Spannungsabfall

Formel 1: Mercedes dominiert nach Belieben

Die Konkurrenz verzweifelt an der aktuellen Mercedes-Übermacht, deren Ende nicht absehbar ist. Sie wird nicht nur für die Gegner unangenehm, sondern auch für das Geschäft Formel 1. Doch dem Mercedes-Teamchef bleibt derzeit nur, sich zu entschuldigen

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Von
  • Martin Franz
Inhaltsverzeichnis

Für ein umfassendes Bild der aktuellen Formel-1-Saison genügt ein Blick auf die letzte Runde des Rennens in Frankreich am vergangenen Sonntag (23. Juni 2019). Weltmeister Lewis Hamilton will sich den seit dieser Saison möglichen Zusatzpunkt für die schnellste Rennrunde holen. Er legt vor, und wird kurz danach von Sebastian Vettel ganz knapp unterboten. Doch Hamilton war auf harten, 28 Runden alten Reifen unterwegs, Vettel auf brandneuen weichen, die einen gehörigen Zeitvorteil versprechen. Es ist das Spiegelbild einer denkwürdigen, spannungsarmen Saison, die entschieden ist.

Stetiger Sieger

Nach acht Rennen hat Mercedes alle gewonnen, sechs davon waren Doppelsiege. Die Rennen laufen dabei im Prinzip stets ähnlich ab: Hamilton und Bottas machen in der ersten Runde aus, wer den Sieg nach Hause fährt – zumeist liegt Hamilton vorn. Es folgen ein paar schnelle Runden, um die anderen abzuschütteln, danach wird der Vorsprung materialschonend verwaltet. Was dann immer noch reicht, um mindestens so schnell wie die Konkurrenz zu fahren, die dem Führungsduo hinterherhetzt.

Es ist möglich, dass in diesem Jahr auch andere Teams mal ein Rennen gewinnen werden – schon am kommenden Wochenende gibt es dazu in Österreich eine der raren Gelegenheiten. Dort ist viel Motorleistung gefragt, was Ferrari liegen sollte. Doch das heißt nicht etwa, dass die Gegner dort mit einer Schwäche von Mercedes rechnen dürfen. Die Konkurrenz liegt hier nur etwas weniger weit zurück. An der Schlussabrechnung wird das zudem nichts ändern. Mercedes wird in diesem Jahr die Teamwertung gewinnen, Hamilton die Fahrerweltmeisterschaft.

Für diese Vorhersage gibt es mehrere Faktoren, die man recht kurz zusammenfassen könnte: Der derzeit beste Fahrer sitzt im derzeit besten Auto, geführt von der derzeit besten Strategieabteilung. Es gab in der langen Geschichte der Formel 1 fraglos eine Reihe von außergewöhnlichen Fahrern, Hamilton gehört dazu. Was ihn aus diesem Kreis ein Stück weit heraushebt, ist seine scheinbar nicht nachlassende Motivation – was ihn mit seinem Team verbindet, dem es nun schon ein paar Jahre gelingt, in dieser Hinsicht frisch zu bleiben.

Mercedes holt, was zu holen ist

Ferrari schien bei den Testfahrten vor der Saison Favorit zu sein. Auch bei den Trainings am Freitag war die Scuderia schon bei der Musik. Doch wenn es um Punkte geht, ist es Mercedes, die alles derzeit mögliche abräumen. In dieser Hinsicht erinnert der Lauf, den die Truppe derzeit hat, an die Jahre 1988, 2002 und 2004, in denen jeweils ein Team nahezu alles holt, was erreichbar ist. Diese Vormachtstellung zu brechen, ist möglich, aber ein hartes Stück Arbeit.

Denn Mercedes hat nach acht von 21 Rennen bereits einen solch soliden Vorsprung, dass sie der restlichen Saison gelassen entgegensehen dürfen. Vettel als bester Nicht-Mercedes-Pilot liegt mit 111 Punkten bereits weit abgeschlagen hinter dem Führenden Hamilton, der 178 Punkte hat. An einem Wochenende kann man maximal 26 Punkte aufholen. Zwei Siege und die jeweils schnellsten Rennrunden würden also nicht reichen, um bei zwei Ausfällen von Hamilton die Spitze der Fahrerwertung zu übernehmen – zumal Bottas, Teamkollege von Hamilton, durchaus nicht schlecht fährt, wenngleich er nicht die Konstanz seines internen Rivalen hat.

Ferrari mit Problemen

Bei Ferrari läuft derzeit vieles nicht optimal. Der Wechsel an der Teamleitung hat Unruhe in die Scuderia gebracht. Das Auto ist nicht schlecht, aber heikel in der Abstimmung. Es scheint nur in einem schmalen Arbeitsbereich unter bestimmten Bedingungen richtig schnell zu sein. Diesen hatte man bei Testfahrten vor der Saison offenbar genau getroffen, an einem Rennwochenende tun sich die Italiener schwer damit. Der Druck, auch von italienischen Medien, ist enorm, die Nerven liegen blank. Der Wutausbruch von Sebastian Vettel nach dem Rennen in Kanada, dürfte zumindest ein Stück weit auch damit zu tun haben. Das Team Ferrari spürt, dass es Mercedes in diesem Jahr wieder den Vortritt lassen muss. Updates funktionieren nicht, die Weiterentwicklung des Autos stockt.

Wolff: „Es tut mir leid.“

Dabei ist Ferrari noch das Team, das Mercedes am nächsten kommt. Max Verstappen liegt mit 100 Punkten zwar nur knapp hinter Sebastian Vettel, doch das ist ein Kompliment an den Fahrer. Verstappens Teamkollege Pierre Gasly deutet mit aktuell 37 Punkten an, wie weit der Red Bull in Wirklichkeit zurückliegt. Von den anderen Teams ganz zu schweigen, was langsam ein Problem für die Formel 1 an sich wird. Denn wenn sich Kommentatoren bei einem unspektakulären Kampf um einen Platz, für den es keine Punkte gibt, stimmlich verausgaben, weil weiter vorn nichts passiert, dürften sich auch treue Fans der Rennserie wundern. Dessen ist man sich durchaus auch bei Mercedes bewusst. Teamchef Toto Wolff bemerkte im ORF nicht ohne ein gesundes Maß an Ironie: „Es tut mir leid. Wir wollen auch spannende Rennen.“

Ihm ist klar, dass die aktuelle Dominanz nicht gut fürs Geschäft ist. Irgendwann wird auch diese Siegesserie beendet sein. Doch absehbar ist das derzeit nicht, zumal das Team die Bewährung schon bestanden hat: Wie gut ist das Team, wenn es unter Druck steht? Anfang der Saison 2018 war Ferrari teilweise überlegen, doch Mercedes hat Ruhe bewahrt und letztlich gewonnen. Diese Gelassenheit brauchen die Gegner, auch wenn ihnen das in diesem Jahr keinen Titel mehr bringen wird.