Derivatewandel

Fahrbericht: Mercedes X 350d 4Matic

Bisher war die Mercedes X-Klasse im Wesentlichen ein Nissan Navara mit Stern. Jetzt baut Mercedes den bewährten V6-Diesel ein und kombiniert ihn mit der hauseigenen Siebengangautomatik nebst permanentem Allradantrieb. Heraus kommt – fast schon ein Mercedes

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Mercedes X 350d 4Matic 13 Bilder
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  • mit Material von pressinform
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Bisher war die Mercedes X-Klasse im Wesentlichen ein Nissan Navara mit Stern. Jetzt baut Mercedes den bewährten V6-Diesel ein und kombiniert ihn mit der hauseigenen Siebengangautomatik nebst permanentem Allradantrieb. Heraus kommt – fast schon ein Mercedes.

Kooperationen bei Automobilherstellern begeistern die Betriebswirte ob der Kostenersparnis aufgrund der Gleichteile. Wenn sich Original und Derivat aber nur das Markenzeichen, bestenfalls einige Karosseriepartien unterscheiden, kommen die Marketingexperten unter Druck. Wie soll man einen Aufpreis erklären, wenn das Auto doch technisch zu großen Teilen baugleich ist.

Bisher war das auch ein Problem der Verkäufer bei der Mercedes X-Klasse. Das Auto war trotz einiger Änderungen an Karosserie und Interieur immer noch ein Nissan Navara – ein Nutzfahrzeug mit Vierzylinder-Diesel, rustikalem Zuschaltallrad und einem Fahrwerk, das mit kurz aufeinanderfolgenden Querfugen nicht gut zurechtkam. „Wartet mal auf die Version mit dem Sechszylinder-Diesel“, hieß es immer wieder. Mit der Top-Version bekommt er nun aber einen V6-Diesel, den dazu passenden Wandlerautomaten, einen (echten) permanenten Allradantrieb und ein überarbeitetes Fahrwerk.

Kürzere Atempause

Der V6-Diesel leistet 258 PS und stellt sein maximales Drehmoment von 550 Nm ab 1400/min bereit, mit dem Vierzylinder waren es maximal 190 PS und 450 Nm ab 1500/min. Im Zusammenspiel mit der Mercedes Siebengangautomatik kommt damit deutlich mehr Längsdynamik auf als mit dem Vierzylinder, die Atempause beim Beschleunigen wird deutlich kürzer.

Nach 7,5 Sekunden erreicht der 2285 Kilogramm schwere Pritschenwagen Landstraßentempo, erst bei 205 km/h wird abgeregelt. Im Sport-Fahrmodus klappt das Zusammenspiel zwischen Antrieb und Schaltung am harmonischsten und die leichte Antrittsschwäche wird am besten kaschiert. Die Programme Eco und Comfort sind für entspannte Autobahnfahrten geeignet, während off-road – eh klar – abseits befestigter Straßen die richtige Wahl ist.

Auch beim Fahrwerk ist die Verbesserung gegenüber den Vierzylindermodellen spürbar. Auch ohne adaptive Dämpfer, die es auch nicht als Option gibt, schluckt ein X 350d schnell aufeinanderfolgende Querfugen deutlich souveräner als die kleinen Brüder. Die anspruchsvolle Aufgabe aus den Federn und Dämpfern eine eierlegende Wollmilchsau, die sowohl auf asphaltierten Straßen als auch auf Schotterwegen beziehungswiese im Gelände klarkommt, haben die Ingenieure gut gelöst.

Die X-Klasse eignet sich auch für längere Strecken und lässt den Fahrer auch im schweren Gelände nicht im Stich. Dank des permanenten Allradantriebs, der mit einer Kraftverteilung von 40:60 (vorn/hinten) durch ein zusätzliches Planetengetriebe heckbetont ausgelegt ist und für eine gute Traktion sorgt, lässt sich die X-Klasse auf Asphalt auch mal etwas flotter bewegen, ohne die Schlupfregelung komplett wahnsinnig zu machen.

Im Gelände hingegen benötigt ein permanenter Allradantrieb im Gegensatz zum starren Zuschaltantrieb immer noch eine Längsdifferenzialsperre. Im X 350d basiert sie auf einer automatisch greifenden, elektromechanisch geteuerten Lamellenkupplung. Dazubestellen kann man für besonders schmutzige Geschäfte eine Differenzialsperre an der Hinterachse. Serienmäßig ist die Geländestufe im Verteilergetriebe mit einer Übersetzung von 2,93:1. Ein echter Gewinn gegenüber dem Zuschaltallrad des Vierzylinders ist die Tatsache, dass diese bis zu einer Geschwindigkeit von 40 km/h aktiviert werden kann. Die knappe Verdreifachung des Raddrehmoments ermöglicht dann extrem langsames Klettern, die Bewältigung von Steigungen bis 45 Grad (100 Prozent) und das engräumige Rangieren schwerer Anhänger bis 3,5 Tonnen.

Beim X 250d steht mit einer Übersetzung von 2,72 in Reduktion etwas weniger Drehmoment zur Verfügung, vor allem aber entfällt mit Zuschaltallradantrieb die Möglichkeit, in Reduktion auf engen Radien zu rangieren. Um Schäden am Antrieb zu vermeiden, kann die Reduktion nämlich nur zusammen mit dem Allradantrieb eingelegt werden. Die Wattiefe wird auch weiterhin mit 60 Zentimetern angegeben. Von der Konstruktion her bleibt der X 350d ein richtiger Geländewagen – nicht bloß ein SUV mit Ladepritsche.

Auf die Frage, warum man nicht den moderneren Mercedes-Reihensechszylinder-Selbstzünder unter die Motorhaube gepackt hat, entgegnet Produktmanagerin Karolin Trageser: „Man kann nicht alle neuen Motoren gleichzeitig in alle Modellreihen bringen. Außerdem ist der V6-Diesel ein robuster Motor, der auch in Märkten mit nicht so hochwertiger Kraftstoffqualität eingesetzt werden kann.“ Wir vermuten, dass der Reihen-Sechser möglicherweise schlicht zu lang für die recht kurze Haube des Pritschenwagens wäre. Ein V6 hingegen baut genauso kurz wie ein Reihen-Vierer mit vergleichbarem Hubraum.

Bekannte Komponenten

Das Interieur unterscheidet sich nicht von dem der vierzylindrigen X-Klasse. Könnte man die Lenksäule längs verstellen, wäre auch die Sitzposition einen Hauch besser, aber das fällt im Alltag kaum ins Gewicht. Sehr wohl aber, dass die Sitze wenig Seitenhalt und eine etwas zu kurze Beinauflage bieten. Die Technik des Infotainments stammt aus dem Konzernregal und entspricht dem etwas in die Jahre gekommenen Comand-System samt Drehknopf und dem tabletähnlichen Bildschirm im Armaturenbrett.

Mit dieser bewährten Technik kommen auch einige Assistenzsysteme ins Auto: Das Top-Modell hat einen aktiven Spurhalteassistenten, dazu kommen noch der Helfer, wie ein Verkehrszeichenassistent und eine 360 Grad Kamera. Richtig hilfreich sind die LED-Scheinwerfer. Mit dem neuen Antrieb ist das sehr viel Technik für einen Kleinlaster. Das schlägt sich auch im Preis nieder: So ein Mercedes X 350d 4 Matic kostet mindestens 53.360 Euro.