Autonomes Fahren light: Der elektronische Schutzengel greift nur im Notfall ein

Das MIT entwickelt einen "intelligenten" Copiloten

Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickeln einen neuartigen halbautomatischen Copiloten, der dem Autofahrer nur ins Lenkrad greift, wenn es unbedingt sein muss

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1. August 2012 – Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickeln einen neuartigen halbautomatischen Copiloten, der nur im äußersten Notfall dem Autofahrer ins Lenkrad greift. Die Grundlage für die Technik besteht aus einer Kamera und Lasersensoren, um Hindernisse auf der gefahrenen Strecke zu erkennen – das ist bei anderen voll- oder teilautonomes Fahren aber nicht anders. Das eigentlich Neue ist die "Intelligenz" des Systems, entwickelt vom MIT-Studenten Sterling Anderson. Sie zwingt dem Fahrer keinen exakten Kurs auf, sondern greift nur ein, wenn er die sicheren "Zonen" auf seinem Weg verlässt.

Laisser-faire

Diese Zonen sind der wesentliche Unterschied zu üblichen Ansätzen des autonomen Fahrens. Normalerweise, sagt Anderson, halten autonome Systeme ein Fahrzeug auf einem vorgegebenen Pfad. Ein gutes Beispiel seien Einparkassistenten, bei denen der hinterlegte Algorithmus einen solchen exakten Pfad vorgibt. „Das Problem ist, Menschen denken nicht so“, sagt Sterling Anderson. „Wenn wir fahren, steuern wir nicht sklavisch einen bestimmten Kurs. Normalerweise sehen wir eine Parklücke und erkennen einen sichere Bereich, innerhalb dessen wir einparken, ohne es ganz genau nehmen zu müssen.

Anderson und der MIT-Forscher Karl Iagnemma haben laut MIT diese menschliche Perspektive in ihr Robotsystem eingebunden. Anstatt einen Pfad exakt vorzugeben, legten sie das System so aus, dass es vor dem Fahrer liegenden Strecke in Sektoren aufteilt, die es permanent beobachtet. Diese Felder bilden einen großzügigen Bereich, der komfortabel und sicher befahrbar ist, ohne dass der Fahrer einer genauen Linie folgen muss. Normalerweise bekommt der Fahrer deswegen nicht einmal mit, dass ein System im Hintergrund mitläuft. Ein Lenkeingriff erfolgt erst dann, wenn die beobachteten Sektoren mit einem Hindernis „kollidieren“. Dabei korrigiert der Copilot sanft die Fahrrichtung, um die reale Kollision zu vermeiden.

Auf dem rechten Pfad

Die Forscher beobachteten bei ihren Versuch ein interessantes Verhalten: Diejenigen, die dem System vertrauen, fuhren demnach besser als diejenigen, die es übersteuern. Sie hätten einen Testkurs schneller durchfahren als die eigenwilligeren Kandidaten. Offenbar ist der Algorithmus konservativ genug ausgelegt, um sanft auf den rechten Pfad zu führen, wenn er ein gar zu übermütiges Fahrverhalten feststellt – man kennt das ja auch von sehr früh ansprechenden ESPs. Es habe sich aber auch erwiesen, dass für besonders erfahrene Piloten der elektronische Copilot ein Hemmnis sein kann. Anderson und Iagnemma suchen deswegen nach Wegen, das System für unterschiedlich erfahrene Fahrer auslegen zu können.

Wegen des unauffälligen Verhaltens des Copiloten kann es laut Anderson zudem passieren, dass ein Fahrer sich mit fremden Federn schmückt: „Hey, da habe ich ja nochmal die Kurve gekriegt ...“ Das berge durchaus das Risiko der Selbstüberschätzung, gerade bei Fahranfängern. Andererseits erhöht das zurückhaltende Wesen des Systems seine Chancen für eine hohe Akzeptanz. Der Sicherheitsgewinn wiegt deswegen wohl schwerer als die Selbstüberschätzung. Wäre sie ein entscheidendes Kriterium, dürfte man auch kein ESP verbauen.

Überschaubarer technischer Aufwand

Laut Benjamin Saltsman, einem Innovationsmanager bei Eaton Corp., hat der MIT-Kopilot noch weitere Vorteile. Weil kein exakter Pfad befolgt werden muss und Unschärfe sozusagen Teil des Konzepts ist, werde weniger Rechenleistung und Sensorik benötigt, als es etwa bei den autonomen Autos von Google oder Ford der Fall sei. Das macht auch einen Serieneinsatz in absehbarer Zukunft realistischer. Hier kommt es allerdings auch sehr auf die Auslegung an, um rechtlichen Anforderungen zu genügen. Nach heutiger und absehbarer Rechtslage wird der Copilot nicht viel resoluter eingreifen können, als es die „Lenkempfehlung“ einer elektromechanischen Lenkung – Beispiel VW Golf – schon heute kann. Der Fahrer muss die Hoheit über sein Fahrzeug behalten, weil er Situationen noch immer besser beurteilen kann als eine Computer und weil die Produkthaftung bisher keine andere Rollenverteilung zulässt.

Dass es bis zur perfekten Erkennung von Hindernissen noch ein weiter Weg ist, zeigen auch die Tests am MIT: Bei mehr als 1200 Testfahrten habe es kaum Kollisionen gegeben, einige aber eben doch, meist aufgrund von Störungen in der Bilderkennung. Das ist aber akzeptabel, solange man das teilautonome Fahren nur als Option definiert – anders als beim vollautonomen Fahren, bei dem nicht der kleinste Fehler auftreten darf. In der Einfachheit liegt ja der Charme des MIT-Copiloten: Er ist ein Assistent im besten Sinne und greift nur ein, wenn es unbedingt sein muss.