bild: Gorodenkoff / Shutterstock.com)

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SPD-Politiker gehen nach dem Anschlag auf eine Veranstaltungshalle bei Moskau im März von einer erhöhten islamistischen Terrorgefahr im Vorfeld der Fußball-EM hierzulande aus und drängen auf einen neuen Anlauf zur bereits mehrfach gerichtlich gestoppten Vorratsdatenspeicherung. Sie appellieren vor allem an Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), endlich mitzuziehen. "Es ist nur folgerichtig, dass die Zeitenwende auch innenpolitisch gesetzgeberische Maßnahmen für unsere Sicherheitsdienste nach sich zieht", betonte Dirk Wiese, Vize der SPD-Bundestagsfraktion, gegenüber dem Handelsblatt. "Es kann nicht vom Telekommunikationsanbieter abhängen, ob schwere Straftaten verfolgt werden können", ergänzte der SPD-Innenpolitiker Lars Castellucci. Der Bundestagsabgeordnete wirbt daher für eine gesetzliche Pflicht zur befristeten Speicherung von IP-Adressen.

Ähnliche Appelle sind aus den Ländern zu hören. "Wir müssen den Sicherheitsbehörden die Steine aus dem Weg räumen, nicht die Felsen liegen lassen, hinter denen sich die Kriminalität verschanzt", hob Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) dem Bericht zufolge hervor. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz (IMK), Brandenburgs Ressortchef Michael Stübgen (CDU), forderte Buschmann auf, "seine aus der Zeit gefallene Blockadehaltung aufzugeben". Die IMK sprach sich bereits Ende 2022 "über Parteigrenzen hinweg" für ein längeres Aufbewahren von Nutzerkennungen aus – damals mit Verweis auf Kindesmissbrauch. Auch Vertreter von Polizeigewerkschaften verlangen nun erneut, europarechtliche Möglichkeiten für das verdachtsunabhängige Speichern von IP-Daten endlich auszuschöpfen.

Prinzipiell hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) wiederholt eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung verworfen. Das allgemeine und unterschiedslose Aufbewahren von IP-Adressen kann neueren Urteilen der Luxemburger Richtern zufolge aber "zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit für einen auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum" zulässig sein. Das Bundesverwaltungsgericht entschied in diesem Sinne im September, dass die von Schwarz-Rot ins Telekommunikationsgesetz (TKG) eingefügte Pflicht für Diensteanbieter zum verdachtsunabhängigen monatelangen Speichern von Verbindungs- und Standortdaten "in vollem Umfang unvereinbar" ist mit EU-Recht. Vom EuGH als machbar erklärte Ausnahmen spiegelten sich im TKG nicht wider.

Buschmann interpretierte das Urteil aus Leipzig als "Auftrag, die Vorratsdatenspeicherung nun zügig aus dem Gesetz zu streichen – und die digitalen Bürgerrechte in unserem Land weiter zu stärken". Im Rechtsstaat dürften nicht alle Bürger unter Generalverdacht gestellt werden. Der Liberale legte bereits vor anderthalb Jahren einen Alternativvorschlag für das Einfrieren von Verkehrsdaten im Verdachtsfall (Quick Freeze) vor. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kämpft indes für eine anlasslose Speicherung von IP-Adressen und Portnummern, für die sich jüngst etwa auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) starkmachte.

Wiese gibt nun etwa zu bedenken, dass Buschmanns Vorschlag zwingend zunächst eine Datenspeicherung voraussetze. Man könne nur etwas einfrieren, was "bildlich gesprochen schon im Kühlschrank drin ist". IP-Adressen seien nichts anderes als Seriennummern der Tatmittel, führte sein Parteikollege Maier aus. "Diese nicht kennen zu wollen, erschwert die Strafverfolgung deutlich." Denn wer die Anschrift krimineller Nutzer nicht kenne, befinde sich bei der Verbrechensbekämpfung im World Wide Web im Blindflug. FDP-Innenexperte Manuel Höferlin konterte die SPD-Vorwürfe auf X: "Anders herum wird ein Schuh daraus." Telekommunikationsdaten könnten längst für Ermittlungen genutzt werden, wenn Faeser ihre "Blockade von Quick-Freeze beenden würde". Das Einfrieren sei "rechts-, zielsicher und grundrechtsschonend". Die Ampel hat eine Vorgabe ins Auge gefasst, mit der "Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können".

(mki)