Fahrbericht Renault Clio Grandtour dCi 90

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Jede Nation hat ihre eigene Autofahrkultur. Großbritannien glänzt trotz bemerkenswert aggressiver Trucker mit Europas bester Disziplin auf den großen Motorways. In Deutschland vergöttern wir die Sicherheit, kämpfen aber gleichzeitig mit Zähnen und Klauen um die letzten Reviere freier Autobahn, auf der das Recht der Leistung gilt. Und Frankreich blieb bis heute bemerkenswert ländlich, mit viel geringerer Bevölkerungsdichte als wir, limitierten Autobahnen und buckeligen Landstraßen. Wer komfortabel lange Strecken im erlaubten Tempo reisen wollte, war mit Autos aus Frankreich schon immer besser bedient, als unsere Vorurteile das erlaubten.

Wie hier beschrieben hat mich ein uralter Clio fasziniert, den sich die Frau für 500 Euro kaufte, um wieder fahren zu lernen und ihr Tier zu transportieren. Ich wusste nicht, dass der Clio so groß ist, dass er nach 15 Jahren noch praktisch rostfrei sein kann, und dass er von der Ausstattung her eine ganze Klasse höher griff: Klimaanlage, Ledersitze, elektrische Fenster und Spiegel, 107 PS Nennleistung. Da interessierte mich dann doch das aktuelle Clio-Modell als Kombi "GrandTour". Seinem Namen entsprechend machte ich mit Renault aus, damit eine echte Grand Tour zu fahren, natürlich in Frankreich, nämlich in die Bretagne. Das sind von hier aus immerhin 1250 km einfach.

Mixermotörchen

Auch das Thema der CO2-"Überschreitungsgramm"-Strafzahlungen hatten wir hier schon öfter. Französische Hersteller bauen kleine Motörchen in alle Autos ein, um den Flottenverbrauch zu senken. Bemerkbare Leistung wird nicht mehr angeboten. Das funktioniert bis jetzt ganz gut. Warum das so ist, verrät einem jede längere Fahrt in Frankreich. Man braucht schlicht nie besonders viel Leistung dort. Und dann der Dieselmotor in jedem noch so kleinen Auto: Frankreich bevorzugt den Diesel steuerlich noch mehr als Deutschland, sodass sich der Motormehrpreis dort sehr schnell rechnet.

Der Clio dCi 90 mit seinen 66 kW (90 PS) fährt auf der deutschen Autobahn, wo sie offen ist, ein Reisetempo von 170 bis etwas über 190 bergab mit Rückenwind. Der kleine Motor dreht hoch, tut sich schwer und verbraucht mehr als für höheres Tempo gebaute Antriebe. Auf der französischen Autobahn dann pendelte sich der Verbrauch auf den Abschnitten mit meistens 130 km/h Limit zwischen 5,3 und 5,9 Litern pro 100 km ein, auf dem letzten Stück Bundesstraße in die Bretagne mit dauerhaft zwischen Tempolimit 80 und 110 waren es gar nur noch 4,3 Liter – trotz randvoll bepacktem Auto und Winterreifen. Am Tempomat vor sich hindieseln, dafür hat Renault auch dieses Auto ganz offenbar gebaut.

Sicher: Wenn man nicht herunterschaltet, verliert man zum Beispiel an den Ardennensteigungen ein paar km/h. Aber sonst gab es nirgends den Wunsch nach mehr als 90 PS. Nach dem Verlassen der großen Bundesstraße erinnern die Straßen der Bretagne an jene Irlands: Sie sind eng, von Wällen umfasst, unübersichtlich, dreckig, von Nutztieren und Fußgängern bevölkert und daher manchmal gar nicht erst asphaltiert. Man dürfte häufig 90 fahren, fühlt sich aber schon mit 50 zu schnell. Was am Antrieb des Clio daher nervt, ist gar nicht seine dort nicht auffallende Minderleistung, sondern die NEFZ-optimierte Getriebestufung. Der erste Gang ist schon zu lang, der zweite taugt für zu wenig, der dritte muss fast alles machen, und dann haben wir noch zwei Overdrive-Stufen. Ein für den Kunden statt für die Behörde gestuftes Getriebe müsste man seltener schalten und hätte mehr (Drehmoment) davon. Ein automatisiertes Schaltgetriebe gibt es für 1500 Euro Aufpreis.

Kleinigkeiten wachsen mit jedem Kilometer

Wer weiter fährt, erlebt eher, was ein Kunde erleben würde. Es nervt zum Beispiel furchtbar, wenn das Radio scheußlich klingt, und das tat es leider. Equalizer half kaum etwas. Eigentlich klingen nur die Beatles einigermaßen schmerzfrei. Das verbaute Radio war das R&GO DAB+, in den Daten schaut es aber identisch aus zum Radio ohne DAB+. Es verbindet sofort dein Smartphone mit oder ohne Kabel und spielt los. Leider klingt fast alles eher gruselig, egal ob vom Radio oder vom Smartphone. Wahrscheinlich liegt's an den Boxen. Das kann Citroen im selben Preissegment viel besser. Gescheite Boxen gibt es erst im obersten Ausstattungsniveau "Intens", dort (und nur dort) gegen 590 Euro Aufpreis auch ein Bose-System. Dazu kommt, dass der Smartphone-Halter alle Knöpfe verdeckt. Keine Ahnung, wer sich das ausgedacht hat und dann sagte "Ok, das bauen wir jetzt so", aber er ging davon aus, dass man die App verwendet oder sich sonstwie verrenkt. Nach etwa zehn Stunden Streaming vom iPhone stürzt das Radio reproduzierbar ab, der Watchdog startet es jedoch innerhalb einer Minute neu. Was halt so auffällt auf solchen Langtouren.

Bei Tempomat 130 vibrieren die Außenspiegel. Das nervt erst ab etwa 500 Kilometern, dann aber richtig, vor allem im Dunklen. An der Heckklappe gibt es wie in einem Segment höher keine Ladekante, sondern man kann Fracht einfach auf den Boden schieben. Sehr gut. Die Sichtbarkeit ist wie in den meisten modernen Autos schlechter geworden mit erhöhter passiver Sicherheit, aber auch nicht schlechter als bei Mitbewerbern. An den alten Clio erinnert die Heckscheibe, die im oberen Bereich verzerrt. Der alte verzerrte Autos im Biegebereich zu Sportwagen, der aktuelle Grandtour verzerrt Autos in einem bestimmten Abstand zu Kastenwagen.

Die Tageskilometer werden ständig von der Tempomatansage verdeckt, weil es nur einen kleinen LCD-Schirm gibt. Das Auto ist recht leise, den höchsten Schallpegel produzieren die vorderen Kotflügel durch ihr Luftflattern. Der Clio rollt sanft ab. Ein Ersatzrad gibt es gegen 80 Euro Aufpreis. Es gibt Renault-typisch immer noch eine sehr gute Handbremse. Ich zeigte der Frau damit ein paar Handbrake-Turns. Sie zeigte mir, was sie davon hielt. Banausin.

Fahr weg

Für mich persönlich unterscheidet sich der Fahrersitz in Renaults von denen in Citroens darin, dass erstere für eine etwas aktivere Beteiligung gestaltet scheinen, während letztere auf Lounge-Komfort hin optimiert wurden. Man kann den Clio also nicht nur cruisen, sondern auch ein wenig Spaß am Fahren finden. Das weiche Fahrwerk gibt dir genug Traktion und anders als bei vielen Reise-Citroens siehst du beim Herausbeschleunigen den Kurvenausgang statt genau dort eine fette A-Säule oder einen tiefhängenden Rückspiegel. Vielleicht macht diese Mischung den Clio so beliebt. Ein Fahranfänger wird ihn mit einiger Wahrscheinlichkeit in Opas Garage finden und dennoch mit einiger Wahrscheinlichkeit Spaß damit haben, während er fahren lernt.

Fürs französische Fahren ist der Clio wahrscheinlich der beste Kompromiss zwischen allen Punkten. Schaut ganz gut aus, fährt ganz gut, verbraucht im Bummeltempo wenig, und das Auto ist für sein Kleinwagensegment groß, also geht viel rein. Ich möchte als Alternative dennoch Citroens großartigen Cactus in den Ring werfen. Die Hundekiste passt auch dort in den Kofferraum, auch wenn das Gesamtgepäckvolumen geringer ausfällt. Der Fahrkomfort ist noch besser, vor allem auf langen Reisen. Die Preise sind vergleichbar. Der Citroen ist leichter. Und ich glaube, eine Kacktusse schaut eher besser aus, wenn (nicht falls) sie dann im Pariser Stadtverkehr schön vermackt wurde. Käufer brauchen natürlich das Selbstbewusstsein, Citroens automobiles Äquivalent der Zuhälter-Federboa durch die Nachbarschaft voller Golfs zu dirigieren. Also wird es meistens doch eher Renaults Wollschal werden.