Das Pendel-Skateboard

Fahrbericht Inboard M1

Es gibt am Markt mittlerweile eine ganze Reihe bisher unregulierter kleiner Elektrofahrzeuge, die den Bereich zwischen Fahrrad, Öffis und zu Fuß gehen abdecken. Das Inboard M1 gehört zu den durchdachtesten

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alternative Antriebe, Mobilität 21 Bilder
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

„Die meisten meiner Kunden kaufen das tatsächlich zum Pendeln, sie fahren damit zum Beispiel zur Arbeit“, sagt Ryan Evans, CEO und Gründer der kleinen Firma „Inboard“ in Kalifornien. Ich habe ihn vorher gefragt, wer sein elektrisches Skateboard M1 kauft, ging davon aus, dass es wohl hauptsächlich Freizeitsportler wären. Doch als Ryan anfängt, von den Besonderheiten des M1 gegenüber anderen elektrischen Skateboards zu sprechen, wird klar, dass er sich eine Sonderstellung in dieser Nische erarbeitet hat. Das Inboard ist das einsteigerfreundlichste E-Board und hat dennoch so viel Bandbreite, dass Sportler damit Spaß haben können: 1600 Watt Leistung aus 2 Radnabenmotoren, elektrische Bremse auch bei vollem Akku, Wechselakkus, Licht, Stoßfänger.

Antrieb & Steuerung

Wie alle elektrischen Skateboards verlangt auch das M1 eine Umgewöhnung vom passiven Rollen auf den kräftigen Antrieb. Konkret muss sich der Skater beim Beschleunigen nach vorne lehnen, beim Bremsen nach hinten. Alle Testpersonen lernten das recht schnell, obwohl jede einzelne zuerst fast hintenüber fällt, wenn das Board unter ihr losbeschleunigt. Die Antriebssteuerung wertet Sensoren in den Motoren aus, sodass das M1 sanft anfährt. Das Anfahrdrehmoment in diesem Betriebsmodus ist niedriger als das maximale, sodass der Antrieb zwar erstaunlich steile Steigungen schafft (die 17 Prozent meiner Straße waren kein Problem, 18 Prozent stehen in den technischen Daten), dort aber einen Schubser als Anfahrhilfe aus dem Stand braucht.

Ein Pistolentrigger an der Fernbedienung dient als Sicherung, ohne die der schön exakt dosierbare Fahrhebel nicht funktioniert. Ein Bedienschalter wechselt durch die Modi, schaltet die Beleuchtung an/aus oder gleich das ganze Skateboard an/aus. Weiße Leuchtdioden zeigen den Akkustand beziehungsweise den Fahrmodus. Dazu kommen ein kleiner Piepser und ein Unwuchtmotor für den Vibrationsalarm, der niedrigen Akkustand anzeigt. Diese Steuerung funktioniert selbst in Fahrt sehr aufmerksamkeitssparsam. Die klare Kommunikation ihrer Zustände hat uns vor jeder unerfreulichen Überraschung bewahrt.

Segelfunktion

Lässt der Fahrer den Sicherungsknopf los, entkoppeln sich die Motoren komplett. Das Board rollt dann nur mit dem Widerstand der Rollen auf der Fahrbahn (und dem der Kugellager) weiter. Wäre es ein Auto, spräche man von einem Segelmodus. Wie ein Pedelec funktioniert das M1 also auch bei leerem Akku noch gut. Wer sich etwas an das System gewöhnt hat, wird zudem feststellen, dass dieses freie Rollen mit etwas Geschick zu erheblicher Zusatzreichweite führt.

Ebenso durchdacht die elektrische Bremse. Wie andere elektrische Skateboards lädt das M1 mit dem durch die Bremsung generierten Strom den Akku. Elektroautofahrer kennen das Problem hierbei: Wenn der Akku voll ist, gibt es keine elektrische Bremse mehr, um die Batterie vor Überladung zu schützen. Damit die Bremse immer zuverlässig funktioniert, leitet das M1 überschüssigen Strom in einen Folienwiderstand am Bauch des Boards ab, wo der Fahrtwind die erzeugte Wärme mitnimmt – top. Die elektrische Bremse liefert im Regelfall etwa 10 Prozent mehr Reichweite. Wichtiger aber: Man kann sich auf sie bedingungslos vom Start weg verlassen.

Akkus & Reichweite

Eins der Hauptverkaufsargumente des M1 liegt unter der Klappe auf der Oberseite verborgen: Dort in einem Plastikfach der Wechselakku. Ein Akkuwechsel geht so einfach und schnell, dass man ihn während der Fahrt erledigen kann (siehe Youtube). Die Akkus reichten in Stuttgart meist etwa 7 km weit bis zur Akkuwarnung. Der Grund sind die konstanten Steigungen, an denen der Antrieb lange Zeit auf Volllast läuft. Das schadet ihm zwar nicht, er wird aber heiß und verliert damit an Effizienz. Inboard selbst gibt 11 km auf ebenem Terrain an.

Das Wechselakkusystem resultiert auch aus der Richtlinie mancher Fluggesellschaften in den USA, kein Gepäck mit Akkus im Frachtraum mitzunehmen, gepaart mit der Begrenzung der Akkugröße, die mit in die Kabine darf. Mit dem M1 darf man in solchen Fällen fliegen. Der Akku wiegt 820 g und ist so flach, dass er sogar in die großen Hosentaschen einer Skate-Hose passt. Ich empfehle jedem Kunden, gleich einen Zusatzakku mitzukaufen. Ein Zusatzakku kostet stattliche 300 Euro. Ein M1 kostet inklusive Akku, Ladegerät, Reisetragetasche, Fernbedienung und Smartphone-App liegt derzeit bei 1250 Euro. Mit Zweitakku bewegt sich das Gerät also in Regionen eines besseren Pedelec, für das eine Mehrzahl der Pendler bereits die Fahrfertigkeit mitbringt.

Wovon mich meine Fahrten in Stuttgart jedoch überzeugt haben, ist die Eignung des M1 als Verkehrsmittel zwischen Fahrrad und Öffis, weil es schlicht viel einfacher in die Bahn passt. Jeder langjährige Fahrradfahrer wird zudem seine eigenen Lagerfeuergeschichten erzählen zum Thema Fahrradschlösser und Diebstahl. Das Inboard nimmst du einfach mit nach drinnen. Es passt an die Garderobe deiner Stammkneipe, im Blickfeld. Es passt in den Spind des Schwimmbads. Es passt in jedes Taxi. Es passt in einen Car2Go-Elektrosmart. Es passt in jedes Smart Shuttle.

Das Inboard zusammen mit Öffis genutzt erschließt dir die ganze Stadt. Von meiner Wohnung aus sind es anderthalb Kilometer und 70 Höhenmeter bis zur nächsten Haltestelle, was die Tür-zu-Tür-Zeiten der Öffis erheblich erhöht. Mit dem Inboard ein Klacks. Zu Fuß mit Gepäck im Sommer eher schweißfeucht. Löchrige ÖPNV wie hier im Kessel funktionieren mit E-Board nicht nur, sondern die Fortbewegung macht auch einen Riesenspaß.

Chassis & Konstruktion

Obwohl das M1 nach Hightech-Material aussieht, gilt das nur für die Außenhaut aus Plastik. Der Kern besteht aus einem dicken, CNC-gefrästen Block Holz. Darin sitzen alle Aggregate. Statt Lack schließen thermogeformte Plastikhäute das Chassis ab – die untere zweifarbig bedruckt. Am Rand verläuft ein Ring aus Weichplastik, der Stöße dämpft, um den Holzkern zu schützen. Dort setzte Inboard auch die abschaltbaren Lampen hinein. Die vorderen LEDs leuchten hell genug, dass sie nachts den Bereich vor den vorderen Rollen gut zeigen.

Der dicke Holzkern sorgt für eine Eigenheit des M1, an das sich Skater erst einmal gewöhnen müssen: NULL Flex. Ich spreche nicht von etwas wie einem straffen Deck, sondern das Teil gibt wirklich praktisch gar nicht nach. Alle Stoßdämpfung oberhalb der Gummirollen müssen also die Beine übernehmen. Vorteil der steifen Konstruktion: Sie lenkt sich sehr knackig. Nachdem ich beide Lenklager eine halbe Umdrehung fester gezogen hatte, lag das Brett auch bei Topspeed (35 km/h) und mehr (plus Schwerkraft) stabil.

In meinem Test gab es keinen starken Regen, leichter Regen ist kein Problem. Antrieb und Motoren fahren problemlos auch unter Wasser, etwa durch Pfützen. Vor starkem Platzregen oder wenn sonstwie in der Mulde über dem Akkufach Wasser stehen bleiben kann, würde ich rein aus meiner Erfahrung mit Motorradkoffern die Dichtungen des Akkudeckels auf Krümel kontrollieren. Inboard hat das M1 nach IP54 zertifiziert, auf deutsch: „spritzwassergeschützt“. Da der Fahrer mit dem Fuß auf dem Akkudeckel aber für Pumpbewegungen sorgt, die in der statischen Spezifizierung nicht vorkommen, rät Inboard von Fahrten in stärkerem Regen ab.

Illegalität am Ende

Dieses elektrische Skateboard transportiert dich über glatten Untergrund in etwa mit Fahrradgeschwindigkeit, spielt die Lead-Gitarre im Ensemble intermodaler Mobilität und macht enorm Spaß. Es muss doch einen Haken haben! Ja: Es ist illegal. Die Rechtslage zu elektrischen Skateboards, Hoverboards und hastenichtgesehen wollte die Regierung schon 2015 klären, tat das aber bis heute nicht. Ryan sagte, er versuche eine Zulassung auf 25 km/h in Deutschland, wie Pedelecs eben, doch es gibt sie noch nicht. Wer Vorreiter sein will, sollte also betont sozial fahren, um Ordnungshüter nicht zu provozieren.

Das Inboard M1 war eins dieser Testfahrzeuge, das mir so ans Herz wuchs, dass ich ernsthaft überlegte, eins zu kaufen. „Tja, aber 1250 Euro für ein weiteres Spielzeug sind halt viel Geld“, sagte ein Kollege, Motorradfahrer, eben begeistert vom Inboard abgestiegen. Stimmt. Hierin wird der Hauptgrund liegen, warum Pendler das Ding kaufen statt Spieler. Ich laufe vom Schlafzimmer drei Schritte in mein Büro. Wenn ich jedoch jeden Tag pendeln müsste, hätte ich statt des Boards einfach einen Karton voll Geld an den Ausleiher zurückgeschickt.

Danke an Dynasty Fun, die das Inboard M1 in Deutschland vertreiben und uns eines ihrer eigenen Boards liehen.