Aprilia RSV4 RR / RF

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Einen schlechteren Start hätte die Aprilia RSV4 im Jahr 2009 gar nicht hinlegen können. Bei der Präsentation auf einer Rennstrecke in Italien gingen die neuen V4-Motoren reihenweise fest und der Hersteller brach hektisch die Presse-Veranstaltung ab. Die danach veröffentlichte Erklärung, es hätte sich um Vorserien-Modelle gehandelt und die folgenden Serienmodelle wären natürlich absolut zuverlässig, kam nicht sehr glaubhaft an. Tatsächlich hängt der RSV4 seitdem der Makel der Unzuverlässigkeit an wie eine Klette und verhindert einen Verkaufserfolg.

Dabei ist die Aprilia auf der Rennstrecke mittlerweile das vielleicht beste Sportmotorrad der Welt: ultra-handlich, leicht, stabil und brachial kräftig gewinnt sie regelmäßig die Vergleichstests einschlägiger Fachzeitschriften. Das Talent kommt nicht von ungefähr, denn die RSV4 wurde von Aprilia konsequent für den Einsatz in der Superbike-WM entwickelt und holte den Titel zweimal mit Max Biaggi und einmal Sylvain Guintoli im Sattel.

Es stimmt zwar, dass die RSV4 der ersten Baujahre öfters die Werkstatt aufsuchen mussten als den Besitzern lieb war, aber mittlerweile hat Aprilia die Probleme im Griff und die Evolution des Sportbikes schreitet jedes Jahr voran. Auch für das Modelljahr 2017 tat sich einiges an dem kompakten Motorrad. Äußerlich erscheint sie, abgesehen von der neuen Lackierung, fast unverändert, aber unter der schicken Schale wurde fleißig modernisiert. Als Wichtigstes stand natürlich die Anpassung an die Euro4-Norm auf der Agenda in Varese, wie am voluminöseren Auspuff zu erahnen ist. Die Hürde nehmen die RSV4 RR und RSV4 RF mit Bravour, denn sie behalten trotzdem ihre satten 201 PS bei 13.000/min und maximale 115 Nm bei 10.500/min. Dank eines leistungsfähigeren Steuergeräts stieg die Maximaldrehzahl des V4-Motors um 300/min.

Gewicht gespart

In der neuen Auspuffanlage arbeiten nun zwei Lambdasonden und – wie gehabt – eine Klappensteuerung im Schalldämpfer. Bis 5000/min werden die Gase durch ein verwinkeltes System geleitet, darüber öffnet sich die Klappe und entlässt die Gase direkt. Im Ansaugtrakt entfielen die variablen Ansaugtrichter – die neue Motorelektronik machte sie überflüssig – und sparte eine halbes Kilogramm Gewicht ein. Die Drosselklappen wurden auf E-Gas umgestellt, verzichten also auf Bowdenzüge, und reduzieren so das Gewicht noch mal um 590 Gramm.

In den Zylindern bewegen sich leichtere Kolben, die Ventilfedern sind neu und die Steuerzeiten wurden optimiert. Außerdem wurde an diversen Stellen im Motor die Reibung reduziert, was ein schnelleres Hochdrehen ermöglicht und den Verschleiß mindert.

Neues Kurven-ABS

Die überarbeitete Traktionskontrolle kann nun, genauso wie die Wheelie-Steuerung, während der Fahrt verstellt werden, ohne den Gasgriff schließen zu müssen. Ein gewaltiges Sicherheitsplus bietet das Kurven-ABS 9.1 MP von Bosch mit Abhebeerkennung des Hinterrads. Es kann mit den drei Motormappings „Sport“, „Track“ und „Race“ kombiniert werden.

Der Schaltautomat funktioniert jetzt nicht nur beim Rauf- sondern auch beim Runterschalten. Die sogenannte Blipper-Funktion glättet dabei die Gangwechsel der Elektronik mit Zwischengas. Ein Speedlimiter sorgt dafür, dass in der Boxengasse nicht versehentlich zu schnell gefahren wird. Dass aber ausgerechnet ein Superbike einen Tempomat erhielt wie bei einem Tourenmotorrad, erscheint eher kurios.

Ganz neu ist das mehrfarbige TFT-Display, das sämtlich auch noch so ausgefallene Informationen wie Schräglagenwinkel, Gasgriffstellung und Bremsdruck liefert. Am Display kann zwischen den Darstellungen „Road“ und „Race“ gewählt werden. Aprilia verspricht eine einfachere und logischere Menuführung für das neue Modelljahr. Die RSV4 integriert ab sofort die Kommunikationsmöglichkeit per Handy und Gegensprechanlage. Außerdem können Einstellungen am Bike per Bluetooth mit einem Smartphone vorgenommen werden. Es kann überdies als zweites Display und zum Aufzeichnen verwendet werden.

Auch an der Hardware wurde gefeilt. Die Bremsscheiben sind nun fünf Millimeter dick und wuchsen im Durchmesser auf üppige 330 Millimeter. Außerdem erhielten sie die M50-Monoblock-Bremssättel von Brembo. Das Umlenksystem der Hinterradfederung wurde modifiziert für ein noch besseres Ansprechen. Bei der RSV4 RR kommen wie gehabt eine Gabel und Hinterradfederung von Sachs zum Einsatz, bei der teureren RSV4 RF arbeiten Komponenten von Öhlins. Außerdem rollt die „Racing Factory“ auf geschmiedeten Alufelgen.

Kein anderes Motorrad bietet so viele Einstellmöglichkeiten am Fahrwerk wie die Aprilia. Dass sie vorne wie hinten in Zug- und Druckstufe sowie Vorspannung einstellbar ist, versteht sich von selbst. Doch sie kann außerdem im Lenkkopfwinkel, der Schwingenachse, Höhe des Hecks und sogar Einbauhöhe des Motors variiert werden, um sie auf die jeweilige Strecke feinjustieren zu können. Zum Modelljahr 2017 erhält auch die RR die Magnesium-Motordeckel und -Ölwanne der RF.

Eine Sekunde schneller

Was die ganzen Verbesserungen gebracht haben? Laut Aussage von Aprilia eine Sekunde auf einer von ihnen nicht näher kommunizierten Rennstrecke. Klingt erst einmal wenig, doch im Rennen sind das Welten, möglicherweise Podest statt „ferner liefen“. Die geballte Elektronik macht es selbst durchschnittlich begabten Fahrern möglich, unfassbar schnell auf der Piste unterwegs zu sein und trotzdem das beruhigende Gefühl eines Sicherheits-Fangnetzes zu genießen.

Aber es bleibt auch im achten Produktionsjahr der RSV4 dabei: Sie ist ausschließlich für den Rennstreckenbetrieb entwickelt worden. Wer mit ihr auf öffentlichen Straßen unterwegs ist, muss sich auf schmerzende Handgelenke und verspannte Rückenmuskulatur einstellen. Ganz abgesehen davon, dass dort die 201 PS niemals auch nur ansatzweise ausgereizt werden können.

Die Preise für den nächsten Modelljahrgang hat Aprilia noch nicht verraten, die Vorgängerinnen lagen bei 18.590 Euro für die RSV4 RR und 21.590 Euro für die RSV4 RF. Die 2017er-Modelle dürften nur unwesentlich mehr kosten.