Erfolgs-Eintopf

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Köln, 25. Februar 2016 – Es gibt gestandene Mannsbilder, die bei der bloßen Erwähnung des Namens „XT 500“ feuchte Augen bekommen. Ohne die Urgroßmutter aller Enduros wäre die Geschichte der Geländemotorräder anders verlaufen. Gut, vermutlich wäre früher oder später ein anderer Hersteller auf die Idee zu einem solchen Motorrad gekommen, aber es ist nun mal Yamaha zu verdanken, dass sie den Mut hatten, die XT 500 im Jahr 1976 auf den Markt zu bringen.

Damals hatte wohl niemand mit dem überwältigenden Erfolg gerechnet. Mit der XT 500 betrat Yamaha Neuland, da das Modell konsequent auf Geländebetrieb konzipiert war und erstmals gleichzeitig über einen großen Einzylinder-Viertakt-Motor verfügte. Zuvor gab es zwar von diversen Marken etliche Viertakt-Scrambler, aber dabei handelte es sich mehr um halbherzig präparierte Straßenmodelle, die oft unter kurzen Federwegen und hohem Gewicht litten. Die ersten leichten Enduros mit adäquaten Fahrwerken besaßen Zweitaktmotoren und waren alles andere als zuverlässig. Erst Honda traute sich 1970 mit der SL 100 (die in den folgenden Jahren auf 250 Kubikzentimetern Hubraum wuchs) eine Viertakt-Enduro zu bauen, die jedoch selbst als XL 350 (ab 1973 gebaut) nicht gegen die Leistungsfähigkeit der Zweitakter ankam.

Einfach, aber sehr effektiv

Das sollte sich mit dem 500er-Motor der XT ändern. Die Telegabel der Yamaha verfügte über stolze 195 Millimeter und die Stereofederbeine hinten über 159 Millimeter Federweg, zudem wies sie stattliche 240 mm Bodenfreiheit auf. Der hochgelegte Auspuff und ein Vorderradschutzblech, das in luftiger Höhe über den Stollenreifen schwebte, unterstrich ihre Gelände-Ambitionen. Ihr großer Viertakt-Motor sollte die XT 500 aber auch für den normalen Alltagsbetrieb tauglich machen. Der 499-Kubikzentimeter-Single war simpel aufgebaut mit einer oben liegenden Nockenwelle und zwei Ventilen, die über Kipphebel betätigt wurden, lediglich die Trockensumpfschmierung war für die damalige Zeit eher ungewöhnlich.

Der Projektleiter Shiro Nakamura gestand später, dass die Entwicklung für ihn ein Albtraum war, da es sich erst um den zweiten je von Yamaha gebauten Viertakt-Motor handelte und der große Hubraum des Einzylinders natürlich für massive Vibrationen sorgte. Um den Motor dennoch zuverlässig zu bekommen, entschied sich Nakamura, nachdem diverse Versuche mit zwei oben liegenden Nockenwellen und sogar mit einem ölgekühlten Zylinderkopf fehlschlugen, für eine einfache Konstruktion – und es sollten die Einfachheit und Robustheit des Motors sein, die maßgeblich zur Erfolgsgeschichte der XT 500 beitrugen. Der Einzylinder geriet mit einem Bohrung-Hub-Verhältnis von 87 zu 84 Millimeter relativ kurzhubig. Die zwei Ventile bescherten der XT 500 eine gleichmäßige Drehmomentkurve, das kleine Schwungrad ermöglichte ein rasches Hochdrehen. Die Trockensumpfschmierung und der kurze Hub erlaubten eine kompakte Motorbauweise und hohe Bodenfreiheit, wie es im Gelände erwünscht war.

Sie kam, wurde gesehen und war ausverkauft

Yamaha zielte mit der neuen Enduro auf die USA als weltgrößter Motorradmarkt, der zudem sehr offroad-begeistert war. Vor allem unter den Teilnehmern der dort sehr beliebten Wüstenrallies wie der Baja 1000 sollte sie ihre Käufer finden. Vorgestellt wurde die XT 500 zusammen mit der Wettbewerbs-Version TT 500 1975 in Las Vegas. Yamaha glaubte zwar, dass in der restlichen Welt kein Interesse an dem Konzept bestehen würde, stellte aber 1976 trotzdem die XT 500 auf der IFMA in Köln vor. Wider erwarten drängten sich Menschenmassen mit offenem Mund vor der Enduro. Was für eine Maschine! Diese langen Federwege und erst der große Einzylinder-Motor! Sagenhafte 33 PS und nur 150 Kilogramm Gewicht! Die Yamaha-Händler wurden von den Kunden überrannt und mussten fleißig XT 500 aus den USA bestellen, die sie für die deutsche Zulassung umrüsteten.

Im folgenden Jahr wurde die XT offiziell von Yamaha nach Europa importiert und ihr Siegeszug war nicht mehr aufzuhalten. Sie galt als kerniges Männermotorrad. Über das Antreten per Kickstarter rankten sich bald Legenden von dicken Waden, gebrochenen Schienbeinen und abgeworfenen Fahrern. In Wahrheit ließ sich der Motor bei korrekt eingestellter Zündung problemlos ankicken, wenn man nur vor dem Zutreten gefühlvoll den oberen Totpunkt des Kolbens gesucht und ihn dann minimal darüber geführt hatte. Wer das nicht tat, dem schlug der Kickstarter allerdings gnadenlos zurück gegen die Stiefelsohle. Doch diese Schreckensmärchen vergrößerten die Bewunderung für die XT 500 nur noch.

Sportgerät

Im Gelände ließ sie so ziemlich alles hinter sich, was sonst noch mit Scheinwerfer und Straßenzulassung unterwegs war. Den endgültigen Ruhm erntete sie jedoch 1978 und 1979 durch die Siege bei der gerade ins Leben gerufenen Wüsten-Rallye Paris-Dakar. Der französische Yamaha-Importeur Sonauto baute unter der Regie von Jean Claude Olivier vier XT 500 zu Wüstenrennern auf und gewann prompt mit Gilles Compte im Sattel, im Jahr darauf holte Cyril Neveu für Yamaha den Sieg. Insgesamt achtzehn XT 500 nahmen am gefährlichen und materialmordenden Debut-Rennen teil und nicht weniger als zehn davon sahen die Ziellinie in Dakar.

Doch auch im Motocross interessierte man sich für das neue Viertakt-Konzept. Die beiden schwedischen Ex-Motocross-Weltmeister Torsten Hallman und Sten Lundin arbeiteten für Yamaha Schweden und wollten partout eine XT 500 für Saison 1977 einsetzen. Dafür erhielt die XT allerdings einen modifzierten Husqvarna-Rahmen, Fox-Air-Federbeine und eine Leichtmetallschwinge. Das Gewicht wurde um rund 40 Kilogramm reduziert und der getunte Motor leistete gut 50 PS.

Weltmeister Bengt Aberg bekamen sie nach der ersten Probefahrt rasch überredet, auf dem Viertakter die WM zu bestreiten. Ihm gelang das Kunststück, den GP von Luxemburg gegen die versammelte Zweitakt-Elite zu gewinnen und er wurde am Ende der Saison beachtlicher Neunter. Yamaha zeigte sich so begeistert, dass sie eine „HL 500“ (für Hallman und Lundin) genannte Sonderserie des Motocrossers von rund 400 Stück auflegten. Leider verfolgte man das Projekt danach nicht weiter und es sollte noch zwei Jahrzehnte dauern, bis Yamaha 1997 das Viertakt-Konzept wieder aufgriff und mit der YZ 400 F das Ende der Zweitakter im Motocross- und Endurorennsport einläuteten. Auch hier war die XT 500 einst wegweisend.

Das Abenteuer-Motorrad

Zahllose Abenteurer und Weltenbummler eroberten auf der XT 500 selbst die hintersten Winkel des Planeten. Oft mit riesigen Spritfässern anstelle des eher bescheidenen 8,5-Liter-Tanks ausgestattet durchquerten sie Wüsten und Dschungel. Die Sitzbank war halbwegs bequem, die Federung ausreichend schluckfähig und mit selbstgeschweißten Gepäckträgern und Kofferhaltern samt Alukisten ließen sich auch die Expeditionsutensilien verstauen.

Doch auch vor dem heimischen Straßencafé durfte man sich der ungeteilten Aufmerksamkeit des Publikums sicher sein, wenn man mit der Enduro dort aufkreuzte. Sie roch förmlich nach Abenteuer, was das Image des Fahrers gleich ungemein hob. Selbst wer nie den Asphalt verließ, war mit dem braven Alltags-Muli vollauf zufrieden. Die XT 500 erwies sich – bei regelmäßiger Wartung – als langlebig und wenig störanfällig. Falls doch mal ein Defekt auftrat, konnte man fast alles selber reparieren.

In Deutschland wurde sie zwar aus versicherungstechnischen Gründen offiziell nur mit 27 PS angeboten, doch die Drosselung erfolgte über die Auspuffanlage und den Ansaugstutzen, was für versierte Bastler kein Problem darstellte und viele ihre XT 500 wieder in den Genuss der vollen Leistungsabgabe versetzten.

Sie überlebte sogar ihre Nachfolgerin

Als Topspeed rannte die XT mit flach liegendem Fahrer 135 km/h – damals war das für eine Enduro kurz vor Überschallgeschwindigkeit. Allerdings setzten das doch eher weiche Fahrwerk, die Stollenreifen und die Trommelbremsen dem Fahrspaß auf Asphalt seine Grenzen. Ihre Destination waren die Schotterpisten und Sanddünen.

Tatsächlich wurden die XT 500 bis zu ihrem Produktionsende 1990 sagenhafte 127.446 Mal gebaut, alleine in Deutschland fand sie über 25.000 Käufer. Wie beliebt sie war, zeigt allein schon die Tatsache, dass sie ihr Nachfolgemodell XT 550 überlebte und parallel zu deren Nachfolgerin XT 600 noch fünf Jahre lang gebaut wurde. Die Fans verlangten vierzehn Jahre lang nach ihr und würden sie am liebsten bis heute produziert sehen. Dabei blieb die XT 500 während ihrer gesamten Bauzeit technisch fast unverändert, lediglich 1979 bekam sie eine optimierte Motorschmierung, im Jahr darauf erhielt die Gabel eine Überarbeitung und 1986 wurde die Elektrik von sechs auf zwölf Volt umgestellt.

Doch die XT 500 war nicht nur für Yamaha von entscheidender Bedeutung, sondern sie war die Vorreiterin einer Viertakt-Enduro-Welle, die bis heute anhält. Die Konkurrenz beeilte sich damals, das Erfolgsrezept zu kopieren und seitdem fluteten unzählige Einzylinder-Enduros zwischen 125 und 800 Kubikzentimetern den Markt.

Charakterkrad mit Charme

Selbst heute noch sind erstaunlich viele XT 500 unterwegs. Die Besitzer wollen keine andere Maschine, einige werden von der treuen Enduro schon seit Jahrzehnten begleitet, andere verwirklichten erst im fortgeschrittenen Alter ihren Jugendtraum.

Nach heutigen Maßstäben mag die XT 500 auf dem Papier lächerlich erscheinen, doch man muss kein Oldtimer-Liebhaber sein, um ihrem Charme zu erliegen. Wer je den stampfenden Motor, das leichtfüßige Handling und die archaische Fortbewegungsweise gespürt hat, wird es verstehen. Die XT 500 hat bis heute nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Herzlichen Glückwunsch zum 40er!