Die Bombe im Rucksack

Nach der Konferenz für Nuklearsicherheit in Washington ist der nukleare Terrorismus wieder zum Topthema geworden. Doch wie gefährlich sind so genannte schmutzige Bomben wirklich? Und wie groß ist die Gefahr, dass atomares Material gestohlen wird?

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Nach der Konferenz für Nuklearsicherheit in Washington ist der nukleare Terrorismus wieder zum Topthema geworden. Doch wie gefährlich sind so genannte schmutzige Bomben wirklich? Und wie groß ist die Gefahr, dass atomares Material gestohlen wird?

Das Gespenst des nuklearen Terrorismus hält die Welt in Atem: Kurz vor der Konferenz für Nuklearsicherheit, die die US-Regierung Anfang letzter Woche in Washington ausgerichtet hat, ließ die Bundesregierung nach Agenturmeldungen verlauten: "Die größte Gefahr im atomaren Bereich besteht darin, dass sich Terroristen illegal radioaktives Material beschaffen und dieses mit konventionellen Waffen einsetzen".

Und auch US-Sicherheitsspezialisten wie der Harvard-Professor Graham Allison, Leiter des Belfer Center for Science and International Affairs, werden nicht müde zu betonen, dass der Atom-Terrorismus eine ernste Gefahr darstellt. Schon 25 Kilogramm hoch angereichertes Uran „das in einer Tragetasche oder einem Rucksack transportiert werden kann“, würde ausreichen, „eine primitive Nuklearwaffe“ herzustellen. Und der arabische Terrorismus sei durchaus daran interessiert, das auch zu tun - bereits 1989 habe Usama bin Ladin verkündet, dass die Herstellung einer „Atomwaffe des Islam“ für jeden Muslim eine Pflicht „zur maximalen Terrorisierung der Feinde Gottes“ sei.

Die Sorge um eine unkontrollierten Verbreitung von Atomwaffen ist jedoch nicht neu - warum nun also die öffentlichkeitswirksame Inszenierung dieser Gefahr? Ist das Risiko in den letzten Jahren größer geworden? Gibt es neue politische Optionen für ihre Eindämmung? Oder ist das Ganze nur ein Vorwand für neue Militäraktionen?

„Da kommen wir zum Kern der Diskussion über die Frage: Was ist ein Risiko?“, sagt Götz Neuneck, Leiter der Arbeitsgruppe Physik und Abrüstung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG). „Das Risiko ergibt sich aus der Eintrittswahrscheinlichkeit multipliziert mit dem Schaden. Die Wahrscheinlichkeit für den Diebstahl eine Atomwaffe ist nicht sehr hoch“.

Darüber kann man allerdings geteilter Meinung sein: Anfang Februar 2010 gelang es einer kleinen Gruppe von Anti-Atom-Aktivisten, das Gelände des US-Luftwaffenstützpunktes Kleine Brogel in Belgien zu entern und sich für etwa eine Stunde ungehindert auf dem Gelände, auf dem sich 10 - 20 atomare Sprengköpfe befinden sollen, zu bewegen. Eine Sprecherin des belgischen Verteidigungsministeriums betonte zwar später, die Gruppe sei zu keinem Zeitpunkt in die Nähe von Atomwaffen gelangt. Die Organisation „Federation of American Scientists“, die sich unter anderem kritisch mit Massenvernichtungswaffen beschäftigt, wertet das Statement aber als indirekten Hinweis auf den Lagerungsort der Waffen.

Zwar seien die Sprengköpfe normalerweise gut gesichert, sie würden aber routinemäßig inspiziert und gewartet - das erhöhe die Gefahr beträchtlich. Ein Bericht der US-Luftwaffe aus dem Jahr 2008 geht zudem davon aus, dass die meisten US-Stützpunkte in Europa, in denen Atomwaffen gelagert werden, nicht die vom US-Verteidigungsministerium vorgeschriebenen Sicherheitsrichtlinien erfüllen.

Für wahrscheinlicher hält Neuneck dagegen den Diebstahl von hoch angereichertem Uran: Hoch angereichertes Uran (highly enriched uranium, kurz HEU) enthält mindestens 20 Prozent des leicht spaltbaren Isotops Uran 235. In „waffenfähig“ genanntem HEU beträgt der Anreicherungsgrad mindestens 85 Prozent - das bedeutet jedoch nicht, dass sich aus 20-prozentigem HEU keine primitive Atomwaffe bauen ließe. Man müsste lediglich, wie bei den ersten historischen Atombomben, zwei Halbkugeln des Materials zusammenbringen, um die kritische Masse von etwa 25 Kilogramm zu erzeugen, dann entstünde eine Kettenreaktion mit einer Sprengwirkung von 0,1 bis 100 Kilotonnen TNT-Äquivalent. „Mir ist kein physikalisches Argument bekannt, warum das nicht möglich sein sollte", sagt Neuneck.

Auch das Handling des Materials und das Einschmuggeln einer solchen Waffe würde kein unüberwindliches Hindernis darstellen. „Uran ist ein Alpha-Strahler. Das können Sie mit einem Blatt Papier abschirmen“, sagt Neuneck. „Wenn Sie das dann auch noch in eine Bleidose tun, kann das kein Mensch detektieren“. Das „Problem“ sei lediglich, an das hoch angereicherte Material zu kommen.

Wieviel davon weltweit verfügbar ist, dazu gibt es keine offiziellen Angaben - Experten schätzen den weltweiten Bestand auf 1700 Tonnen. Das meiste davon liegt in Militärbunkern; einiges jedoch auch in Forschungsreaktoren. „Aber das sind alles Hochrechnungen von Nichtregierungsorganisationen“, sagt Neuneck. „Wie viel wirklich da ist, weiß kein Mensch“.

Ganz anders sieht es dagegen mit der viel zitierten „schmutzigen Bombe“ aus, bei der nahezu beliebiges radioaktives Material mit Hilfe von konventionellem Sprengstoff verteilt wird, um Angst und Schrecken zu verbreiten. „Der Schaden bei einer schmutzigen Bombe mag sehr viel geringer sein, aber die Eintrittswahrscheinlichkeit ist in diesem Fall sehr viel größer“, sagt Neuneck. Doch gerade dieser mögliche Schaden wird von anderen Experten sehr kontrovers bewertet.

Der Physiker Robert Muller, der unter anderem als Berater der US-Regierung tätig war, hat in einem Beitrag für Technology Review bereits 2004 geschrieben: „Wenn Terroristen Amerika in diesem Sommer mit einer schmutzigen Bombe angreifen, sterben die Leute während ihrer Flucht an Autounfällen. Schmutzige Bomben sind keine Massenvernichtungswaffen, sie führen allerhöchstens zu Massenpanik. Sie sind dann erfolgreich, wenn Öffentlichkeit und Regierung überreagieren. Angst müssen wir nicht vor der Radioaktivität haben, sondern vor Nuklearwaffen“.

In diesem Sinn hält auch Neueck die aktuelle politische Entwicklung für nützlich. „Sich der Gefahr bewusst zu werden, ist ein wichtiger Schritt“, sagt er. „Aber erst mal kostet eine Unterschrift unter eine solche Erklärung nicht viel. Im Mai steht die nächste Überprüfungskonferenz an und wir werden sehen, ob die Entwicklung weiter in Richtung Delegitimierung von Nuklearwaffen geht.“ (bsc)