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Formel 1: Mercedes auf dem Olymp

Es ist vollbracht: Mercedes hat zum sechsten Mal in Folge beide Titel in der Formel 1 gewonnen. Das hat zuvor noch kein Team geschafft. Das Geheimnis des Erfolgs ist keines, und dennoch dürfte es nicht einfach werden, diesen zu kopieren. Eine Würdigung

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Lewis Hamilton 7 Bilder

(Bild: Mercedes)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Martin Franz

Es ist vollbracht: Mercedes hat zum sechsten Mal in Folge beide Titel in der Formel 1 gewonnen. Das hat zuvor noch kein Team geschafft. Das Geheimnis des Erfolgs ist keines, und dennoch dürfte es nicht einfach werden, diesen zu kopieren. Eine Würdigung.

Beeindruckende Bilanz

Schon die Bilanz der noch laufenden Saison ist beeindruckend: 14 von bisher 19 Rennen hat einer der Mercedes-Fahrer gewonnen. Schaut man auf die vergangenen sechs Jahre, wird deutlich, wie sehr die Mercedes-Mannschaft die Königsklasse dominiert hat. Seit 2014 wurden 119 Rennen ausgetragen, von denen Mercedes 88 gewonnen hat. Dabei ist es keineswegs so, dass Mercedes unschlagbar wäre oder Fahrer und Team keine Fehler machen würden. Es ist eine Mixtur, die diese Dominanz ermöglicht hat.

Die wichtigste Zutat, so trivial es klingt, ist die Kombination aus einem sehr schnellen Auto, das den Vorlieben des Fahrers entgegenkommt, und einem talentierten Steuermann. Red Bull ist das in den Jahren 2010 bis 2013 mit Sebastian Vettel zusammen gelungen, Mercedes hat es seit 2014 mit Lewis Hamilton perfektioniert. Der ist als Fahrer zwischen seinem ersten Titelgewinn 2008 und seinem zweiten 2014 gereift. Man kann davon ausgehen, dass der Brite fast immer das komplette Potenzial seines Autos ausschöpft. Dass er 2016 die Fahrer-WM knapp gegen Nico Rosberg verloren hat, ändert an dieser Feststellung nichts. Er war damals in Malaysia in Führung liegend mit einem Motorschaden ausgefallen. Wäre er ins Ziel gekommen, Rosberg hätte keine Chance auf die WM gehabt.

Kein Verschleiß zu erkennen

Ein weiterer, keineswegs zu unterschätzender Baustein des anhaltenden Erfolgs ist die konstant gebliebene Motivation. Nach so vielen Erfolgen dürfte die Konkurrenz normalerweise auf einen gewissen Verschleiß in dieser Hinsicht hoffen, doch der ist bei Mercedes und Hamilton absolut nicht zu erkennen. Mannschaft und Fahrer scheinen bis heute hungrig auf Siege. Die anhaltende Motivation ist vor allem Teamchef Toto Wolff zu verdanken, der in den vergangenen Jahren diesbezüglich außergewöhnliches geleistet hat. Der Wahl-Schweizer hat seine Mannschaft nach außen abgeschirmt, Ruhe reingebracht, die für eine erfolgreiche Arbeit in dieser Branche nahezu unabdingbar ist.

Dabei hat Wolff die Bewährungsprobe schon bestanden: Gelassenheit bei ausbleibendem Erfolg. 2017 und 2018 war Ferrari zu Saisonbeginn auf dem vielversprechenden Weg, die Mercedes-Dominanz zu gefährden. Doch die Truppe von Toto Wolff ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. 2019 waren die Italiener bei den Testfahrten vor der Saison klarer Favorit. Das Auto war sauschnell, doch das Fenster, in dem es dies ist, ist offenbar nicht nur sehr klein, sondern auch nicht ganz einfach zu treffen. Ferrari brauchte bis zum Sommer, um das Auto komplett zu verstehen. Da war der WM-Zug bereits abgefahren. Die späten Siege der Scuderia in dieser Saison sind gut für das Ego von Fahrern und Mannschaft, ändern an der Titelvergabe jedoch nichts mehr.

Wohldosierte Kritik

Hamilton hinterfragt die Strategie im Rennen häufig, hatte in den vergangenen Jahren aber schlussendlich selten einen Grund, sich zu beschweren. Ohnehin trägt er Kritik so gut wie nie nach außen. Wenn überhaupt, tut er dies wohldosiert. Auch das ist Zeugnis seiner Reife und unterscheidet ihn von Fahrern wie Fernando Alonso, die trotz unbestreitbar großem Talent zum Schluss keinen Platz mehr in einem Topteam fanden – weil er Kritik oftmals öffentlich machte. An Hamilton perlt inzwischen vieles ab, er wirkt stets gelassen und fokussiert. Ein Ausraster wie der von Sebastian Vettel nach dem Rennen in Kanada ist menschlich absolut verständlich, allerdings nicht hilfreich und bei Hamilton derzeit undenkbar.

Dazu hat der Brite die vermutlich älteste Erfolgsformel in der Königsklasse verstanden. Für einen WM-Titel muss man nicht zwingend möglichst alle Rennen gewinnen, aber alle in Reichweite und da sein, wenn es mit vergleichsweise wenig Aufwand Punkte zu verteilen gibt. So schön es ist, oben auf dem Podium zu stehen – Hamilton fährt längst vor allem um Titel, nicht mehr nur um Siege. Dafür kann es hilfreicher sein, einen zweiten oder dritten Platz sicher nach Hause zu fahren als für einen ersten auf Biegen und Brechen alles zu riskieren. Unter anderem dieses Verständnis hebt ihn aus der Masse vieler guter Fahrer heraus.

Und perspektivisch?

Lewis Hamilton wird im Januar 35 Jahre alt, ein Großteil seiner Karriere in der Formel 1 liegt hinter ihm. Unter anderem mit Charles Leclerc und Max Verstappen zeichnen sich Fahrer ab, die künftig wohl um Titel mitfahren werden. Kurzfristig dürften die beiden Titel auch im nächsten Jahr wieder über Mercedes führen. Angesichts des stabilen Reglements wird die Konkurrenz vielleicht näherkommen, ob sie aufschließen oder überholen kann, lässt sich – glücklicherweise – kaum prognostizieren. Doch das Mercedes-Paket aus Team, Auto und Fahrer wird vermutlich wieder ganz vorn mit dabei sein. Komplett neu werden die Karten erst 2021 gemischt. Dann soll es umfangreiche Änderungen im Regelwerk der Formel 1 geben. Die Konkurrenz darf spätestens dann auf ein Ende der Mercedes-Dominanz hoffen. Schließlich endet jede Siegesserie irgendwann einmal. (mfz)