Vor 90 Jahren: Mercedes siegt bei Targa Florio und Coppa Florio 1924

Der Trick mit der Farbe

Vor 90 Jahren gewinnt Christian Werner auf einem Mercedes die Targa Florio und die Coppa Florio. Auf den Plätzen 2 und 3 in der gleichen Rennklasse: ebenfalls Mercedes. Ein schöner Dreifachsieg auf dem damals vermutlich härtesten Straßenrennen Europas

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Daimlers Dreifachsieg 1924 9 Bilder
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Von
  • Florian Pillau
Inhaltsverzeichnis

Am 27. April 1924 gewinnt Christian Werner auf einem Kompressor-Mercedes mit 6:32:37 Stunden die Targa Florio, mit 8:17:1,4 Stunden die Coppa Florio und fährt außerdem noch mit 1:35 Stunden die schnellste Runde. Auf den Plätzen 2 und 3 in der gleichen Rennklasse: ebenfalls Mercedes, mit den Fahrern Christian Lautenschlager und Alfred Neubauer. Damit ist der Dreifachsieg für die Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) auf dem damals vermutlich härtesten Straßenrennen Europas komplett.

Die Targa Florio, ein Gebirgskurs mit schmalen Straßen und mehr als 7000 Kurven bei Palermo auf Sizilien ist vor 90 Jahren eins der beliebtesten und strapaziösesten Straßenrennen. 1924 ist eine Runde 108 Kilometer lang. Vier davon sind für die Targa Florio zu fahren, eine weitere ist für die Coppa Florio angesetzt, insgesamt 540 Kilometer. Mercedes ist die einzige Marke, die trotz der Strapazen alle gestarteten Fahrzeuge ins Ziel bringt. Von den 37 gestarteten Wagen erreichen nach vier Runden nur 21 das Ziel der Targa Florio. Nur noch 16 sehen eine Runde später das Zielband der Coppa Florio.

Mit Aufladung, Vierventiltechnik und Querstromkopf

Die neuen Mercedes 2-Liter-Rennwagen sind bei der Targa rot lackiert statt in der üblichen deutschen Rennfarbe Weiß. Das ist Teil des Kalküls: Weil die meist italienischen Zuschauer die einheimischen, rot lackierten Fahrzeuge begeistert unterstützen, aber die andersfarbigen ausländischen Autos mitunter auf der Strecke behindern, tritt Mercedes einfach mit roten Autos an.

Die Rennwagen wurden angetrieben von einem 1,5-Liter-Vierzylinder mit vertikal an der Motorstirnseite angeordnetem Kompressor. Dieser Motor hat zwei durch eine Königswelle angetriebene oben liegende Nockenwellen und verfügt über Vierventiltechnik mit zentraler Zündkerze und Querstromkopf mit Ansaugung links, Auspuff rechts. Die Leistung der 1924 eingesetzten Rennmotoren bei der Targa beträgt 50 kW (67,5 PS) ohne Kompressor, aufgeladen sind es 93 kW (126 PS) bei 4500/min. Kurzzeitig kann er bis 4800/min gedreht werden. Die letzte Ausführung dieses Hochleistungsmotors erreicht gegen Ende 1924 übrigens 110 kW (150 PS).

Fahrgestell und Karosserie der Targa-Florio-Rennwagen entsprechen weitgehend den Rennfahrzeugen, die 1923 bei den „500 Meilen von Indianapolis“ eingesetzt worden sind, nur ist die Spur etwas verbreitert und der Rahmen am hinteren Ende zur Aufnahme der unentbehrlichen Reserveräder verändert. Die wichtigste Neuerung für die Fahrer ist eine kleine Windschutzscheibe vor dem Volant, die sie vor den reichlich herumfliegenden kleinen Steinen schützt, wenn ein Konkurrent überholt wird.

Nach der Targa Florio wird das Fahrzeug noch bei zahlreichen Rennen erfolgreich eingesetzt. Beim Klausenpass-Rennen im August 1924 fährt Otto Merz auf dem roten Renner die beste Zeit des Tages. Für das Semmering-Rennen im September lässt sich Otto Salzer in ein Targa-Florio-Fahrgestell einen 4,5-Liter-Motor des Grand-Prix-Wagens von 1914 einbauen, der zusätzlich noch mit einem Kompressor bestückt ist. Salzer erzielt mit dem liebevoll „Großmutter“ genannten Ungetüm zwar die schnellste Zeit für Rennwagen über 3 Liter Hubraum, den Gesamtsieg holt jedoch Targa-Florio-Sieger Wilhelm Werner auf „seinem“ roten 2-Liter-Rennwagen. Zwei Jahre später, im September 1926, gelingt es niemand Geringerem als Rudolf Caracciola, mit der „Großmutter“ das Semmering-Rennen in neuer Rekordzeit zu gewinnen.

Christian Werner und seine Rennfahrerkollegen

Christian Werner, Jahrgang 1892, beginnt im Dezember 1911 seine berufliche Laufbahn bei der Daimler-Motoren-Gesellschaft als „Monteur und Chauffeur“, dient im Ersten Weltkrieg als Kraftfahrer und gehört ab Ende 1918 als „Fahrmeister“ zur Einfahrabteilung der DMG.

Als erstes großes Rennen bestreitet er 1922 die Targa Florio, die er als Zweiter in der Klasse über 4,5 Liter Hubraum beendet. Im gleichen Jahr ist er Gesamtsieger der „Rumänischen Tourenfahrt“, deren herausragende Ereignisse aus einer Schnelligkeitsfahrt, einer Messfahrt für geringsten Benzin- und Ölverbrauch und einem Bergrennen mit vier Personen an Bord bestehen. 1923 sieht man Werner in Indianapolis als Elften im Gesamtklassement, von den Fahrern deutscher Wagen ist er Zweiter und unter den europäischen Fabrikaten Dritter. Sein größter Triumph aber ist der Gewinn der Targa Florio und Coppa Florio 1924.

Seine Fahrerkollegen Christian Lautenschlager und Alfred Neubauer sind auch keine Unbekannten in der Rennszene der frühen Jahre. Lautenschlager ist der berühmte Sieger der Großen Preise von Frankreich in den Jahren 1908 (Dieppe) und 1914 (Lyon); das Rennen des Jahres 1914 geht ebenfalls mit einem grandiosen Mercedes-Dreifachsieg in die Geschichte ein. Neubauer ist damals als Rennfahrer ebenfalls erfolgreich – wird sich aber später vor allem als Rennleiter von Mercedes-Benz bis einschließlich 1955 in die Geschichtsbücher eintragen.