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Reine Elektroautos bleiben vorläufig Exoten – und die Hybridtechnik wird bunter

Elektrische Antriebskonzepte auf der IAA

ggo

Auf dem Weg zur Elektro­mobilität lässt sich der Schalter nicht einfach umlegen, wie auch die IAA zeigt. Im Wind­schatten der E-Autos gedeihen auch neue und interessante Hybrid­konzepte

Frankfurt am Main, 16. September 2011 – Am Samstag geht es los: Vom 17. bis zum 25. September öffnet die IAA für das Publikum. Für die meisten Besucher stehen dabei traditionell zwei Themen im Vordergrund: neue Autos, die man sich vielleicht selber leisten wird und Traumautos, die einem Normalkäufer normalerweise verschlossen bleiben. Zudem ist dies nach 2007 und 2009 die dritte Pkw-IAA, bei der alternative Antriebe eine große Rolle spielen, wobei das diesjährige Motto "Zukunft serienmäßig" wohl darauf hinweisen soll, dass es diesmal nicht nur bei Ankündigungen bleibt.

Antrieb aus der Heide

Dafür spricht das Auftreten der Zulieferer, welche die Angewohnheit haben, neue Produkte nur dann zu lancieren, wenn sie Kunden dafür haben. Zulieferer sind ein recht zuverlässiger Gradmesser dafür, ob eine neue Technik dem Stadium der publikumswirksamen Spielerei entwachsen ist. Beispiel Continental: Das Unternehmen liefert die Elektromotoren und weitere Elektronik für die Renault-Serienmodelle Kangoo Z.E. und Fluence Z.E., die Ende 2011 auf den Markt kommen sollen. Die beiden Modelle sind vielleicht nicht das, was man sich als dezidiertes Elektroauto vorstellt, doch es gibt offenbar ein Geschäftsmodell, welches es dem Zulieferer Continental immerhin wert war, eine eigene Fertigungsstätte in Gifhorn aufzubauen. Weniger an konventionellen Limousinen orientiert sich der Twizy [1], für den Renault sogar schon einen Preis nennt: Renault bietet das Stadtwägelchen in Deutschland ab 6990 Euro inklusive Mehrwertsteuer an. Hinzu kommen 45 Euro Monatsmiete für die Batterie bei einer jährlichen Fahrleistung von 7500 Kilometern.

Konventionell und radikal

So weit sind die deutschen Hersteller noch nicht, ihre Pläne unterscheiden sich zudem deutlich untereinander. VW will 2013 den Golf und den Up als Elektroauto bringen. Besonders der E-Golf ist als Versuch zu werten, den Kunden beim Kauf eines Elektroautos möglichst wenig Umgewöhnung zuzumuten. Ob das aufgeht, bleibt abzuwarten, denn die begrenzte Reichweite, verbunden mit der sehr schweren und voluminösen Batterie, erfordert eigentlich ein anderes Grundkonzept als es der Golf darstellt. Dieser Überzeugung scheint man zumindest beim Hersteller BMW zu sein, dessen erstes Serienmodell i3 [2] eine komplette Neuentwicklung sein wird. So ist zum Beispiel der Unterboden gezielt auf die Aufnahmen der E-Antriebskomponenten ausgelegt, und extremer Leichtbau kompensiert zumindest teilweise die Reichweitennachteile.

Am weitesten ist aber Daimler mit dem Smart. Auch weil bei ihm schon in den 1990ern ein elektrischer Antrieb angedacht war, macht er als Elektroauto einen konzeptionell sauberen Eindruck. Wie wir aus eigener Erfahrung wissen, überzeugt er auch in der Praxis: Der durch die Batterie niedrigere Schwerpunkt beruhigt das Fahrverhalten den Stadtflitzers deutlich. Ab nächsten Frühjahr wird man ihn kaufen können, wohl für knapp 16.000 Euro plus einer monatlichen Nettomiete von 60 Euro für die Batterie.

Daimler setzt auf Wasserstoff

Der Smart steht derzeit schon fast prototypisch für ein Großserien-Elektroauto, das in erster Linie für die Stadt gedacht ist. Für längere Strecken setzt Mercedes nach wie vor auf Brennstoffzellenfahrzeuge. Die Technik hat jüngst wieder Aufwind erhalten, weil die Erzeugung von Wasserstoff von manchen wieder positiver beurteilt wird als noch vor wenigen Jahren. Neuestes "Baby" der Daimler-Entwickler ist der Mercedes F125 [3], mit dem die Entwickler geradezu ein Ideen-Feuerwerk abbrennen. So besteht zum Beispiel der Wasserstoff-"Tank" im F125 aus einer wabenförmigen Struktur, die flexibel in der Karosserie verteilt werden kann. Als Plugin-Hybrid kann der F125 zudem auch rein elektrisch fahren, das Laden der neuartigen Lithium-Schwefel-Batterie ist berührungslos möglich. Sicher, der F125 ist Zukunftsmusik, zeigt aber, dass Daimler weiter eisern auf Brennstoffzellenautos [4] setzt, weil die Batterie bei ausgewachsenen Autos viel zu wenig Reichweite bietet.

Schlank ist günstiger

Es sei denn, man betreibt radikales Downsizing – nicht des Antriebs, sondern des ganzen Fahrzeugs, weil nur so eine leichte und deswegen billigere Batterie vernünftige Reichweiten erlaubt. In dieser Hinsicht sind drei Studien von Audi, VW und Opel wegweisend, wobei der VW Nils [5] am konsequentesten ausfällt: Als kleiner Einsitzer ist er ein reines Pendlerfahrzeug, hinten gibt es noch ein wenig Stauraum – aber eine Batterie mit 5,2 kWh Energieinhalt genügt für eine alltagstaugliche Reichweite von 65 Kilometern. Im Audi Urban Concept dagegen können zwei Personen sitzen, schräg gegeneinander versetzt, sodass auch der Audi-Vorschlag kaum größer als ein Go-Kart ausfällt. Auch Opel demonstriert die Kostenvorteile eines kleinen Elektroautos: Dem Opel RAK e [6] sollen rund 5 kWh für eine Fahrstrecke von 100 Kilometern genügen, wodurch er werbewirksam zum "1-Euro-Auto" wird. Für alle drei dieser Elektro-Seifenkisten gilt: Wenn sie den Kunden gefallen, dürfte eine Serie kein allzu großes technisches Problem darstellen. Schwierigkeiten dürfte aber das Crashverhalten bereiten, zumal EU-Regularien nicht mehr die Freiheiten lassen wie einst bei einer BMW Isetta oder dem Messerschmidt Kabinenroller. Und schließlich muss einer der Hersteller erst einmal den Mut fassen: Beispiele wie der Audi A2 oder der 3-Liter-Lupo zeigen, wie gnadenlos unwillig Autokäufer sein können, wenn ihnen der Preis zu hoch ist.

Nüchtern betrachtet muss man auch im September 2011 konstatieren: Elektroautos bleiben noch Exoten, die wichtigsten serienmäßigen Neuerscheinungen sind mit jenen von Renault und Smart eigentlich genannt. Etwas habhafter geht es bei den Hybridfahrzeugen zu, wobei Japan bei ihnen weiterhin die Nase vorne hat. Toyota baut seine Prius-Familie aus, es gibt ihn mit einem kleinen + versehen [7] bald auch als Minivan. Honda hat den Insight überarbeitet – sein CO2-Austoß beträgt nun nur noch 96 g/km. Mit dem Jazz hat Honda zudem den einzigen Hybrid-"Kleinwagen" im Programm, Toyota folgt wohl im nächsten Frühjahr mit dem Yaris. Die Europäer sind unterhalb der Oberklasse derzeit nur durch PSA Peugeot/Citroen vertreten, die elektrischen Komponenten des Hybridantriebs stammen immerhin von Bosch und wären auch von anderen Herstellern leicht zu adaptieren.

Getriebe für Elektromotoren

Wie gesagt: Zulieferer können sich im Allgemeinen wenig Spielereien leisten. Wenn sie in eine Entwicklung investieren, kann man eine gewisse Ernsthaftigkeit unterstellen. Der Getriebehersteller Getrag zum Beispiel stellte schon vor gut zwei Jahren den "Boosted Range Extender [8]" vor – ein Hybridkonzept, das einen seriellen und parallelen Hybrid miteinander vereint und nennenswerte rein elektrische Reichweiten erlaubt. Mittlerweile ist der Antrieb in Verbindung mit einem Dreizylinder-Benziner in einem Ford Fiesta im Testbetrieb. Zudem stellt Getrag auf der IAA das 2eDCT600 vor, welches möglicherweise einen neuen Trend aufzeigt: Das Zweigang-Doppelkupplungsgetriebe sorgt dafür, dass ein Elektromotor mit einem besseren Wirkungsgrad betrieben werden kann, Getrag verspricht einen Verbrauchsvorteil von bis zu zehn Prozent. Das DKG hat in diesem Fall einen besonderen Charme: Weil es eben nur zwei Gänge hat, muss zwischen ihnen nur noch umgekuppelt werden, was sich bei einem Elektroantrieb trotz der hohen Drehmomente ruckfrei gestalten lässt. Der einfache Aufbau führt zudem zu einer sehr kompakten Bauweise.

Buntes Hybrid-Allerlei

Das Motto zu den Getrag-Aktivitäten heißt "Discover the Global Power", womit wieder der Alltag grüßt: Der Automobilmarkt wird mittlerweile stark von den Anforderungen in China geprägt. Doch auch dort ist die Entwicklung der "reinen" Elektromobilität vorläufig etwas ins Stocken [9] geraten. Gefragt sind Kompromisslösungen auf dem Weg dorthin – im weitesten Sinne Plugin-Hybride, die alltagstaugliche elektrische Reichweiten erlauben. Die Serienlösungen und Vorschläge sehen derzeit höchst unterschiedlich aus: Toyota setzt weiter auf den leistungsverzweigten Hybridantrieb, die meisten anderen Hersteller auf einen parallelen Hybridantrieb. Bosch und PSA favorisieren [10] eine räumliche Trennung von Verbrennungs- und Elektromotor. GM hat im Volt/Ampera [11] einen (weitgehend) seriellen Hybrid auf die Beine gestellt. Die kompakte Getrag-Lösung im Ford Fiesta verbindet Parallel- und Seriellbetrieb. Der große Vorteil all dieser Plugin-Hybride: Man kann sich mehr oder weniger stark der Elektromobilität annähern, ohne auf Langstreckenfähigkeit verzichten zu müssen.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Renault-Twizy-Proberunden-im-elektrischen-Zweisitzer-1228694.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/BMW-lueftet-einige-Geheimnisse-um-i3-und-i8-1288457.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Mercedes-F-125-Brennstoffzellen-Studie-im-S-Klasse-Format-1341584.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Daimler-Chef-Zetsche-wirbt-fuer-Wasserstoff-1341753.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/VW-Nils-Elektrischer-Fluegeltuerer-fuer-eine-Person-1335854.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Opel-stellt-Elektroauto-Studie-auf-der-IAA-2011-vor-1339046.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-Toyota-Prius-kommt-im-ersten-Halbjahr-2012-1328171.html
[8] https://www.heise.de/autos/artikel/Boosted-Range-Extender-drei-Antriebe-in-einem-881580.html
[9] https://www.heise.de/autos/artikel/China-laesst-es-bei-der-Elektromobilitaet-ruhiger-angehen-1327945.html
[10] https://www.heise.de/autos/artikel/Bosch-liefert-Hybridkomponenten-fuer-PSA-469061.html
[11] https://www.heise.de/autos/artikel/Stille-Reserve-der-Antrieb-des-Opel-Ampera-1224692.html