Der Kommunikator

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Der erste Gang rastet hörbar ein und die Enfield nimmt sanft an Fahrt auf. Kein Ruckeln, kein drohendes Absterben, das macht die alte Lady richtig gut. Wegen des langen Tanks muss ich zwar relativ weit nach vorne greifen, aber ich empfinde die Sitzposition dennoch nicht als unangenehm, weil die Stummellenker zum Glück nicht zu tief angebracht sind. Die Sitzbank erweist sich als schmal, aber der Höcker bietet guten Halt. Die Fußrasten sind genau auf der richtigen Höhe justiert, ihre geriffelte Oberfläche sieht jedoch eher nach japanischem Supersportler aus, ein faux pas, den Royal Enfield vielleicht ausbügeln sollte.

Nur 29 PS: Na, und?

Mit 29 PS kann die Continental natürlich keine Bäume ausreißen, aber zum flotten Ampelsprinten in der Stadt reicht es völlig aus. Sie ist sogar handlicher als zunächst vermutet. Letztendlich tragen natürlich die schmalen Reifendimensionen von 100/90-18 vorne und 130/70-18 hinten erheblich dazu bei. Die Pirelli Sport Demon sind auf edle Drahtspeichenfelgen gezogen. Die konventionelle Telegabel lässt leider keine Einstellmöglichkeiten zu, im Gegensatz zu den hinteren Stereofederbeinen. Solange der Asphalt kein Flickenteppich ist, kommen die Federelemente ihrer Aufgabe recht anständig nach. Willig lassen sich die 184 kg der Continental in Schräglage bringen und die Brembo-Stopper fangen sie wieder zuverlässig ein. Eine stahlummantelte Bremsleitung schmückt die vordere Zweikolben-Bremszange.

Entspannt cruisen und glücklich sein

Außerhalb der Metropolen genießt der Pilot einfach das entspannte Cruisen auf einem archaischen Gerät. Zumindest solange die Drehzahl nicht über 3500/min ansteigt, dann beginnen die Vibrationen zu nerven, um ab 4000 das Gefühl aus den Händen zu prügeln. Eine Ausgleichswelle ist bei einer Royal Enfield nicht vorgesehen. Mehr als Tempo 100 mag der alte Einzylinder nicht, was aber bei indischen Straßenverhältnissen ohnehin schon nahe an der Lichtgeschwindigkeit ist. Also, Gas wieder zu und sich an der Soundkulisse und den wohlwollenden Blicken der restlichen Verkehrsteilnehmer erfreuen. Der Auffallfaktor der Continental GT ist ungemein hoch.

Herrlich archaisch

Man darf an eine Royal Enfield keine modernen Maßstäbe anlegen. Im Gegenteil, sie verkauft sich ja gerade über ihre historische Authentizität. Mit einem Preis von 6490 Euro wirbt die Continental GT für die Rückbesinnung auf alte Werte. Sie zeigt sich herrlich archaisch in einer nach Perfektion strebenden Welt. Kein Mensch braucht 200 PS, um Spaß am Motorradfahren zu haben. Die Royal Enfield ist ehrlich und verspricht nichts, was sie nicht halten könnte. Ach ja: Um seine Mitmenschen kennenzulernen gibt es übrigens kaum ein besseres Motorrad. (mfz)