Ducati Panigale V4
Die Panigale V4 ist ein Meisterwerk mit teils lupenreiner MotoGP-Technik. Mit 214 PS ist sie das zurzeit stärkste straßenzugelassene Superbike. In einem Design, wie es nur Italiener entwerfen können. Die Panigale V4 ist atemberaubend schön, brutal kräftig – und eigentlich völlig sinnlos
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Wir verneigen uns in Ehrfurcht vor dem, was die Entwickler in Bologna da auf die Räder gestellt haben. Die Panigale V4 ist ein Meisterwerk mit teils lupenreiner MotoGP-Technik. Mit 214 PS ist sie das zurzeit stärkste straßenzugelassene Superbike. In einem Design, wie es nur Italiener entwerfen können. Die Panigale V4 ist atemberaubend schön, brutal kräftig – und eigentlich völlig sinnlos.
Denn wer soll die Panigale V4 kaufen? Der Sportmotorradmarkt ist so gut wie tot. Noch vor zehn Jahren gehörte es für die Motorradhersteller zum guten Ton, mindestens ein Superbike ab 1000 cm3 aufwärts und einen Supersportler zwischen 600 und 750 cm3 im Programm zu haben und damit in der jeweiligen WM-Klasse anzutreten. Die Marken entwickelten jedes Jahr mit einem unfassbaren Aufwand, um die nächste Modellgeneration noch stärker zu machen und die Konkurrenz zu überbieten.
Die Entwicklungs- und Materialkosten stiegen rasant und wurden natürlich auf die Kaufpreise der Sportmotorräder umgelegt. Doch dann implodierte der Markt. Vielleicht lag es an der Überalterung der Kunden, die sich die stressige Sitzposition mit dem Gewicht auf den Armen und dem Kopf im Nacken nicht mehr antun wollten. Vielleicht wollte dem Zeitgeist der Sinn der wahnwitzigen PS-Leistungen und exorbitanter Kosten nicht mehr einleuchten. Jedenfalls findet man heute keine Supersportler mehr auf dem Markt, lediglich Yamaha hat noch eine PS-kastrierte YZF-R6 im Angebot für 13.995 Euro und MV Agusta die F3 675 für satte 15.380 Euro.
Reine Prestige-Objekte
Zwar erlauben sich die vier japanischen Motorradmarken sowie BMW, Aprilia, MV Agusta und eben Ducati immer noch den Luxus eines Superbikes im Modellprogramm, aber hauptsächlich aus Prestigegründen: Seht her, wozu wir technisch in der Lage sind. Verkaufen lassen sich die Superbikes nur noch in homöopathischen Dosen. In der deutschen Zulassungsstatistik tauchte letztes Jahr der erste 1000er-Sportler in Gestalt der BMW S 1000 RR erst auf Platz 34 mit 858 Stück auf – und das auch nur, weil viele Händler sie nicht loswurden und als Tageszulassungen in den Showroom stellten. Verkauft waren sie damit aber noch lange nicht. Auf Platz 50 folgte dann mit der Honda CBR 1000 RR Fireblade das erste japanische Superbike mit gerade Mal 617 Zulassungen (Zum Vergleich: Die BMW R 1200 GS belegte den Spitzenplatz mit 8333 verkauften Einheiten, die meistgekaufte Honda war die Africa Twin mit 2562 Stück).
Falscher Hubraum fĂĽr den Rennsport
Im Superbike-Klassement sind Vierzylinder auf 1000 cm3 beschränkt. Die Ducati Panigale V4 darf mit 1103 cm3 Hubraum dort also gar nicht antreten. Deshalb wird in Bologna ein zweiter V4-Motor mit vorschriftsmäßigem Hubraum entwickelt, der aber frühestens 2019 einsatzbereit sein wird. Der Fokus von Ducati Corse wird ohnehin weiterhin auf der Königklasse, der MotoGP, bleiben. Hier gibt es die meiste Beachtung weltweit, die höchste Medien-Präsenz im Fernsehen und Internet. Deshalb dürfte Ducati auch weiterhin ungleich mehr Geld in die MotoGP stecken als in die Superbike-WM.
Allein schon Jorge Lorenzo als Fahrer zu verpflichten kostet Ducati angeblich acht Millionen Dollar jährlich, Team-Kollege Andrea Dovizioso bekommt für die kommende MotoGP-Saison sieben Millionen Dollar Gehalt. Von solchen Etats träumen die Teams in der Superbike-WM nur. Dabei darf man nicht vergessen, dass Ducati ein vergleichsweise kleiner Hersteller ist, der letztes Jahr 55.871 Motorräder produzierte und dem im Vergleich zu einem Giganten wie Honda, der 2017 über 17,6 Millionen Krafträder verkaufte, wesentlich weniger Geld zur Verfügung steht.
Sport zu Werbezwecken
Also, eine absurde, völlig irrationale Entscheidung von Ducati einen V4 mit 1103 ccm und einen mit 1000 ccm zu bauen? Nein, denn gerade Ducati lebt von den sportlichen Erfolgen. Es gab Zeiten, da hat Ducati kaum Werbung gemacht, die Siege bei den Rennen genügten, um die Kunden zu den Händlern zu locken. Doch der letzte große Titel ist schon lange her: 2007 holte man den ersten und einzigen MotoGP-Titel. Ducati ist seit den 1980er Jahren in der Superbike-WM erfolgreich unterwegs, doch auch hier liegt der letzte Titel schon sieben Jahre zurück.
Obwohl sich Chaz Davis in den letzten Jahren auf der zweizylindrigen Ducati Panigale R stets achtbar schlug (einmal Vize-Weltmeister, zweimal WM-Dritter), konnte er letztendlich gegen die Übermacht der vierzylindrigen Kawasaki ZX-10R (in den letzten fünf Jahren viermal Weltmeister) nichts ausrichten. Woraus Ducati folgerte, dass sie auch einen Vierzylinder zum Siegen bräuchten, selbst wenn sie dafür mit ihrer geheiligten Tradition der Zweizylinder brechen müssten. In der MotoGP fährt Ducati seit 2003 mit einem V4-Motor, also galt es, die gesammelten Erfahrungen in ein Serienmotorrad fließen zu lassen.
Motor fĂĽr andere Modelle
Heraus kam die Panigale V4, mit 214 PS stärker als alle Konkurrenten. Die finale Ausbaustufe der zweizylindrigen Panigale, die 1299 Superleggera, brachte es letztes Jahr – laut Ducati – zwar auf 215 PS, aber der 1285 cm3-Motor ist damit technisch am Limit.
Die Panigale V4 ist absolut alltagsuntauglich. Die Sitzposition ist für die Stadt eine Qual und die Leistungsentfaltung mit einem ewig langen ersten Gang ist selbst auf der Landstraße völlig indiskutabel. Natürlich wird es Racing-Fans geben, die den neuen roten Renner aus Bologna unbedingt haben wollen und dafür bereit sind, selbst für die Basis-Variante 21.990 Euro auszugeben. Die Ehrgeizigen und Gutverdienenden unter den Rennstreckentraining-Teilnehmern werden zur 27.990 Euro teuren Panigale V4 S mit Öhlins-Fahrwerk greifen oder gar zur Top-Version Panigale V4 Speciale für die Kleinigkeit von 39.900 Euro. Doch die Verkaufszahlen des Ducati-Superbikes werden sich in einem sehr überschaubaren Bereich abspielen. Aber auch in Bologna entwickelt man nicht Motoren nur, um damit anzugeben. Geld wird aber erst auf Ducatis Konten fließen, wenn der V4 in andere Modelle eingebaut wird.
So hat es Ducati schon immer gehalten. Nach einer gewissen Zeit wanderten die V2-Motoren aus den Superbikes in die Naked Bikes Monster oder Streetfighter, in die Reiseenduro Multistrada oder in den Brutalo-Cruiser Diavel. Natürlich in der Spitzenleistung gekappt und mit einer alltagstauglicheren Leistungsentfaltung, denn kein Mensch möchte eine Reiseenduro, deren erster Gang bis 150 km/h reicht und die sich im zweiten Gang bei Stadttempo 50 unwillig schüttelt. Das zeigt den Weg des neuen V4.
V4 sticht den V2 aus
Die Traditionalisten unter den Ducati-Fans werden sicher aufstöhnen. Doch allein in der Laufkultur dürfte der Vierzylinder den Vorgängermotor locker ausstechen und spätestens nach dem ersten Ausritt wird kein Ducatisti mehr dem rappeligen V2 eine Träne nachweinen. Der V4 wird zukünftig zwar weder in der Multistrada noch in der Monster oder Diavel signifikant viel mehr Leistung haben als bisher, aber der Durchzug und die Laufruhe werden sich verbessern. Ducati ist dringend darauf angewiesen, sich in den begehrten Segmenten – die Superbikes gehören definitiv nicht dazu – gut aufzustellen. Die meistverkaufte Modellreihe aus Bologna ist das Retro-Bike Scrambler, es gibt sie in elf verschiedenen Varianten, ohne die es Ducati heute schlecht gehen würde. Aber deren Verkaufszahlen befinden sich bereits wieder im Sinkflug, Ducati braucht dringend ein neues Erfolgsmodell mit dem sich Geld verdienen lässt.
Die Zukunft von Ducati
Ob die Panigale V4 ein solches wird, werden die nächsten Jahre zeigen. Momentan sieht es so aus, als würde der neue Motor nicht nur bei Ducati-Fans gut ankommen, sondern – in alltagstaugliche Modelle eingebaut – auch neue Kunden anziehen können. Es bleibt nur das Risiko, dass der V4-Motor nicht auf ausreichende Stückzahlen kommt.
Es gibt Marktanalysten, die behaupten, dass sich zukünftig nur noch einige wenige große Motorradhersteller am Markt werden halten können. Die kleinen, finanzschwachen Marken werden entweder Pleite gehen oder von den großen Herstellern aufgekauft. Dass dies keine Schwarzseherei ist, zeigt der Automobil-Markt, wo sich oft mehrere Marken unter einem Dach sammeln. Allein zum Volkswagen-Konzern gehören nicht weniger als zwölf Marken, darunter auch Ducati. Allerdings gab es letztes Jahr konkrete Versuche seitens der Zentrale in Wolfsburg, den italienischen Motorradhersteller zu verkaufen, die allerdings vorerst gescheitert sind.
Kaptitalstarke Konzerne aus China und Indien haben längst angefangen, Motorradmarken aus Europa aufzukaufen (QJ die italienische Traditionsmarke Benelli) oder sind mit ihnen Joint-Ventures für gemeinsame Modellproduktionen eingegangen, siehe KTM und Bajaj. Wobei der indische Motorradhersteller mittlerweile 49 Prozent der KTM-Aktien hält. Ducati wäre für viele asiatische Motorradhersteller eine sehr interessante Offerte, verfügen die Italiener doch über geballtes technisches Know-how und einen berühmten Namen. Angeblich war Eicher Motors, zu dem Royal Enfield gehört, bereits letztes Jahr sehr an Ducati interessiert. Der indische Konzern, der 2016 einen Jahresumsatz von rund 1,5 Milliarden Euro erzielte, hätte sicher das nötige Kleingeld, um Ducati zu erwerben.