Der Elektroschock

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Shakedown: erste finstere Ahnungen

Erste Zweifel an dieser Einschätzung kamen bei der Überführung vom Schletter-Parkplatz an den Start der e-miglia in München. In knapp 50 km verbrauchte der Leaf zwei Drittel seiner Akkuladung. Hm. Auf der Rallye waren Einzeletappen mit über 100 km über Pässe geplant. "Nehmt's unbedingt noch das Verlängerungskabel auf die Rallye mit", empfahl ein ernst dreinblickender Schlettermensch, der alle Zweifel zu teilen schien. Dann legte er den Leaf an selbiges, und das Fahrzeug wurde zur Elektroimmobilie – ein ständiger Anblick über die nächsten Tage. Nun stehen ja die meisten Autos mehr, als sie fahren. Sie tun das allerdings nur selten, wenn jemand damit fahren will. Meine Sympathie sank bereits. Meinen Unmut kurierte ich durch Lästern: Der Mitsubishi Mief da drüben, was für eine willkürlich schreckliche Scheißkarre! Noch hässlicher als der Leaf, und der schaut schon aus wie ein unsachgemäß geschlachteter Kugelfisch. Und hier: Zweisitzer-Fahrräder mit Akku, soso. Igitt. Und dieser andere Leaf, dem werden seine Breitreifen noch zum Verhängnis werden, das seh ich doch schon jetzt. Tesla Roadster, pft. Mit solchen Riesenakkus kann ja jeder ankommen. Lieben musste ich jedoch Alessandro del Guglielmos dreimotorigen Prototypen "Lampo 3", ein Elektro-Targa-Sportwagen auf Corvette-Chassis und den einspurigen Zerotracer, die elektrische Variante des raumschiffartigen Schweizer Kabinenmotorrads, in dem ich mal probehalber Platz nahm. Der war sofort mein Underdog-Favorit.

Die erste Etappe, den Prolog zum Start in Rosenheim, probierte ich in Anbetracht der schockierend geringen extrapolierten Reichweite der Erstfahrt extrem langsam fahren aus. Die veranschlagte Etappen-Fahrzeit war so hoch, dass man 60 km/h auf der Autobahn fahren konnte, wenn man wollte. Widerwillig probierte ich 80 aus, die ich für gefährlich auf der Autobahn halte, weil sie LKW zu Überholmanövern zwingen. Nach dem zehnten Wohnmobil, das uns live auf Kamera überholte, konnte ich die Scham nicht länger ertragen und fuhr mit 95 weiter. Zu früh da sein gibt aber mehr Strafminuten als zu spät da sein, hatte der alte Griesgram vorher bei der Fahrerbesprechung erzählt, deshalb hielten wir für eine gute Viertelstunde an: Eis essen, Luftdruck in den Reifen erhöhen. Bei dieser wortwörtlichen Schleicherei brauchten wir keinen Grip, wir brauchten Reichweite aus geringem Rollwiderstand. Nach einer weiteren Pause für eine pünktliche Zieleinfahrt lag der Leaf wieder an seiner Leine. Eine Frau gab uns eine Tüte voll Schokolade, denn sie wusste nicht, dass wir die Klimaanlage nur anschalten können, wenn wir schieben möchten. Der Veranstalter gab uns vier Stoppuhren und fünf Warnwesten, vielleicht für jeden virtuellen Passagier eine. Der Leaf gab uns ... wenig Anlass zur Hoffnung.

Tag 1: "Talisker" rächt sich

In der unchristlich frühen Früh hing eine Liste mit Startzeiten am Tourbus. "Team Solar dies", "Team Solar das", "Team Nachhaltigkeit", "Team Sonnenwind" und "Team Nachname" stand da. Dazwischen: "Team Talisker". Als auf diesen endlosen Fragebögen ein Teamname einzutragen war, hielt ich das für egal und schrieb meinen Hauswhisky rein. Jetzt stand der also jeden Morgen zwischen den Weltverbesserer(nach)namen. Das sieht doch aus, als nehme ich die Sache nicht ernst, und nur weil das stimmt, muss es ja da nicht so prominent stehen. Außerdem fragten immer wieder Männer mit Geschmack, ob wir nicht einen Schluck Talisker dabeihätten, doch selbst den hatten wir in der Hektik vergessen.