Der vergiftete Apfel

Apple hat den Abschied vom Desktop-Interface eingeleitet. Doch damit werden die innovativen Kalifornier zum Hindernis für die Informationsfreiheit.

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Von
  • Niels Boeing

Das Unternehmen, das im letzten Jahrzehnt den "digitalen Lifestyle" am stärksten geprägt hat, ist ohne Zweifel Apple. iMac, Mac OS X, iPod und iTunes, MacBook, iPhone und nun iPad - was die Kalifornier auch machen, setzt jedes Mal Maßstäbe. Nicht nur hinsichtlich Produktdesign, sondern gerade auch hinsichtlich Usability. Ich selbst bin 2002 nach der Einführung von Mac OS X endgültig übergelaufen und habe das nicht bereut. Und doch wird mir Apples Erfolg immer suspekter. Der Grund für dieses Unbehagen ist, wie seine Produkte den Umgang mit Rechnern verändern.

Damit meine ich nicht, dass Computer Statussymbole und "Accessoires" geworden sind, die von Technikjüngern gesammelt werden. Es ist vielmehr der Abschied vom Desktop, der mir zu schaffen macht.

Der vielgescholtene Desktop. Es gab kaum eine Internet-Konferenz Ende der Neunziger, auf der ihn nicht irgendein Interface-Experte als Fehlentwicklung gegeißelt hätte. Doch eine überzeugende Alternative zur Struktur aus Schreibtisch und Fenstern, Ordnern und Dateien hatte niemand parat. Zu verdanken hatten wir diese zweidimensionale Büro-Simulation Apple, das sie 1984 mit dem ersten Mac etabliert hatte (wie so vieles hat Apple auch dieses Konzept nicht erfunden, sondern "nur" zur erfolgreichen Innovation gemacht).

Bruce Tognazzini, Interface-Designer und damals selbst Entwickler bei Apple, sagte mir einmal, dass man damals eigentlich eine dreidimensionale Darstellung favorisiert habe. Von der sei nur das Papierkorb-Icon übriggeblieben. Denn die erste Zielgruppe für die neuen Rechner waren Büroarbeiter: „Da war es ziemlich sinnvoll, die Metapher des Schreibtischs zu verwenden, die dem Arbeitsplatz dieser Nutzergruppe entsprach“, so Tognazzini.

Millionen Nutzer haben sie seither verflucht, und es war klar, dass sie mit einem digitalen Lifestyle nicht zusammen passte. Auch das Web änderte an der Logik, dass Programme und Inhalte getrennt sind und Dokumente "verwaltet" werden müssen, erst einmal nichts.

Die erste Andeutung eines neuen Konzepts waren für mich dann die Widgets, die Apple mit dem Dashboard in Mac OS X einführte. Kleine Anwendungen, die nur eine Sache können, direkt mit dem Internet verbunden sind und nicht aus einem Programmordner geladen werden. Sie schwebten einfach über dem Schreibtisch.

Die Musiksoftware iTunes ging in eine ähnliche Richtung. Anstatt einen Download-Shop als Webseite in einem Browser aufzurufen, was damals als kommerzielle Antwort auf das Napster-Problem galt, war iTunes alles in einem: Abspiel-"Gerät", Musikarchiv und Frontend zum Kaufen von Internet-Inhalten. Am Browser vorbei.

Das App-Konzept war schließlich die logische Konsequenz. Für Mini-Displays war es eine naheliegende Lösung, denn auf denen ist die Schreibtisch-Metapher total sinnlos. Rund wurde das App-Konzept durch den Touchscreen und den Finger-Zoom (übrigens auch das keine originäre Apple-Idee: Das MIT-Startup Geophoenix etwa hatte bereits 2003 das Handy-Interface Zoominator entwickelt, in dem man in Anwendungen rein- und rauszoomte).

Im iPad wird diese Benutzeroberfläche nun zum ersten Mal konsequent auf einen größeren Bildschirm und damit auf einen Rechner im herkömmlichen Sinne ausgedehnt.

Was ist daran nun das Problem, wird sich mancher fragen? Das Problem ist, dass damit Inhalte an Anwendungen gekoppelt werden. Beides ist nicht mehr zu trennen. Der Nutzer gibt seine Verfügungsmacht über Inhalte auf. Muss sie aufgeben.

Als Dateien (Inhalte) und Programme getrennt waren, mussten Entwickler nur die technischen Spezifikationen des Mac-OSX-Betriebssystems für ihre Programme einhalten. Welche Inhalte ein Nutzer mit einer Mac-Software lud, war seine Sache.

Nun jedoch prüft Apple jede neue App, die einen Inhalt transportiert. Das ist natürlich nicht prinzipiell verkehrt, weil Apps ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten. Aber Apple geht weit darüber hinaus. Die App des Stern etwa wurde kürzlich vorübergehend gesperrt, weil für den Geschmack der Kalifornier zu viel nackte Haut transportiert wurde. Apps, die Multimedia-Inhalte der Konkurrenz aufs iPhone bringen wollten (Apple ist schließlich auch Inhalte-Anbieter), haben das gleiche Schicksal erfahren. Adobes Flash bleibt ebenfalls ausgesperrt.

Im Safari-Browser wären solche Filteraktionen sinnlos gewesen – der Nutzer wäre einfach zum Firefox gewechselt (mal abgesehen davon, dass Safari nur wenige Prozent Marktanteil hat). Da hatten die Kalifornier keine Handhabe.

Jetzt hat Apple sie und wird damit zum Gatekeeper. Angesichts der Marktmacht, die es im mobilen Internet hat, und des "iKult" (Der Spiegel), der Konsumenten verführt, ist das ein Problem. Meines Erachtens ein ebenso ernstes Problem wie die Datenbegehrlichkeiten von Google und Facebook.

Dass Apple entgegen seinem Image ein rabiater Konzern – mit ebenso monopolistischen Gelüsten wie das einst verhasste Microsoft – ist, zeigt für mich eindrücklich auch die polizeiliche Hausdurchsuchung bei Gizmodo-Blogger Jason Chen, die das Unternehmen veranlasst hatte.

Es ist Zeit, Apple nicht mehr als coolen Innovator zu sehen, sondern als potenzielles Hindernis für unsere Informationsfreiheit. Der Apfel ist schon lange vergiftet. (nbo)