Wider die guten Sitten

Der Fall "Umckaloabo" führt uns wieder einmal vor Augen, wie fragwürdig Biopatente sind. Gibt es für sie irgendeinen stichhaltigen Grund?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 6 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Niels Boeing

Kennen Sie Umckaloabo? Bis gestern kannte ich es nicht, weiß aber inzwischen, dass einige Bekannte von mir dieses Erkältungsmittel des Pharmaunternehmens Dr. Willmar Schwabe zum Teil seit Jahren konsumieren. In Deutschland rangiert es auf Platz 20 der beliebtesten Medikamente.

Am Montag hat Schwabe nun auf fünf von sieben Patenten verzichtet, die zu dem Präparat gehören. Damit reagiert das Unternehmen auf eine Entscheidung des Europäischen Patentamts (EPA) vom Januar, das Patent EP 1 429 795 B1 zu widerrufen, nachdem vor ein paar Tagen die schriftliche Urteilsbegründung veröffentlicht wurde. In dem Patent hatte sich Schwabe 2002 das Extrahieren des Wirkstoffes aus den Wurzeln zweier Pelargonien-Arten gesichert, die nur in Südafrika und Lesotho vorkommen.

Gegen diesen Fall von Biopiraterie hatten der Evangelische Entwicklungsdienst, das African Centre for Biosafety, die Berne Declaration sowie die Bewohner des südafrikanischen Ortes Alice 2008 beim EPA Einspruch eingelegt. Denn im Süden Afrikas werden die Wurzeln seit langem medizinisch genutzt. Es handelt sich also um das Produkt traditionellen biologischen Wissens und nicht um eine technische Erfindung.

Bemerkenswert an der Geschichte finde ich zum einen, dass das EPA nicht den Klägern folgen wollte, es handele sich bei der Patentierung um einen Verstoß gegen die guten Sitten. Das Amt bemängelt "nur" die zu geringe Erfindungshöhe des Patents, die ihm acht Jahre zuvor bei der Erteilung entgangen war.

Das muss uns nicht wundern: Das Amt finanziert sich im Wesentlichen aus den Patentgebühren. Die beliefen sich 2007 auf gut eine Milliarde Euro im Jahr.

Bemerkenswert ist auch, dass das Präparat Umckaloabo bereits seit 30 Jahren auf dem Markt ist. Und zwar ziemlich konkurrenzlos, wie Traugott Ullrich, Geschäftsführer der Schwabe-Tochter Spitzner, die das Mittel herstellt, in der Frankfurter Rundschau sagte. Wenn also das Geschäft 22 Jahre super lief, warum patentierte die Firma das Wurzelextrakt dann überhaupt vor acht Jahren?

Die Antwort ist wahrscheinlich simpel: weil es alle machen, weil der Pharma-Wettbewerb in der Globalisierung immer härter wird. Sicher ist sicher.

Dass man mit irgendwelchen technischen Geräten hantiert, um diese Substanzen verarbeiten zu können, ist für mich trivial. Jedes Gen kann nur mit Laborequipment gehandhabt werden. Anders geht's nun mal nicht. Und dennoch sind schätzungsweise ein Viertel unserer menschlichen Gene patentiert, inklusive der "Junk DNA". Von Planzen- und Tiermaterial gar nicht zu reden.


Doch das genügt nicht einmal dem fragwürdigen Geist der Patentidee selbst. In der Natur entstandende biologische Substanzen sind von niemandem erfunden worden. Die meisten waren schon da, als der Homo sapiens gerade "out of Africa" ging.

Über den Umweg des "Verfahrenspatents" wurden aber auch die Biosubstanzen selbst in den vergangenen 30 Jahren patentierbar. Sicher kann ein Verfahren eine technische Erfindung sein. Aber wohl kaum der biologische Gegenstand des jeweiligen Verfahrens, wenn die Evolution ihn "erfunden" hat.

Der Umckaloabo-Fall ist daher ein Erfolg im Kampf gegen die absurde Ausweitung "geistiger Eigentumsrechte". Aber ich fürchte, kein so großer, wie das ACB es sieht. Dieses System wird auch er nicht erschüttern (im Gegenteil, mit dem "Antipiraterie-Abkommen" ACTA soll es noch zementiert werden).

Ich frage mich: Gibt es einen guten Grund, warum solche Biopatente nicht gegen die guten Sitten verstoßen – warum sie nicht ein Raub an der Allgemeinheit sind? Gibt es einen logischen Grund, warum biologische Substanzen nicht per se eine Public Domain darstellen? Mir fällt keiner ein. Ihnen? (nbo)