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E-Motorrad im Test: Zero SR ZF 14.4

Es ist selbst für erfahrene Motorradfahrer eine spannende Sache, ein Elektromotorrad zu bewegen. Egal, was Sie bisher über E-Motorräder gehört haben oder zu wissen glaubten – vergessen Sie es! Die Zero SR ZF 14.4 hat eine Menge Überzeugungs-Potential

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Zero SR ZF 14.4 15 Bilder
Lesezeit: 10 Min.
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Inhaltsverzeichnis

Es war ein geschickter Schachzug der 2007 in Kalifornien gegründeten Firma Zero Motorcycles, ihre E-Motorräder ganz im Stil der traditionellen Zweiräder mit Verbrennungsmotor zu gestalten. Dabei hätten die Designer alle Freiheiten gehabt, schließlich mussten sie auf viele Details keine Rücksicht mehr nehmen: keinen Auspuff, keinen Kühler, keine Ansaugöffnungen für die Airbox, nicht einmal einen Tank bräuchte man. Man hätte das Elektromotorrad zum Beispiel in Form einer Banane mit einem Fahrradsattel bauen können oder gar wie die Johammer J1.150 aus Österreich, die aussieht wie eine Mischung aus Alukoffer und Biene Maja.

Wie ein normales Motorrad

Doch die Zero SR wirkt auf den ersten Blick wie ein ganz normales Motorrad. Ein schnittiges, leicht aggressiv gezeichnetes Bike mit kurzem, spitz zu laufendem Heck, massiven Rahmenoberzügen, elegant geformter Aluschwinge, schlanker Verkleidung und einem Scheinwerfer, der verdächtig nach der alten Yamaha MT-03 aussieht. Erst auf den zweiten Blick bemerkt der aufmerksame Betrachter, dass sich hinter der Verkleidung kein Verbrennungsmotor befindet, sondern ein schwarzer Block. Die Batterie braucht reichlich Platz und ist dennoch gut getarnt.

Der Elektromotor sitzt kaum sichtbar dahinter, etwa auf Höhe des Schwingendrehpunkts. Der von Zero selbst entwickelte, bürstenlose Z-Force-Motor arbeitet mit einem Permanentmagneten und kommt ohne Flüssigkeitskühlung aus. Für das Modelljahr 2018 wurde der Zero-Antrieb gründlich überarbeitet und kann in der leistungsstärksten Version Zero SR ZF 14.4 wahrlich beeindrucken. Die Batterie bietet eine Kapazität von 14,4 kWh.

Irrwitzig

Die Zero SR hat eine Nutzleistung von 51 kW und liefert 146 Nm Drehmoment – in einem nur 188 Kilogramm schweren Motorrad. Was nichts anderes bedeutet, als dass das Elektrobike irrwitzige Beschleunigungen zulässt, und zwar nahezu lautlos.

Das Ohr ist es gewohnt, laute Verbrennungsgeräusche bei einem Motorrad zu hören und dieses Detail fehlt plötzlich in der Wahrnehmung. Entsprechend oft bekommt der Zero-Fahrer offene Münder und irritierte Blicke am Straßenrand und in Autos zu sehen. Es ist ein bisschen wie in einem Science-Fiction-Film. Die Beschleunigung von Stadtgeschwindigkeit 50 km/h auf Tempo 100 verläuft mit der Zero SR im Sport-Modus gefühlt so rasant wie mit einem 200-PS-Superbike.

Kein Getriebe

Die Zero hat kein Getriebe, entsprechend gibt es weder Kupplung noch Gangschaltung. Für viele hört sich das vielleicht erst einmal abschreckend an, doch man gewöhnt sich erstaunlich schnell daran. Der linke Fuß ist arbeitslos, die linke Hand nur dafür zuständig, den Blinker oder die Hupe zu betätigen. Die Zero SR hat soviel Kraft, dass sie mit Direktantrieb auskommt. Der Antrieb zum Hinterrad erfolgt per wartungsarmen Zahnriemen aus Carbonfaser.

Doch die meist gestellte Frage bezüglich der Zero ist nicht wie bei Verbrennungsmotoren: „Wie viel Leistung?“, sondern: „Wie groß ist die Reichweite?“ Das Misstrauen gegenüber einer früh zur Neige gehenden Batterie ist bei vielen Neugierigen latent vorhanden. Genau hier hat die Zero SR den vielleicht größten Fortschritt geschafft, tatsächlich erreicht sie im Schnitt gut 180 Kilometer im gemischten Einsatz Stadt/Landstraße/Autobahn, bevor die Ladeanzeige auf null Prozent sinkt.

Damit nimmt sie den Kritikern von Elektromotoren ihr Hauptargument. Wir hatten schon Motorräder mit Verbrennungsmotoren im Test, die auch nicht weiter gekommen waren. Im Eco-Modus in der Innenstadt sind sogar rund 230 Kilometer mit der Zero SR drin. Nur wer permanent im Sportmodus auf der Autobahn mit Richtgeschwindigkeit 130 unterwegs ist, saugt den Akku innerhalb von etwa 120 Kilometern leer.

Drei Fahrmodi

Dem Zero-Besitzer stehen drei Fahrmodi zur Verfügung: Eco, Sport und Custom. Im Eco-Modus liefert die Zero zwar schon anständige Fahrleistungen, aber ohne große Vehemenz. Sie soll in dem Modus sparsam mit der verfügbaren Energie wirtschaften. Deshalb liegt die Höchstgeschwindigkeit in diesem Modus bei 113 km/h.

Im Sport-Modus wandelt sich die Zero SR komplett. Beschleunigungsbefehle werden spontan und sehr nachdrücklich umgesetzt. Die vollen 146 Nm liegen sofort an. Die irrwitzige Beschleunigung bereitet diebisches Vergnügen. Wer während der Fahrt plötzlich den Gasgriff, Verzeihung: Stromgriff, aufreißt, erlebt einen Katapultstart. Jetzt kommt die Zero SR auf eine Höchstgeschwindigkeit von 169 km/h.

Im Custom-Modus kann der Fahrer mittels einer kostenlosen App von Zero auf seinem Smartphone per Bluetooth die wichtigsten Parameter wie Höchstgeschwindigkeit, maximales Drehmoment und Rekuperation des Akkus selber konfigurieren, alle wichtigen Infos zur Batterie abrufen oder die Bildschirmanzeigen ändern.

Eher komfortabel

Auch beim Fahrwerk kann die Zero SR mittlerweile glänzen. Endlich sind angemessene Federungskomponenten verbaut: Vorne arbeitet eine voll einstellbare Showa-Gabel und auch hinten lässt sich das Showa-Federbein komplett variieren. Das Motorrad ist grundsätzlich eher komfortabel abgestimmt, was bei seinem Einsatzzweck auch sinnvoll erscheint. Auf die Gussfelgen zog Zero mit Pirelli Diablo Rosso bewährte Pneus in der Größe 110/70-17 und 140/70-17 auf.

Die Zero SR zeigt sich angenehm, wenn auch nicht übertrieben handlich. Sie lässt sich leicht einlenken und bleibt stabil in der Kurve. Auch das Nachkorrigieren der Linie gelingt mit dem Elektrobike problemlos.

Bremsrubbeln

Nur die Bremsen der spanischen Marke „J. Juan“ geben Anlass zur Kritik: Die vordere, einzelne Bremsscheibe hat keine tausend Kilometer hinter sich und ist dennoch schon verzogen, was zu einem deutlichen Bremsrubbeln führt. Die Verzögerung geht allerdings noch in Ordnung. Hingegen arbeitet das Bosch-ABS gewohnt zuverlässig. Ein Motorbremsmoment kennt die Zero SR freilich kaum, beim Gaswegnehmen fühlt sie sich eher an wie ein Zweitakter.

Die Zero verfügt über keine Traktionskontrolle. Im Sportmodus schwenkt deshalb beim beherzten Beschleunigen aus der Kurve schon mal das Heck aus. Zum Glück erweisen sich die Pirelli Diablo Rosso als griffig genug, um das Motorrad rasch wieder einzufangen. Gut informierte Kreise lassen verlautbaren, dass Zero mit Hochdruck an einer Traktionskontrolle arbeitet und sie in der nächsten Modellgeneration vorhanden sein wird.

Im Stand schwerfällig

Die Ergonomie auf der Zero ist aufrecht und entspannt, der Fahrer thront in 810 Millimeter Höhe. Die Arme müssen nicht weit nach vorne gestreckt werden, um die breite Lenkstange zu packen und auch der Kniewinkel erweist sich als moderat. Einzig die Sitzbank ist auf Dauer nicht sehr komfortabel, das Platzangebot für den Sozius eher durchschnittlich. Aber der Einsatzbereich eines Elektromotorrads ist auch nicht für die Langstrecke konzipiert. Beim Rangieren im Stand zeigt sich die Zero SR unerwartet schwerfällig und der Lenkeinschlag ist nicht sehr groß. Einmal in Fahrt fällt die Behäbigkeit von der Zero aber schlagartig ab.

Viele Infos im Cockpit

Die Informationen des digitalen Bildschirms im Cockpit sind einleuchtend und logisch. Ganz groß in der Mitte ist die Geschwindigkeitsanzeige und links ein Batteriesymbol, das den Ladezustand schraffiert anzeigt, zusätzlich wird er daneben in Prozent exakt angegeben. Rechts oben steht der gewählte Modus, darunter der Stromoutput bzw. die Rekuperation. Mittig unten steht die für viele vielleicht wichtigste Anzeige: die Restreichweite – bis auf hundert Meter genau. Darunter wird der aktuelle Verbrauch in Wattstunden pro Kilometer angegeben. Komplettiert wird der Bildschirm mit der Abbildung der Uhrzeit.

Etwas überraschend verfügt die Zero nicht über LED-Licht und -Blinker – irgendwie erwartet man das von einem modernen Elektrofahrzeug. Dennoch ist die Lichtausbeute auch nachts ausreichend.

Der vermeintliche Tank der Zero SR ist natürlich kein solcher, sondern ein Stauraum, wo beispielsweise das Ladekabel untergebracht werden kann. Der Steckeranschluss der Batterie befindet sich links im Rahmen und wird von einer Gummikappe vor Wasser und Dreck geschützt. Das Kabel kann an jeder 230-Volt-Steckdose angeschlossen werden und benötigt 9,8 Stunden, um den komplett leeren Akku wieder auf 100 Prozent zu laden. Mit dem optionalen „Charge-Tank“ (2690 Euro) für Level-2-Ladestationen verkürzt sich die Ladezeit laut Herstellerangabe auf 2,5 Stunden. Damit entfällt jedoch der Stauraum. Alternativ gibt es ein separates Schnellladegerät von Zero (822 Euro), das die Ladezeit halbiert. Es ist jedoch für den Transport zu unhandlich.

Nicht billig

Für noch mehr Reichweite gibt es den „Power-Tank“ von Zero. Je nach Einsatzbereich und Modus sind damit bis zu 70 Kilometer mehr möglich. Er ist aber nicht mit dem Charge Tank kompatibel, da auch er im Stauraum seinen Platz findet. Allerdings sind die zusätzlichen Kilometer mit 3495 Euro teuer erkauft.

Dabei ist die Zero SR ZF14.4 mit 18.790 Euro ohnehin kein Sonderangebot. Doch die Kosten für Strom sind wesentlich niedriger als für Benzin und die Inspektionen fallen auch deutlich günstiger aus, denn vieles entfällt bei der Zero wie z. B. Ventile einstellen, Luftfilter reinigen, neuer Kettensatz, neue Zündkerzen oder Kupplung. Von der Steuer ist die Zero die ersten zehn Jahre sogar komplett befreit.

Günstiger

Wer es günstiger will, kann zur Zero S ZF14.4 greifen, die zwar weniger Spitzenleistung (44 statt 51 kW und 110 statt 146 Nm) bietet, aber dafür schon für 15.990 Euro zu haben ist. Noch billiger mit 12.490 Euro ist die Zero S ZF7.2 mit 11 kW, die schon mit dem Führerschein A1 ab 16 Jahren gefahren werden darf. Ihre Reichweite ist zwar um rund die Hälfte beschnitten, aber sie liefert immer noch 108 Nm Drehmoment.

[Korrektur 24. Mai 2018; 7:00 Uhr]

Im ursprünglichen Text hieß es im letzten Abschnitt, dass es Subventionen für die Zero seitens des Staates und des Importeurs geben würde, was leider nicht korrekt ist. Richtig ist, dass es die Subventionen nur bis 2017 gab und heute nur noch in Österreich gewährt werden.